August Weismann

August Weismann
August Weismann

Friedrich Leopold August Weismann, Königlicher Geheimer Rat, (* 17. Januar 1834 in Frankfurt am Main; † 5. November 1914 in Freiburg im Breisgau) war ein deutscher Biologe. Ernst Mayr stuft ihn als den bedeutendsten Evolutionstheoretiker des 19. Jahrhunderts nach Charles Darwin ein. Er gilt als Begründer des Neodarwinismus.[1]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Jugend und Studium

Weismann wurde geboren als Sohn des Gymnasialprofessors Johann (Jean) Konrad Weismann (1804–1880), der alte Sprachen und Theologie studiert hatte, und seiner Frau Elise (1803–1850), geb. Lübbren, Tochter des Landrats und Bürgermeisters von Stade. Es folgte eine typisch bürgerliche Erziehung des 19. Jahrhunderts: mit vier Jahren erhielt er Musikunterricht, mit 14 Zeichen- und Malunterricht im Frankfurter Städelschen Institut bei Jakob Becker (1810–1872). Sein Klavierlehrer war ein engagierter Schmetterlingssammler und führte ihn in das Sammeln von Faltern und Raupen ein. Aber ein Studium der Naturwissenschaften kam nach dem Abitur aus Kostengründen und mangels Berufsaussichten nicht in Frage. Ein Freund der Familie, der Chemiker Friedrich Wöhler (1800–1882), riet zum Studium der Medizin. Eine Stiftung aus dem Erbe der Mutter ermöglichte Weismann das Studium in Göttingen. Nach dem Abschluss 1856 schrieb er seine Dissertation über die Entstehung der Hippursäure im Körper des Menschen.

Beginn des Berufslebens, erste wissenschaftliche Arbeiten

Unmittelbar nach dem Studium nahm er eine Assistenzstelle an der Städtischen Klinik in Rostock an. Weismann reichte erfolgreich zwei Schriften, eine über die Hippursäure bei Pflanzenfressern und eine über den Salzgehalt der Ostsee ein und gewann zwei Preise. Die Schrift über den Salzgehalt brachte ihn von seinem Wunsch Chemiker zu werden ab, da er an sich die apothekerhafte Genauigkeit vermisste.

Nach einer Studienreise nach Wien, wo er Museen und Kliniken besuchte, legte er sein Staatsexamen als Arzt ab und ließ sich in Frankfurt nieder. Während des Sardinischen Krieges zwischen Österreich, Frankreich und Italien 1859 trat er als Oberarzt dem Militär bei. Während einer Beurlaubung erwanderte er sich Oberitalien und Tirol. Nach einem Studienaufenthalt in Paris studierte er von 1860 bis 1861 bei Rudolf Leuckart (1822–1898) an der Universität Gießen, um anschließend wieder in Frankfurt am Main als Leibarzt des aus Österreich verbannten Erzherzog Stephan auf Schloss Schaumburg zu dienen (1861–1863).

Ab 1863 war Weismann Privatdozent, ab 1865 apl. Professor und schließlich von 1873 bis 1912 Ordinarius für Zoologie und Direktor des Zoologischen Institutes an der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg im Breisgau. Ab 1873 beschäftigte sich Weismann mit den Lebewesen in Süßwasserseen und forschte am Bodensee, am Titisee, dem Zürichsee und dem Lago Maggiore. 1877 arbeitete Weismann zum ersten Mal an der Zoologischen Station Neapel, mit dessen Gründer Anton Dohrn er befreundet war.[2] Dort dehnte er seine Forschungen auf die marinen Formen der Daphnoiden aus, einem Taxon der Krebstiere, der später als Cladocera bezeichnet und mittlerweile aufgelöst wurde.[3]

1867 heiratet er Mary Marie Dorothea Gruber, eine Tochter des Friedrich Gruber, mit der er vier Töchter und den Sohn Julius Weismann (* 1879, Komponist) hatte.[4]

Weismann als Evolutionsbiologe

Am Anfang der Beschäftigung Weismanns mit der Evolutionstheorie steht die Auseinandersetzung mit dem (christlichen) Schöpfungsglauben. In seinem gedruckten Vortrag Über die Berechtigung der Darwin’schen Theorie (1868) verglich er die „alte Schöpfungshypothese“ und die „Transmutations-Hyptohese“ miteinander. Beweisen lasse sich nicht, welche von beiden Hypothesen richtig sei, aber gegebenenfalls lasse sich eine Hypothese durch empirische Tatsachen widerlegen. Weismanns methodische Erläuterungen ähneln dem Falsifikationismus von Karl Popper:[5]

Wie wir vorhin sahen, lässt sich eine wissenschaftliche Hypothese zwar niemals erweisen, wohl aber, wenn sie falsch ist, widerlegen, und es fragt sich deshalb, ob nicht Thatsachen beigebracht werden können, welche mit einer der beiden Hypothesen in unauflöslichem Widerspruch stehen und somit dieselbe zu Fall bringen. (S. 14 f.)

