Politisches System der Schweiz

Politisches System der Schweiz
Politisches System der Schweiz (Bürger, Kantone, Bund, ohne Gemeindeebene)

Das politische System der Schweiz basiert auf dem demokratischen, republikanischen und rechtsstaatlichen Prinzip.

Inhaltsverzeichnis

Einführung

Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist weder eine rein parlamentarische noch eine präsidiale Demokratie, sondern hat ein Regierungssystem weitgehend eigener Prägung entwickelt. Darin sind neben einem nationalen Zweikammerparlament und einer einzigartig konzipierten Bundesregierung – dem Bundesrat – vor allem zwei Hauptcharakteristiken enthalten:

Die Gründe für dieses «genossenschaftliche» Staatsverständnis liegen vor allem in der Entstehung, Zusammensetzung und Entwicklung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der schweizerischen «Nation», die oft als Willensnation bezeichnet wird: Das Land ist weder ethnisch noch sprachlich, noch kulturell oder konfessionell eine Einheit, sondern versteht sich als ein aus dem freien Willen ihrer Bürger zusammengeschlossenes Gemeinwesen. Berücksichtigt wird die Tradition der alten Schweiz vor 1848 als heterogenes Bündnis unabhängiger Kleinrepubliken, den Vorläufern der heutigen Kantone (in dieser Tradition auch als Staaten bezeichnet).

Die Schweizer Politik hat ihre eigene Terminologie: häufig gebrauchte Ausdrücke mit einem spezifischen Schweizer Bedeutungsgehalt sind neben den bereits genannten die Interpellation, die Kommission, die Motion, die Petition, das Postulat, die Subsidiarität und der Urnengang.

Grundlage bildet, neben den kantonalen Verfassungen, die Schweizerische Bundesverfassung, die 1848 die moderne Schweiz begründete und seither ständig überarbeitet sowie 1874 und 1999 vollständig erneuert wurde.

Bund und Unterteilung

Der Bund ist die oberste politische Ebene der Schweiz und ist somit ein Synonym für die Schweizerische Eidgenossenschaft. Die Schweiz kennt drei bzw. vier Unterteilungen des Staates: GemeindeBezirkKanton – Bund. Der Bund umfasst alle Kantone der Schweiz.

Legislative

Bundesebene

Das Parlament (Bundesversammlung) besteht aus zwei Kammern:

  • dem Nationalrat als Volksvertretung (200 Mitglieder). Jeder Kanton stellt Nationalräte gemäss seinem Anteil an der Bevölkerung, mindestens jedoch einen (so in Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Nidwalden, Obwalden und Uri). Der Nationalrat wird in den Kantonen mit mehr als einem Sitz durch eine Proporzwahl gewählt. Die Nationalräte der 6 Kantone Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, Glarus, Nidwalden, Obwalden und Uri werden durch Majorzwahl gewählt.
  • dem Ständerat als «Kantonsvertretung» (46 Mitglieder; 2 pro Kanton mit Ausnahme von 6 Kantonen, die nur 1 Mitglied stellen und historisch Halbkantone genannt werden). Die Ständeräte werden in den Kantonen mit Majorzwahl gewählt (ausser im Kanton Jura). Der Begriff «Kantonsvertretung» ist allerdings irreführend, da die Ständeräte weder rechtlich noch tatsächlich ihren Kanton (Kantonsregierung, Kantonsparlament) vertreten müssen (siehe unten Instruktionsverbot). Dies im Gegensatz z. B. zum deutschen Bundesrat.

Nationalrat und Ständerat tagen in der Regel getrennt. Alle Gesetzgebungsvorhaben (Verfassungsänderungen, Bundesgesetze, Bundesbeschlüsse, Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen) werden in beiden Kammern behandelt und müssen von beiden Kammern angenommen werden. Im sogenannten Differenzbereinigungsverfahren werden allenfalls unterschiedliche Beschlüsse der Kammern zu einem Konsens geführt. Eine Ausnahme der getrennten Beratung der beiden Kammern bildet die Vereinigte Bundesversammlung. Für die Wahl des Bundesrates, des Bundeskanzlers, der Bundesrichter und im Kriegsfall des Generals vereinigen sich National- und Ständerat zu einem Wahlorgan. Eine weitere Funktion der Vereinigten Bundesversammlung ist die Begnadigung (Erlass einer einem Individuum durch Bundesbehörden auferlegten Strafe gemäss Bundesrecht).

