Protestpartei

Protestpartei

Der Begriff Protestpartei bezeichnet Parteien, die in der Wählerschaft vorhandenen Unmut oder Protesthaltungen zu kanalisieren und zu nutzen versuchen. Er unterstellt diesen Parteien, sich stark auf ein Thema zu konzentrieren und Stellungnahmen zu anderen Feldern der Politik zu vernachlässigen. Gleichzeitig postuliert er, dass die Wähler der Protestparteien „Protestwähler“ seien, ihre Wahl also aus einem emotionalen Protest, aus Wut und aus Unzufriedenheit mit der Politik anderer Parteien heraus träfen und nicht aus inhaltlicher Überzeugung. Als Kennzeichen von Protestparteien werden darüber hinaus lautstarkes Auftreten, radikale Forderungen und eine spontane Entstehung aus einem gesellschaftlichen Konflikt genannt.

Obwohl das Konzept der Protestpartei bereits im Ansatz eine kognitive Verzerrung zu Gunsten von etablierten Parteien und bestehenden Normen beinhaltet, findet es in den Sozialwissenschaften Verwendung und wird genutzt, um Struktur, Wählerbasis und Verhalten von Parteien zu beschreiben.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Zur Definition des Begriffs gibt es unterschiedliche Konzepte. Oft wird der Ausdruck auch diffus gebraucht und auf Parteien angewendet, die bei Wahlen starken Zuspruch und dadurch einen Bedeutungsgewinn erfahren. Als grundlegende Eigenschaften von Protestparteien gelten:[1]

  • „spontane“ Entstehung: Protestparteien stellen keinen Endpunkt einer sozialen Bewegung dar, sondern formieren sich ohne lange Vorlaufzeit, um aktuelle Stimmungen nutzen zu können. Auch existieren sie meist nur für kurze Zeit.
  • Monothematik: Im Parteiprogramm sind einige wenige Punkte überrepräsentiert; Aussagen zu anderen relevanten Feldern der Politik werden kaum behandelt oder fehlen ganz.
  • Opposition zum Mainstream: Protestparteien stellen geltende Normen, Regelungen oder Haltungen in der Politik in Frage und präsentieren sich als einzige Alternative zu den bestehenden Parteien. Dieses Freund-Feind-Schema unterstreichen sie durch provokantes Auftreten und radikale Forderungen.
  • Wählerbasis: Die Wähler von Protestparteien verfügen nur über eine geringe Bindung zu diesen; ihr Wahlverhalten wird als eine „Strafaktion“ oder eine „Protesttat“ gewertet.

Unter diesen Gesichtspunkten lassen sich etwa die Piratenparteien, die Partei Rechtsstaatlicher Offensive, die Liste Dr. Martin oder die Auto-Partei als Protestparteien beschreiben. Aber auch Die Grünen erfüllten in ihrer Anfangszeit die Kriterien für eine Protestpartei.[2]

Kritik

Der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer kritisiert die emotionale Konnotation des Protestbegriffes. Enttäuschung, Wut oder Frust seinen keineswegs die alleinigen Motive bei der Wahl einer Protestpartei; genauso gut könne diese mit rationalem Kalkül erklärt werden, etwa wenn Stammwähler den Kurs ihrer Partei nicht länger unterstützen möchten und deswegen einer Partei ihre Stimme geben, die eher ihre Vorstellungen vertritt – auch wenn diese als nicht regierungsfähig erscheint. Der ursprünglichen Stammpartei würde dadurch signalisiert, dass sich die Wähler einen Kurswechsel wünschten. Zudem beziehe sich der Protest meist auf die Parteien, die als etabliert gelten.[3]

Der Politikwissenschaftler Florian Hartleb sieht den Begriff der Protestpartei als wenig geeignet an, wenn es darum geht, Parteien auf ihre Inhalte oder ihr Auftreten zu beschreiben: Es sei unklar, „was im Zentrum des Protestes steht bzw. ob der Protest fundamental oder nur punktuell auftritt. Der Terminus „Protestpartei“ kann wohl für eine pragmatische wiewohl einseitige Unterscheidung, nicht aber typologisierend verwendet werden.“ Everhard Holtmann hält dem Begriff jedoch gerade dies zugute, weil der Fokus etwa bei der Untersuchung von rechts- und linkspopulistischen Parteien nicht einseitig auf die rechte Hälfte des Parteienspektrums verengt werde.[4]

Quellen und Verweise

Literatur

  • Kai Arzheimer: Politikverdrossenheit. Bedeutung, Verwendung und empirische Relevanz eines politikwissenschaftlichen Begriffs. Westdeutscher Verlag, Opladen 2002. ISBN 3-531-13797-2.
  • Florian Hartleb: Rechts- und Linkspopulismus: Eine Fallstudie anhand von Schill-Partei und PDS. VS, Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004. 361 S., ISBN 3-531-14281-X.
  • Everhard Holtmann, Adrienne Krappidel, Sebastian Rehse: Die Droge Populismus: Zur Kritik des politischen Vorurteils. VS Verlag, 2006. ISBN 3531150383.
  • Christian Neuner-Duttenhofer: Bündnis 90/Die Grünen im Bundestagswahlkampf 2002. LIT Verlag Münster, 2004. ISBN 3825875202.

Einzelnachweise

  1. Holtman et al. 2006, S. 20-21.
  2. Neuner-Duttenhofer 2004, S. 7.
  3. Arzheimer 2002, S. 86.
  4. Hartleb 2004, S. 25.

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