Progress (Studentenverbindung)

Progress (Studentenverbindung)

Der Progress war eine liberale Reformbewegung in der deutschen Studentenschaft in der Zeit zwischen 1840 und etwa 1855. Anknüpfend an Ideale der Urburschenschaft setzte sie sich für die Aufhebung akademischer Sonderrechte gegenüber der Bürgerschaft, die Abschaffung der akademischen Gerichtsbarkeit und die Gleichheit aller Studenten ein. In seiner radikalen Variante erstrebte der Progress zeitweise die völlige Aufhebung der überkommenen Studentenverbindungen zugunsten allgemeiner Studentenvertretungen, konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen.

In der Folge führte die Herausforderung durch den Progress zu Reformen innerhalb der bestehenden Verbindungen und damit letztlich zur Festigung und weiteren Ausdifferenzierung des Verbindungswesens: So entstanden zum einen neue Korporationsformen, darunter Reformlandsmannschaften und Turnerschaften, zum anderen überregionale Zusammenschlüsse wie z. B. der Kösener SC-Verband.

Inhaltsverzeichnis

Wurzeln

Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des Progresses liegen in der französischen Julirevolution von 1830. Nachdem zu Beginn des Vormärz die Einheitsbewegung in Deutschland stagnierte, erlebte sie ab 1830 neuen Aufschwung. Ereignisse wie das Hambacher Fest 1832 artikulierten das Bedürfnis des bürgerlichen Lagers nach Einheit und Freiheit. Durch das Scheitern des Frankfurter Wachensturms im April 1833 musste die Bewegung jedoch einen erheblichen Rückschlag hinnehmen.

Verlauf

Der studentische Progress wies Ähnlichkeiten mit der urburschenschaftlichen Bewegung auf, allerdings richtete er sich nicht auf ein romantisierendes Deutschtum aus. Bis etwa 1845 blieb der Progress gemäßigt, worauf er sich radikalisierte und die Abschaffung der bisherigen studentischen Formen forderte. Konkret trat er für die Abschaffung der studentischen Sonderstellung gegenüber dem Bürgertum, Abschaffung der akademischen Gerichtsbarkeit, Gleichheit aller Studenten und die Abschaffung beziehungsweise Einschränkung des Duellwesens aus. Der radikale Progress war bei den Burschenschaften, den Landsmannschaften und vereinzelt auch bei den Corps zu finden. Die Corps standen dem Progress eher ablehnend gegenüber, da sie in der Zeit die Führung über die Studentenschaft für sich in Anspruch nahmen.

Die Auswirkungen des Progresses auf die Verbindungen waren verschieden. Es kam zu vereinzelten Spaltungen von Verbindungen, da die Fronten zwischen den Anhängern des gemäßigten Progresses und den Radikalen sich verhärtet hatten. In Jena führte die Frage, ob Nichtakademiker Mitglied werden könnten, zur Spaltung der Burschenschaft. Letztendlich führte die Progressbewegung auch dazu, dass sich in den darauf folgenden Jahrzehnten an den Universitäten verstärkt Vereine verschiedenster Art ohne korporativen Charakter bildeten, wie z.B. die Akademischen Gesangvereine oder Vereine mit philosophischer, mathematischer oder sonstiger thematischer Ausrichtung.

Zentrale Gedanken des Progresses - allgemeine studentische Vertretung anstelle der Verbindungen, Reform und Öffnung der Hochschulen - wurden später auch von der Freistudentenbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts erneut aufgegriffen.

Siehe auch

Literatur

  • Peter Brandt: Von der Urburschenschaft bis zum Progress, in: Harm-Hinrich Brandt/Matthias Stickler (Hrsg.): „Der Burschen Herrlichkeit“. Geschichte und Gegenwart des studentischen Korporationswesens, Würzburg 1998, S. 35–53.
  • Herman Haupt (Hrsg.): Quellen und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheitsbewegung. Band XI: Geschichte der Deutschen Burschenschaft, Dritter Band: Die Zeit des Progresses (1833–-1859). Heidelberg 1929, S. 22–24
  • Thomas Hippler: Der „Progreß“ an der Berliner Universität 1842-1844, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 7 (2004), S. 169–189. (Digitalisat)
  • Konrad Jarausch: Deutsche Studenten 1800–1970, Frankfurt/Main 1984, S. 47–57.

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