Die National- und Ständeräte sind bei der Ausübung ihres Mandats nicht an Weisungen von Kantonen, Parteien oder anderen Instanzen gebunden (sogenanntes Instruktionsverbot). In der politischen Realität allerdings sind zahlreiche Parlamentarier von Interessen und Interessenverbänden usw. abhängig.

Das Schweizer Parlament ist ein sogenanntes Milizparlament, das heisst die National- und Ständeräte üben ihr Mandat (zumindest in der Theorie) nicht hauptberuflich aus. Sie erhalten dementsprechend vom Staat keinen Lohn, sondern unter anderem Sitzungsgelder. Das Einkommen eines Nationalrates aus seinem Mandat beträgt rund 100'000 Franken pro Jahr; Ständeräte verdienen wegen der häufigeren Sitzungen mehr. Aufgrund der hohen Belastung durch das politische Mandat spielt der ursprüngliche Hauptberuf oft nur eine untergeordnete Rolle. Die meisten Parlamentarier haben zusätzlich weitere, zum Teil sehr lukrative Mandate in Verwaltungs- und Stiftungsräten, als Präsidenten von Organisationen und Komitees aller Art sowie Beratungsmandate.[1]

Das schweizerische Parlament arbeitet vor allem in Kommissionen.

Siehe auch: Gesetzgebungsverfahren in der Schweiz

Kantonale Ebene

Die Parlamente in den Kantonen heissen zumeist Kantonsrat oder Grosser Rat, in den Kantonen Basel-Landschaft, Glarus, Nidwalden und Uri Landrat und im Kanton Jura Parlament. Die Anzahl der Mitglieder schwankt zwischen 49 und 180.

Diese werden direkt vom Volk in der Regel auf vier, in den Kantonen Freiburg und Waadt auf fünf Jahre gewählt. Mit Ausnahme von Graubünden und den beiden Appenzell (hier wiederum mit umgekehrter Ausnahme des Wahlkreises Herisau), wo das Mehrheitswahlrecht gilt, gelangt heute überall das Verhältniswahlrecht zur Anwendung. Die früher in grossen Teilen der Schweiz übliche Amtsdauer von drei Jahren wurde zuletzt im Kanton Appenzell Ausserrhoden 1995 und im Kanton Graubünden 2003/2006 auf vier Jahre verlängert; letzterer Kanton kannte bis ins ausgehende 20. Jahrhundert sogar eine parlamentarische Amtsdauer von nur zwei Jahren.

In den Kantonen Bern, Uri, Solothurn, Schaffhausen und Tessin kann das Kantonsparlament mittels Volksinitiative, die dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden muss, vorzeitig abberufen werden. Angesichts der mit vier Jahren nicht überlangen Amtsdauer ist dieses Recht allerdings von untergeordneter Bedeutung.

Exekutive

Bundesebene

Der Bundesrat ist die Schweizer Bundesregierung. Er besteht aus sieben gleichberechtigten Mitgliedern (siehe auch Kollegialitätsprinzip), die den einzelnen Departementen der Bundesverwaltung vorstehen. Der Bundesrat wird vom Parlament gewählt.

Gegenwärtige Mitglieder (Stand: 1. November 2010):

Mitglied Kanton Partei
Didier Burkhalter Kanton NeuenburgKanton Neuenburg Neuenburg FDP.Die Liberalen
Micheline Calmy-Rey (Bundespräsidentin 2011) Kanton GenfKanton Genf Genf SP
Doris Leuthard Kanton AargauKanton Aargau Aargau CVP
Ueli Maurer Kanton ZürichKanton Zürich Zürich SVP
Johann Schneider-Ammann Kanton BernKanton Bern Bern FDP.Die Liberalen
Simonetta Sommaruga Kanton BernKanton Bern Bern SP
Eveline Widmer-Schlumpf (Vizepräsidentin 2011) Kanton GraubündenKanton Graubünden Graubünden BDP

Der Bundespräsident wird im alljährlichen Turnus aus dem Bundesrat gewählt und präsidiert als primus inter pares die Bundesregierung neben seinen Pflichten als Departementsvorsteher, übt aber nicht die Pflichten eines Staatsoberhauptes aus.

