Postkommunistische Systemtransformation

Postkommunistische Systemtransformation

Postkommunistische- auch Postsozialistische Systemtransformation ist eine Sonderform der Transformation eines politischen Systems, bezogen auf den Wandel von ehemals kommunistischen / sozialistischen Systemen hin zu marktwirtschaftlichen.

Inhaltsverzeichnis

Merkmale und Perioden

Folgende sechs Eigenschaften (nach Jerzy Mackow, 2005) zeichnen die postkommunistische Systemtransformation als solche aus:

  • Das sogenannte "Dilemma der Gleichzeitigkeit" auch "Gleichzeitigkeitsdilemma" (so von Claus Offe genannt, alle Aspekte der gesellschaftlichen Ordnung des Landes werden gleichzeitig verändert, Offe geht jedoch von einem autoritären Staat aus, Mackow von einem totalitären)
  • Das Fehlen einer Bürgergesellschaft bzw. Zivilgesellschaft in dem jeweiligen Land
  • Die Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft und die Veränderung der Eigentumsverhältnisse
  • Ein omnipräsenter, aber ineffizienter Staat
  • Der "Posttotalitäre Voluntarismus" (Demokratisierung ist das offiziell definierte Ziel)
  • Rolle des Militärs (anders als in anderen autoritären Systemen gehörte es nicht zu den Initiatoren des Systemwechsels)

Mackow (2005) unterscheidet in der postkommunistischen Systemtransformation zwischen zwei Perioden nach der Umbruchsphase:

  • Periode der außergewöhnlichen Politik

Neue Regierung erhält große Legitimität. Die Bereitschaft der Bevölkerung negative soziale Folgen der Wirtschaftsreformen zu ertragen ist hoch, denn die Hoffnung auf eine positive und schnelle Wirkung des Systemwechsels auf das Allgemeinwohl ist groß.

  • Periode der normalen Politik

Regierung wird wie in "normalen" politischen Systemen nach dem beurteilt, was sie kurz- und mittelfristig für das Volk erreicht.

Phasen

Man unterscheidet zwischen

  1. dem Ende des jeweiligen autokratischen Regimes,
  2. der Institutionalisierung der neuen Demokratie und
  3. der Phase der Konsolidierung der Demokratie.

Das Ende des Regimes

Ein autokratisches Regime kann aus verschiedenen Gründen zusammenbrechen:

  • Systeminterne Ursachen (Legitimitätskrisen aufgrund ökonomischer Effizienz oder Ineffizienz oder politischen Schlüsselereignissen)
  • Systemexterne Ursachen (Kriegsniederlage, Wegfall externer Unterstützung oder Dominoeffekt)

Es gibt 6 typische Verlaufsformen für die Ablösung autokratischer Systeme:

  • Eine langandauernde Evolution
  • Ein von den alten Eliten gelenkter Systemwechsel
  • Ein von unten erzwungener Systemwechsel
  • Ein ausgehandelter Systemwechsel
  • Den Zerfall und sofortige Neugründung des Staates

Demokratisierungsprozesse

Laut Mackow (2005) unterscheidet die Transformationsforschung bei der Analyse der Demokratisierungsprozesse zwischen

  • Liberalisierung der alten autoritären Systeme
  • Institutionalisierung und Konsolidierung der neuen demokratischen Systeme

In der postkommunistischen Systemtransformation waren Polen, Ungarn und die Sowjetunion die einzigen, in denen eine Form der Liberalisierung ab der zweiten Hälfte der 80er Jahre stattfand. In den anderen Ländern des Warschauer Paktes erfolgte der Zusammenbruch des Kommunismus abrupt.

Institutionalisierung

Unter der Institutionalisierung versteht man hier die Phase, in der die politische Herrschaft von den alten herrschenden Eliten auf ein Set institutionalisierter Regeln übergeht. Wenn also die Kontrolle der politischen Entscheidungen den alten politischen Eliten entgleitet und demokratischen Verfahren überantwortet wird, spricht man vom Beginn der Demokratisierungsphase. Mit der Verabschiedung einer demokratischen Verfassung endet die Demokratisierungsphase, falls diese Verfassung den politischen Wettbewerb und die politischen Entscheidungsverfahren verbindlich normiert. Zu diesem Zeitpunkt bilden sich neue demokratische Strukturen in dem Staat.

