Prinzip der Zweiwertigkeit

Prinzip der Zweiwertigkeit

Das Prinzip der Zweiwertigkeit, auch Bivalenzprinzip genannt, ist die Eigenschaft einer Logik, dass semantisch jeder Formel genau einer von zwei Wahrheitswerten zugewiesen wird. Häufig werden diese Wahrheitswerte als wahr und falsch bezeichnet.

Logiken, für die das Prinzip der Zweiwertigkeit erfüllt ist, nennt man auch zweiwertige Logiken. Ist das Prinzip der Zweiwertigkeit nicht erfüllt, spricht man von mehrwertiger Logik.

Das Prinzip der Zweiwertigkeit ist zu unterscheiden von dem auch innerhalb mehrerer mehrwertigen Logiken gültigen Satz vom ausgeschlossenen Dritten, der besagt, dass sich P ∨ ¬P innerhalb des logischen Systems bzw. seines Kalküls syntaktisch ableiten lässt.

Inhaltsverzeichnis

Formale Definition

Wenn man für einen Kalkül eine formale Semantik aufstellt, dann verwendet man für die Zuordnung von Wahrheitswerten zu Formeln eine Funktion, die Bewertungsfunktion (auch Denotationsfunktion oder Wahrheitswertefunktion) genannt wird. Für die Bewertungsfunktion wird oft das Zeichen [[\cdot]] verwendet; die zu bewertende Formel wird dabei zwischen die eckigen Klammern geschrieben. Da die Bewertungsfunktion alle wohlgeformten Formeln des Kalküls bewerten muss, ist ihr Definitionsbereich ebendiese Menge der wohlgeformten Formeln des Kalküls; das kann man formal wie folgt ausdrücken:

\mathrm{Dom}[[\cdot]] = M
Dabei ist M die Menge der wohlgeformten Formeln des Kalküls; der Ausdruck "Dom" ist die Abkürzung für domain, engl. Definitionsbereich.

Da die Bewertungsfunktion für jede Formel einen Wahrheitswert liefern soll, muss ihr Wertebereich die Menge der Wahrheitswerte sein:

\mathrm{Ran}[[\cdot]] = \{\mathrm{wahr},\mathrm{falsch}\}
Der Ausdruck "Ran" ist die Abkürzung für "range", engl. Wertebereich

Da [[\cdot]] eine Funktion im mathematischen Sinn, d.h. eine Abbildung ist, ist sichergestellt, dass sie für keine Formel mehr als einen Wahrheitswert liefert. Da der Definitionsbereich von [[\cdot]] die Menge aller wohlgeformten Sätze ist, ist obendrein sichergestellt, dass die Bewertungsfunktion für jeden Satz einen Wahrheitswert liefert. Das Prinzip der Zweiwertigkeit lässt sich durch Kombination dieser beiden Feststellungen daher formal wie folgt formulieren:

\mathrm{Dom}[[\cdot]] = M\;\and\;\mathrm{Ran}[[\cdot]] = \{\mathrm{wahr},\mathrm{falsch}\}

Abgrenzung

Das Bivalenzprinzip ist eine deskriptive semantische Eigenschaft logischer Systeme. Einige logische Systeme haben diese Eigenschaft, z.B. die klassische Logik: Sie sind zweiwertig. Andere Systeme haben diese Eigenschaft nicht: Sie sind mehrwertig. Das Bivalenzprinzip ist kein normatives Prinzip, also keine Forderung, dass logische Systeme zweiwertig sein müssen.

Das Bivalenzprinzip steht mit anderen Fragestellungen in Verbindung, vor allem mit metaphysischen oder mit sprachwissenschaftlichen Fragen. Ein Beispiel wäre die metaphysische Frage, ob die Wirklichkeit adäquat durch zweiwertige Logik beschrieben werden kann, ob also ein metaphysisches Bivalenzprinzip gilt – ob es eine absolute Wahrheit gibt. Solche Fragen werden in der Wissenschaftstheorie und Sprachphilosophie behandelt. Die Korrespondenztheorie der Wahrheit geht von einer objektiven, absoluten Wahrheit aus und bejaht eine solche metaphysische Idee, während die Kohärenztheorie Wahrheit als subjektive gesellschaftliche Konstruktion versteht, die nur relativ zum sozialen Standort des Betrachters existiert.

In der Philosophie der Mathematik bezieht sich das Bivalenzprinzip insbesondere auf die Frage, ob mathematische Sätze nur Zeichenfolgen sind, die umgeformt werden, oder ob sie Aussagen über Objekte in einer mathematischen Welt machen, so wie der Satz "heute regnet es" nach dem Realismus des Alltagsverstandes eine Aussage über die reale Welt macht. Platon war der Auffassung, dass es eine objektive ideale mathematische Welt gibt (bei ihm das Reich der Ideen), deren Existenz vom Menschen vollständig unabhängig ist.[1] Diese Sicht wird insbesondere im Intuitionismus abgelehnt, wo die Wahrheit und Falschheit eines Satzes auf das subjektive Evidenzerlebnis bei seiner deduktiven Konstruktion reduziert wird. Karl Popper versuchte in seiner pluralistischen Ontologie (Drei-Welten-Lehre), beide Sichtweisen zu vereinen, indem er zwar anerkannte, dass mathematische Welten vom Menschen geschaffen werden, jedoch trotzdem den Standpunkt vertrat, dass die Existenz der Welt und insbesondere ihre Eigenschaften objektiv und unabhängig vom Menschen ist. Mathematische Theorien gehören somit in Poppers Welt 3, die Welt der objektiven Gehalte der menschlichen Kultur.

Anmerkungen

  1. Vgl. sein Höhlengleichnis.

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