Kantonale Ebene

Die gliedstaatliche Exekutive heisst in den meisten deutschschweizerischen Kantonen Regierungsrat, in den ganz oder mehrheitlich französischen Kantonen sowie im italienischen Kanton Tessin Staatsrat (französisch: Conseil d’État, italienisch: Consiglio di Stato), im Kanton Appenzell Innerrhoden Standeskommission und in den Kantonen Graubünden und Jura Regierung (französisch: Gouvernement, italienisch: Governo, rätoromanisch: Regenza). Die Anzahl der Mitglieder beträgt je nach Kanton fünf oder sieben Mitglieder. In den letzten Jahren ist aus Spar- und Effizienzgründen ein Trend zur Verkleinerung der Kantonsregierungen von sieben auf fünf Mitglieder zu beobachten.

Gleich wie auf Bundesebene gilt das Kollegialitätsprinzip. Es gibt somit keinen kantonalen Regierungschef, sondern in der Regel lediglich ein sog. Primus inter Pares, der für ein Jahr die Sitzungen der Regierung leitet. Dieser trägt je nach Kanton eine andere Bezeichnung, am häufigsten (Regierungs-)Präsident, dann auch Landammann, Regierender Landammann (Appenzell Innerrhoden) oder Schultheiss (Kanton Luzern; bis 2007). Dazu ist ein Regierungsmitglied jeweils für ein Jahr Vize und damit designierter Regierungspräsident bzw. Landammann für das nächste Jahr. Einen andern Weg beschreiten die neuen Kantonsverfassungen der Waadt (2003) und von Basel-Stadt (2005), welche die Amtsdauer des Regierungspräsidenten mit derjenigen des Regierungsrates gleichsetzen, also die früher einjährige Amtsdauer auf fünf bzw. vier Jahre ausdehnen.

Die Mitglieder werden überall direkt vom Volk gewählt, heute in der Regel für eine Amtsdauer von vier, in den Kantonen Freiburg und Waadt von fünf Jahren, im Kanton Appenzell Innerrhoden aber von nur einem Jahr. Mit Ausnahme der Kantone Tessin und Zug, wo das Verhältniswahlrecht gilt, gelangt überall das Mehrheitswahlrecht zur Anwendung.

In den Kantonen Bern, Uri, Solothurn, Schaffhausen, Thurgau und Tessin kann die Kantonsregierung mittels Volksinitiative, die obligatorisch dem Volk zu unterbreiten ist, vorzeitig abberufen werden. Angesichts der mit vier Jahren nicht überlangen Amtsdauer der Behörde kommt diesem Recht freilich wenig Bedeutung zu.

Judikative

Bundesebene

Die Judikative auf Bundesebene besteht aus dem Bundesgericht mit Sitz in Lausanne und Luzern (zwei sozialrechtliche Abteilungen), dem Bundesstrafgericht in Bellinzona (seit April 2004) und dem Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen (seit Januar 2007; bis 2010 in Bern). Die Wahl der Richter und Richterinnen erfolgt durch die Vereinigte Bundesversammlung.

