Praktische Vernunft

Praktische Vernunft

Kritik der praktischen Vernunft (KpV) ist der Titel des zweiten Hauptwerks Immanuel Kants; es wird auch als „zweite Kritik“ (nach der Kritik der reinen Vernunft und vor der Kritik der Urteilskraft) bezeichnet und erschien erstmals 1788 in Riga.

Die KpV enthält Kants Moralphilosophie/Ethik und gilt bis heute als eines der wichtigsten Werke der praktischen Philosophie überhaupt.

Inhaltsverzeichnis

Der kategorische Imperativ

Kant leitet die Prinzipien der Moral direkt aus der menschlichen Vernunft ab, statt aus einer göttlichen Vorschrift. Kernstück der KpV ist die Lehre vom kategorischen Imperativ, der als Kennzeichen von Moralität die strikte Verallgemeinerbarkeit von persönlichen Handlungsgrundsätzen (Maxime) verkörpert. Der kategorische Imperativ wird von Kant auch als Sittengesetz oder moralisches Gesetz bezeichnet, in der KpV nennt er ihn „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“ und formuliert:

„Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“

§ 7 Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft in der KdpV, S. 54[1]

Moralisches Handeln nach Kant ist Handeln nach dem kategorischen Imperativ. Der Mensch ist als Vernunftwesen frei und kann nach Grundsätzen der Vernunft handeln. Diese Fähigkeit vermag das instinkt- und lustgeleitete Handeln ebenso zu überwinden, wie ein Handeln aus pragmatischen oder taktischen Motiven.

Herleitung des Sittengesetzes

Die Grundsätze der praktischen Vernunft sind entweder subjektive Maximen, die für den eigenen Willen Gültigkeit beanspruchen können oder objektive Gesetze, die für jeden vernünftigen Willen maßgeblich sind. Bestimmt die Vernunft selbst vollständig den Willen, ist der sich daraus ableitende objektiv notwendige Grundsatz ein kategorischer Imperativ.

Subjektive Willensbestimmungen des Begehrungsvermögens haben empirischen Charakter, denn ihr Entstehungsgrund ist das gesuchte subjektive Verhältnis zum Gegenstand der Wirklichkeit. Nach Maßgabe dieser Willensbestimmungen ist es nicht möglich, eine für jeden gültige Verpflichtung in Form eines allgemeinen Gesetzes herzustellen. Praktische allgemeingültige Gesetze der reinen Vernunft, deren objektive Notwendigkeit a priori erkannt wird, können sich daher allein auf eine bloß formale Willensbestimmung beziehen. Die reine Vernunft nötigt den von aller Kausalität freien Willen, sich einem allgemeinen Gesetz, dem Sittengesetz zu verpflichten. Die bloße Form der allgemeinen Gesetzgebung bestimmt demnach den autonomen Willen.

Der Mensch hat als autonomes Vernunftwesen die Fähigkeit der unmittelbaren Erkenntnis seines Willens und erhebt sich in der praktischen Vernunft über seinen empirischen Charakter und seine Abhängigkeit von der Außenwelt. Er ist frei in seinem Handeln nach sittlichen Grundsätzen.

Wichtigste Ausgaben

  • Immanuel Kant: Critic der practischen Vernunft. Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1788 (292 S., Nachdruck Erlangen 1984).
  • Immanuel Kant: Kants gesammelte Schriften. Hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 5, hrsg. von Paul Natorp, Berlin 1908, S. 1–163 (2. Aufl. 1913; Nachdruck Berlin 1961, 2. Aufl. 1969; Paperback Berlin 1968 u.ö.
  • Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hrsg. von Joachim Kopper, Reclam, Stuttgart 1961 u.ö. (= Reclams Universal-Bibliothek Nr. 1111-13, später Nr. 1111).
  • Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hrsg. von Horst D. Brandt und Heiner F. Klemme, Meiner, Hamburg 2003, ISBN 3-7873-1650-7 (= Philosophische Bibliothek 506).

Literatur

  • Otfried Höffe (Hrsg.): Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Berlin 2002.
    (durchgängiger Kommentar in Aufsätzen renommierter Experten)
  • Giovanni B. Sala: Kants 'Kritik der praktischen Vernunft'. Ein Kommentar. Darmstadt 2004, ISBN 3-5341-5741-9.
    (Erster durchgängiger Kommentar in deutscher Sprache, sehr textnahe Erläuterungen, anspruchsvoll)
  • Theodor W. Adorno: Probleme der Moralphilosophie. Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-5185-8225-9.
    (Adorno beschäftigt sich in dieser Vorlesung aus dem Jahr 1963 fast ausschließlich mit der Kantischen Moralphilosophie.)
  • Claudia Graband: Das Vermögen der Freiheit: Kants Kategorien der praktischen Vernunft. Kant-Studien 96. Jahrg., S. 41–65 © Walter de Gruyter 2005 ISSN 0022-8877

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Seitenangabe der Erstausgabe Riga 1788; hier entnommen aus: Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft. Hrsg. von Horst D. Brandt und Heiner F. Klemme, Meiner, Hamburg 2003, ISBN 3-7873-1700-7, S. 41.

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