Weismann kam zum Ergebnis, dass sich zahlreiche biologische Tatsachen zwanglos im Sinne der Evolutionstheorie deuten lassen, aber unverständlich bleiben, wenn man sie als Resultate von Schöpfungsakten deutet. Seither war Weismann von der Evolution überzeugt, so wie von den Grundannahmen der Astronomie (der Sonne als Mittelpunkt unseres Planetensystems).

Was den Funktionsmechanismus der Vererbung für die Evolution betrifft, so veränderte Weismann seine Position im Laufe seines Lebens. Dabei lassen sich drei Phasen ausmachen.

1868 bis 1882

Zu Beginn vertritt Weismann Thesen, wie sie im 19. Jahrhundert unter Naturwissenschaftlern weit verbreitet sind. Die beobachtbare Variabilität der Individuen einer Art führt er wie Darwin auf die Vererbung von Merkmalen zurück. Er glaubte dabei, wie er 1876 schrieb, an die „Entstehung der Transmutationen (= Veränderung der Arten) auf dem Weg des direkten Einflusses äußerer Lebensbedingungen“. „Betrachtet man jede Variation als Reaktion (sic!) des Organismus auf äußere Einwirkungen, als eine Ablenkung der ererbten Entwicklungsrichtung, so folgt daraus, dass ohne Veränderung der Außenwelt keine Weiterentwicklung der organischen Formen hätte eintreten können.“ Sogar die klassische Lamarcksche Formel vom Gebrauch und Nichtgebrauch eines Organs nutzt er.

1882 bis 1895

In einem Vortrag, den er 1883 über die Vererbung hielt, wies er erstmalig alle Vorstellungen der Vererbung erworbener Eigenschaften zurück. Ganz in der Art wie er dieses bei der Untersuchung von Schöpfungsglaube gegen Evolution tat, stellte er zahlreiche Einzelbeispiele zusammen, die er mit beiden Thesen zu erklären versucht. Beispielsweise: Wie können die Spezialanpassungen der einzelnen Arbeiter- und Soldatenkasten der Ameisen erklärt werden, wenn diese sich doch niemals fortpflanzen? Mit der Keimplasmatheorie ist eine Erklärung problemlos möglich, Gebrauch und Nichtgebrauch jedoch können hier nicht die gewünschte Wirkung entfalten.

Auch Beispiele, die Darwin selbst mit dem Gebrauch und Nichtgebrauch erklärte, wie die Tendenz zur Degeneration der Flügel und einer Kräftigung der Füße bei domestiziertem Wassergeflügel, erklärte er nun mit der Keimplasmatheorie. Trotzdem waren seine Zeitgenossen nicht überzeugt.

1896 bis 1910

Weismann arbeitete über die Keimesentwicklung an Seeigeleiern, an deren Beispiel er unterschiedliche Zellteilungsformen, die Äquatorialteilung und die Reduktionsteilung, beobachten konnte und damit diese Begriffe in die Entwicklungsbiologie einführte.

Er vertrat die Keimplasmatheorie, welche besagt, dass multizellulare Organismen aus Keimzellen, die die Erbinformationen enthalten, sowie aus somatischen Zellen bestehen, die die Körperfunktionen ausführen. Die Keimzellen werden weder beeinflusst durch das, was der Körper lernt, noch durch irgendwelche Fähigkeiten, die dieser während seines Lebens erwirbt, und können somit diese Informationen auch nicht an die nächste Generation weiterreichen (Weismann-Barriere). Dies führte schließlich zur Wiederentdeckung des Werkes Gregor Mendels und widerlegte die Ideen des Lamarckismus und der Telegonie.

1905 wurde er Ehrenmitglied der in diesem Jahr in Berlin gegründeten Gesellschaft für Rassenhygiene. 1908 wurde ihm die Darwin-Medaille von der Royal Society verliehen, in die er am 30. Juni 1910 als „Foreign Member“ gewählt wurde.


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