  • Das Bundesgericht (BGer) in Lausanne besteht aus 38 hauptamtlichen sowie 15+1 ordentlichen und 15 ausserordentlichen nebenamtlichen Bundesrichtern. Es überwacht die Verfassungsmässigkeit von eidgenössischen Entscheidungen im Gebiet des Zivil- und Strafrechts sowie kantonaler Entscheidungen in anderen Rechtsbereichen. Zudem fungiert es als höchste Instanz bei Gerichtsentscheidungen. Die zwei sozialrechtlichen Abteilungen des Bundesgerichts (bis 31. Dezember 2006 Eidgenössisches Versicherungsgericht) in Luzern haben die letztinstanzliche Jurisdiktion im Bereich der Sozialversicherungen (u. a. AHV, IV, BVG, AVIG, UVG und EO). Die Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts (BGE) gilt als Leitlinie für sämtliche Gerichtsentscheidungen in der Schweiz.
  • Das Bundesstrafgericht (BStGer) in Bellinzona hat seinen Betrieb am 1. April 2004 aufgenommen. Es umfasst 15 bis 35 Richterstellen[2] und beurteilt erstinstanzlich Straffälle, die der Gerichtsbarkeit des Bundes zugewiesen sind (z. B. Sprengstoffanschläge, schwere Fälle von organisierter Kriminalität). Gegen seine Entscheidungen stehen Rechtsmittel an das BGer zur Verfügung.
  • Das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) hat seit 1. Januar 2007 seinen Betrieb in Bern und Zollikofen aufgenommen. Es wird voraussichtlich 2012 an seinen Sitz in St. Gallen ziehen.

Auf Bundesrecht basiert auch die Tätigkeit der Militärgerichte bzw. der Militärjustiz.

Die Schweiz kennt auf Bundesebene keine Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie zum Beispiel das deutsche Bundesverfassungsgericht ausübt. Für das Bundesgericht sind die Bundesgesetze verbindlich, ihm ist es nicht möglich, sich auf Unvereinbarkeit mit Verfassungsbestimmungen zu berufen und dadurch zum Beispiel Bundesgesetze für ungültig erklären zu lassen.

Kantonale Ebene

Die Judikative auf kantonaler Ebene umfasst alle den Bundesgerichten vorgeschalteten Instanzen.

  • Als Schlichtungsstelle fungieren die meist auf kommunaler Ebene angesiedelten Friedensrichter oder Vermittler.
  • Als eigentliche erste Instanz amten die Bezirksgerichte, je nach Kanton auch Amtsgericht, Regionalgericht, Kreisgericht (im Kanton Graubünden sind Bezirks- und Kreisgericht allerdings zwei verschiedene Behörden), Kantonsgericht (in gewissen kleineren Kantonen mit nur einem einzigen Gericht erster Instanz) oder Zivilgericht bzw. Strafgericht genannt.
  • Die zweite Instanz trägt in vielen Kantonen die Bezeichnung Obergericht, in anderen Kantonsgericht (dieser Begriff kann somit je nach Kanton ein Gericht erster oder zweiter Instanz bezeichnen), im Kanton Basel-Stadt Appellationsgericht, im Kanton Tessin Appellationsgericht (zivilrechtliche Streitigkeiten) bzw. Strafgericht zweiter Instanz (strafrechtliche Streitigkeiten).
  • Überdies bestehen vielfach Fach- oder Spezialgerichte. In erster Linie zu nennen ist das Verwaltungsgericht, das je nach Kanton ein selbständig organisiertes Gericht oder aber eine Abteilung des Gerichts zweiter Instanz darstellt. In gewissen Kantonen gibt es sodann ein Strafgericht oder Kriminalgericht, das bei schweren Delikten an die Stelle des Bezirks- oder Obergerichts tritt. Weitere Spezialgerichte, die ebenfalls nur in einigen Kantonen vorkommen und organisatorisch in der Regel an andere Gerichte angegliedert sind, sind das Arbeitsgericht, das Mietgericht, das Sozialgericht, das Jugendgericht, das Handelsgericht oder das Landwirtschaftsgericht. Einige wenige Kantone kannten noch bis 2010 ein Geschworenengericht, dessen Prozesse nach dem Unmittelbarkeitsprinzip verliefen; dieser Prozess- und damit Gerichtstypus ist mit der 2011 in Kraft getretenen Eidgenössischen Strafprozessordnung unmöglich geworden.
  • Einige wenige Kantone (Zürich, St. Gallen) kannten bis 2010 ein kantonales Gericht dritter Instanz, nämlich das Kassationsgericht, das Nichtigkeitsbeschwerden beurteilte und bei deren Gutheissung den Fall an die vorige Instanz zurückwies. Mit den 2011 in Kraft getretenen eidgenössischen Prozessordnungen ist diese dritte kantonale Instanz entfallen.
  • Ein selbständiges Verfassungsgericht kennen die Kantone Basel-Stadt und Jura.