Mackow (2005) kritisiert diese "starre" Einteilung der maximalistischen Autoren. Er führt unter anderem soziologische Theorien auf, die die scharfe Trennung zwischen dem Aufbau der demokratischen Institutionen und die Verinnerlichung von demokratischen Werten, Normen und Verfahren, in Frage stellen. Nach Mackow hat die Institutionalisierung eine strukturelle und kulturelle Dimension. Demokratische Institutionalisierung bedeutet demnach die Errichtung von legitimen demokratischen Institutionen. Dazu gehören u.a.: freie Wahlen, Parlamente, Regierungen, Verfassungsgerichte, andere Organe der Justiz. Die Demokratische Institutionalisierung muss zu Beginn der Periode "normale Politik" abgeschlossen sein. Sobald Demokratie institutionalisiert ist, beginnt deren Konsolidierung, die weit in die Periode "normale Politik" hineinreicht. (vgl. Mackow, 2005)

Konsolidierung

Mit der Verabschiedung einer Verfassung alleine ist ein System noch nicht stabilisiert. Die geschaffenen bzw. umstrukturierten Institutionen müssen an Stabilität gewinnen.

Die demokratische Konsolidierung kann "negativ" (außerhalb der politischen Institutionen verfolgt kein Akteur seine Interessen und Ziele) oder "positiv" (das Gesamtsystem ist nicht nur in den Augen der Eliten legitim und ohne Alternative, sondern auch die gesamte Bürgerschaft reflektiert die stabile Demokratie) verlaufen (vlg. Pridham, Geoffrey)

Nach Wolfgang Merkel kann die Konsolidierung in vier chronologisch erfolgende Ebenen unterteilt werden:[1]

konstitutionelle Konsolidierung
Strukturen des politischen Systems auf Verfassungsebene wie Staatsoberhaupt, Regierung, Parlament, Judikative und Wahlsystem
repräsentative Konsolidierung
Akteure wie Parteien und Interessensgruppen
Verhaltenskonsolidierung
informelle politische Akteure wie z. B. Industrie und Militär
Konsolidierung der Bürgergesellschaft
die Bürger des Landes entwickeln eine civil society und civil culture und tragen somit das neue System auch aktiv

Unter den Wissenschaftlern gilt ein System maximalistisch gesehen als konsolidierte Demokratie, wenn alle diese Ebenen erfüllt sind.

Da Mackow die starre Einteilung zwischen "Institutionalisierung" und "Konsolidierung" als falsch erachtet, kritisiert er naturgemäß auch den Ansatz zur Konsolidierung der Theoretiker des maximalistischen Ansatzes. Die Demokratie ist seiner Meinung nach dann konsolidiert, wenn Eliten und Volk gelernt haben

  • die demokratischen Prozeduren zu nutzen
  • die demokratischen Grundprinzipien und Normen verinnerlicht haben

In diesem Zusammenhang führt Mackow Przeworski's und Huntingon's Theorien kritisch an. (vlg. Mackow, 2005)