Föderalismus

Der Schweizer Bundesstaat besteht aus 26 Kantonen, davon sechs (Obwalden, Nidwalden, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Basel-Stadt und Baselland), die aus historischen Gründen als Halbkantone bezeichnet werden und daher auch nur je einen von 46 Ständeratssitzen zugeteilt erhalten. Die Kantone haben eine gewisse politische Autonomie und können einiges in eigener Kompetenz regeln. Im Allgemeinen gilt, dass der Bund nur die in der Bundesverfassung einzeln aufgezählten Kompetenzen hat; alle anderen verbleiben bei den Kantonen. Sie regeln auch ihre Angelegenheiten untereinander, interkantonal, u. a. auch in interkantonalen Konferenzen. Seit Jahren ist eine Kompetenzverschiebung von den Kantonen zum Bund festzustellen.

Der Föderalismus in der Schweiz hat, auf der kantonalen und Bundesebene, zwei Elemente:

  • Beteiligung der Kantone an der politischen Entscheidungsfindung.
  • Autonomie der Kantone: Der Bund darf nur das regeln, was in der Verfassung ausdrücklich als seine Kompetenz erwähnt ist, alles andere regeln die Kantone in eigener Kompetenz.

Artikel 3 der Bundesverfassung lautet:

Die Kantone sind souverän, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist; sie üben alle Rechte aus, die nicht dem Bund übertragen sind.

Art. 42, Abs. 2 der Bundesverfassung:

Er (der Bund) übernimmt die Aufgaben, die einer einheitlichen Regelung bedürfen.

Art. 44, Abs. 1 der Bundesverfassung:

Bund und Kantone unterstützen einander in der Erfüllung ihrer Aufgaben und arbeiten zusammen.

Volksrechte

Bundesebene

Die Schweiz kennt folgende Mitbestimmungsrechte auf Bundesebene:

  • Wahlrecht: Ab 18 Jahren haben alle Schweizerinnen und Schweizer, inklusive im Ausland wohnhafte, das aktive und passive Wahlrecht (falls sie nicht wegen Krankheit oder Geistesschwäche entmündigt sind).
  • Stimmrecht: Die Personen, die wählen dürfen, haben auch das Stimmrecht, das heisst sie können über kommunale, kantonale oder nationale Vorlagen befinden.
  • Initiativrecht: 100'000 Bürger können per Volksinitiative einen Volksentscheid über eine Verfassungsänderung erzwingen. Mit der benötigten Anzahl Unterschriften wird das Parlament beauftragt, einen Gesetzestext auszuarbeiten, oder es kann ein ausgearbeiteter Text zur Volksabstimmung gebracht werden, dies muss aber innerhalb von 18 Monaten vollbracht werden.
  • Referendumsrecht: Das Volk kann Parlamentsentscheide im Nachhinein umstossen oder bestätigen, nämlich in einer Volksabstimmung nach einem obligatorischen (z. B. bei Verfassungsänderungen) oder fakultativen Referendum (hier sind mindestens 50'000 Unterschriften in 100 Tagen notwendig).
  • Petitionsrecht: Alle urteilsfähigen Personen (auch nicht wahlberechtigte) dürfen schriftlich formulierte Bitten, Anregungen und Beschwerden an die Behörden richten. Diese müssen die Petitionen zur Kenntnis nehmen. In der Praxis wird jede Petition behandelt und beantwortet, was jedoch nicht vorgeschrieben ist.

Kantonale Ebene

Die Ausgestaltung der Volksrechte in den Kantonen entspricht grundsätzlich derjenigen im Bund, wobei historisch gesehen der Bund die Regelung der Kantone übernommen hat.

Noch heute gehen die kantonalen Volksrechte allerdings über diejenigen auf Bundesebene hinaus:

  • Sie kennen ausnahmslos neben der Verfassungsinitiative auch die Gesetzesinitiative, räumen also der Bevölkerung das Recht ein, auch Vorschläge zum Erlass oder zur Änderung von Gesetzen zu machen. Dank dem gesonderten Recht der Gesetzesinitiative muss nicht wie im Bund jeder Wunsch nach Detailänderung als formale Verfassungsinitiative formuliert werden, was die Überladung der Kantonsverfassungen mit untergeordneten Bestimmungen verhindert. Für eine Gesetzesinitiative sehen die Kantonsverfassungen dabei eine tiefere Unterschriftenzahl vor als für Verfassungsinitiativen.
  • Sodann kennt das kantonale Recht in der ganzen Schweiz neben dem Gesetzesreferendum auch das Finanzreferendum, das heisst, dass eine bestimmte einmalige oder wiederkehrende Ausgabe, deren Höhe in den Kantonsverfassungen festgelegt ist, zur Volksabstimmung unterbreitet werden kann (fakultatives Finanzreferendum) oder sogar muss (obligatorisches Finanzreferendum). Es gibt Kantone, die beide Varianten des Finanzreferendums kennen; in diesen Fällen ist der Grenzwert fürs obligatorische Finanzreferendum höher als jener fürs fakultative.
  • Sehr hohe einmalige oder wiederkehrende Ausgaben sind überdies gemäss den Bestimmungen der Kantonsverfassungen obligatorisch zur Volksabstimmung vorzulegen.
  • Der Kanton Zürich kennt seit 1869 die Einzelinitiative: Die Initiative einer Einzelperson betreffend Änderung der Verfassung oder eines Gesetzes wird dann wie eine parlamentarische oder eine Volksinitiative behandelt, wenn sie die Unterstützung von wenigstens 60 (von insgesamt 180) Mitgliedern des Kantonsrates findet. Das Recht der Einzelinitiative kennen sodann die beiden Landsgemeindekantone Appenzell Innerrhoden und Glarus, wo solche aber zwingend der Landsgemeinde zu unterbreiten sind.
  • Einzelne Kantone wie Freiburg, Schaffhausen und Solothurn kennen das erst im ausgehenden 20. Jahrhundert geschaffene Volksrecht der Volksmotion, mit anderen Worten: eine bestimmte Anzahl Personen kann zuhanden des Kantonsparlaments eine Motion einreichen, die von diesem wie eine parlamentarische Motion zu behandeln ist.
  • Allein im Kanton Appenzell Ausserrhoden existiert das Instrument der Volksdiskussion, wonach ausdrücklich jeder einzelne Bürger zu einer Gesetzesvorlage Stellung nehmen und seine Position vor versammeltem Kantonsrat sogar persönlich vertreten darf.
  • Der Kanton Bern kennt seit 1995 den Volksvorschlag (Änderungsvorschlag), welcher bei Gesetzesvorlagen und Grundsatzbeschlüssen des Grossen Rates mit 10'000 Unterschriften als (Gegen-)Variante eingebracht werden kann. Sollte dieser zustandekommen, werden beide Vorlagen den Stimmberechtigten zur Abstimmung unterbreitet. Es ist bei der Abstimmung möglich, beide anzunehmen oder zu verwerfen, in diesem Fall entscheidet die Stichfrage (Verfassung des Kantons Bern – Art. 63 Absatz 3; Gesetz über die politischen Rechte – Art. 59a ff). Seit 2006 kennt auch der Kanton Zürich ein solches Referendum mit Gegenvorschlag (Verfassung des Kantons Zürich – Art. 35).