Mit der dritten Demokratisierungswelle wurde die Transformationsforschung wider Erwarten jedoch mit neuen Problemen konfrontiert. Schien die Demokratie zunächst in den 80er und 90er Jahren ihren Siegeszug angetreten zu haben, deuten die Zeichen inzwischen vielmehr darauf hin, „dass die dritte Welle der Demokratisierung weniger ein Triumph der liberalen Demokratie, als vielmehr eine Erfolgsgeschichte „defekter“ Varianten der Demokratie werden könnte.“ Konkreter ausgedrückt, sind in den 80er und 90er Jahren in vielen Ländern politische Regime entstanden, in denen gleiche und mehr oder weniger freie Wahlen zugelassen wurden, in denen aber beispielsweise einigen Bevölkerungsteilen die politischen Partizipationsrechte entzogen wurden, in denen demokratisch legitimierte Regierungen mit z.B. Militärs ihre politischen Entscheidungskompetenzen teilen müssen, oder in denen die liberal-rechtsstaatliche Komponente der Demokratie nur eingeschränkt wirksam ist. Damit hat sich die Unterscheidung von autokratischen und demokratischen Regimen vor allem auf der strukturellen Ebene erschwert. Kaum ein politisches System basiert nicht auf der Abhaltung von Wahlen, verfügt nicht über einen Verfassungstext, der sich auf Volkssouveränität, Menschen- und Bürgerrechte beruft oder dessen Regierungssystem nicht an den Grundzügen der Gewaltenteilung und Gewaltenverschränkung orientiert ist. Eine große Zahl von Wissenschaftlern versucht dieses Phänomen theoretisch zu fassen, und Adjektive vor das Wort Demokratie zu stellen: O´Donnells: „delegative democracy“, Karls: „hybride regimes“, Diamonds: „electoral democracy“, Zakarias: „illiberal democracy“, Merkels: „Defekte Demokratie“ oder der aus Putins Kreisen bekannte Begriff "gelenkte Demokratie". Juan Linz und auch Macków sind der Meinung, es wäre passender, Adjektive vor Autoritarismus zu setzen, denn diese Systeme seien meist einfach keine Demokratien, egal wie moderat man es definieren möge.

Historische Fälle

Folgende Länder fallen in ihrer Entwicklung unter das Phänomen der Postkommunistischen Systemtransformation: Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Estland, Georgien, Kroatien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Montenegro, Polen, Tschechien, Ungarn, Ukraine, Rumänien, Russland, Serbien, Slowenien, Weißrussland und als Sonderfall die DDR (heute die fünf neuen Bundesländer und Ostteil Berlins).

  • Länder die als weitgehende konsolidiert gelten (Auszug):

Demokratisch: Estland, Lettland, Litauen ... Autoritär oder Semi-autoritär: Weißrussland, Russland, Tadschikistan ...

  • Länder die nur mangelhaft konsolidiert sind (Auszug): Ukraine, Georgien ...

Je nachdem wie weit das politische System in den jeweiligen ehemaligen Sowjetstaaten demokratisch entwickelt ist, kann man diese Systeme typologisch verschieden einordnen. Im Falle Russlands spricht man z.B. oft von einer "defekten Demokratie" (Begriff nach Wolfgang Merkel).

Literatur

  • Jürgen Beyer, Jan Wielgohs und Helmut Wiesenthal (Hrsg.): Successful Transitions. Political Factors of Socio-Economic Progress in Postsocialist Countries. Nomos, Baden-Baden 2001, ISBN 978-3789071058.
  • Jerzy Macków: Totalitarismus und danach. Einführung in den Kommunismus und die postkommunistische Systemtransformation. Nomos, Baden-Baden 2005, ISBN 978-3-8329-1486-8.
  • Jerzy Macków 1999: Der Wandel des kommunistischen Totalitarismus und die post-kommunistische Systemtransformation: Periodisierung, Problematik und Begriffe, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft (ZPol). 9, 4/99.
  • Wolfgang Merkel, Hans-Jürgen Puhle, Aurel Croissant (Hrsg.): Defekte Demokratien. Bd.2, Defekte Demokratien in Osteuropa, Ostasien und Lateinamerika. VS, Wiesbaden 2006, ISBN 3-8100-3235-2.
  • Wolfgang Merkel: Systemtransformation. Leske & Budrich, Opladen 1999 ISBN 3-8100-2234-9
  • Eberhard Sandschneider 1995: Stabilität und Transformation politischer Systeme. Stand und Perspektiven politikwissenschaftlicher Transformationsforschung. Opladen
  • Jan Slodowicz: Bildungspolitik und Systemtransformation in Zentraleuropa, VDM, Berlin 2007, ISBN 978-3-8364-2367-0
  • Hans-Joachim Veen (Hrsg.): Alte Eliten in jungen Demokratien? Wechsel, Wandel und Kontinuität in Mittel- und Osteuropa. Böhlau, Köln 2004, ISBN 978-3-531-15393-3.

Quellen

  1. Wolfgang Merkel: Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. Opladen 1999, S. 145 ff., ISBN 3-8100-2234-9.

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