Im Gegensatz zum Bund kennen einige Kantone noch das obligatorische Referendum, wonach ausnahmslos jedes kantonale Gesetz der Volksabstimmung zu unterbreiten ist. Heute allerdings sind die meisten Kantone auf das fakultative Referendum umgeschwenkt, womit für Gesetze nur noch eine Volksabstimmung anberaumt wird, wenn dies von einer bestimmten Anzahl Parlamentariern oder aber einer bestimmten Anzahl Stimm- und Wahlberechtigten verlangt wird. Einzelne Kantone wie Basel-Landschaft oder Schaffhausen kennen einen Mittelweg, indem Gesetze, denen im Kantonsparlament mit einer Mehrheit von mindestens vier Fünfteln der Ratsmitglieder zugestimmt worden ist, dem fakultativen, die übrigen aber dem obligatorischen Referendum unterstehen. Änderungen der Kantonsverfassungen unterstehen hingegen in allen Kantonen dem obligatorischen Referendum. Zürich hat ebenfalls eine unikale Lösung, indem hier zwar die meisten Gesetze dem fakultativen, Steuergesetze aber dem obligatorischen Referendum unterliegen.

Gemeindeebene

Wie auf der kantonalen und der Bundesebene üben die Bürger ihre Rechte auch auf Ebene der Gemeinden aus. Gemeinsam mit ihnen regeln ihre Vertreter und Gemeindeinstitutionen die kommunalen Angelegenheiten.

Direkte Demokratie

Das Mitspracherecht des Volkes ist in der Schweiz weit entwickelt; man muss zwei Formen der direkten Demokratie unterscheiden: die Versammlungsdemokratie und die Abstimmungsdemokratie. Die Versammlungsdemokratie ist auf dem Land verbreitet, vor allem in den Gemeinden mit meist unter 5000 Einwohnern (Gemeindeversammlung), und sie existiert in Form der Landsgemeinde in einzelnen kleinen Kantonen. Die Abstimmungsdemokratie gibt es auf Bundes- wie auch auf Kantons- und Gemeindeebene.

Bei Änderungen der Verfassung hat das Volk in jedem Fall das letzte Wort, Gesetze unterstehen je nach Tragweite dem obligatorischen oder dem fakultativen Referendum.

Neue Artikel können vom Volk über das Instrument der Initiative vorgeschlagen und – wenn der Artikel in der anschliessenden Volksabstimmung angenommen wird – in die Verfassung und in Bundesgesetze eingebracht werden.

Im Gegensatz zu anderen Ländern werden die sieben Minister (Bundesräte) und der Bundespräsident nicht vom Volk, sondern vom Bundesparlament (Vereinigte Bundesversammlung) gewählt. Der Bundespräsident hat sein Amt jeweils für ein Jahr inne. Auf Kantonsebene werden die Mitglieder der Regierung in Volkswahlen bestimmt.

Eine eigentliche Gesetzesinitiative gibt es auf Bundesebene nicht, dafür ist sie in den meisten Kantonen gewährleistet.

Entstehung

Historisch gesehen hat die Versammlungsdemokratie in der Schweiz ihre Wurzeln im Mittelalter, die Abstimmungsdemokratie im 19. Jahrhundert. In den 1860er Jahren wurde letztere in den meisten Kantonen etabliert, und auch beim Bund setzte sie sich in den folgenden Jahrzehnten durch. Die nachhaltigste Ausnahme bildete diesbezüglich der Kanton Freiburg, wo sich eine repräsentativ-demokratische Staatsform fast 50 Jahre länger hielt als in den anderen Kantonen und erst 1918 durch direkt-demokratische Institutionen abgelöst wurde. Einen herben Rückschlag erlitt diese Form dort erneut in den faschistisch angehauchten 1930er Jahren: Das Kantonsparlament beschloss damals eine Verfassungsreform im korporativistischen Geiste, deren Einführung letztlich durch das Bundesgericht blockiert werden musste.[3]

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Forschungsstellen der Hochschulen zur weiteren Erforschung und Entwicklung der direkten Demokratie:

Einzelnachweise

  1. Siehe dazu die Register der Interessenbindungen: http://www.parlament.ch/ra-nr-interessen.pdf und http://www.parlament.ch/ra-sr-interessen.pdf
  2. SR 173.71 Bundesgesetz über das Bundesstrafgericht
  3. F. Schaffer: Abriss der Schweizer Geschichte, 1972

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