Politischer Katholizismus

Politischer Katholizismus
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Der politische Katholizismus ist eine politische Weltanschauung, die die Glaubenslehren der römisch-katholischen Kirche zur Grundlage für politische Entscheidungen macht und die Interessen der Katholiken politisch durchzusetzen versucht. Die Bewegung war in ihrer strikt konfessionellen Ausrichtung in Deutschland vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert aktiv und bildete mit dem Zentrum ihren parteipolitischen Arm.

Die CDU wurde nach Gründung der BRD als überkonfessionelle, christlich ausgerichtete Partei Nachfolgerin der Zentrumspartei.

Inhaltsverzeichnis

Programm

Grundforderung des politischen Katholizismus ist die Gestaltung von Staat und Gesellschaft entsprechend der christlichen, insbesondere katholischen Soziallehre, bezogen vor allem auf die Naturrechtslehre des Thomas von Aquin. Ursprung des menschlichen Individuums und der Gesellschaft ist demnach der göttliche Schöpfungsplan. Funktionsprinzip dieser Gesellschaft ist das Subsidiaritätsprinzip, demzufolge der Mensch sein Leben zunächst selbst gestalten muss. Erst wenn er dazu nicht in der Lage ist, muss die jeweils nächsthöhere Ebene (von der Familie über die Gemeinde bis zum Staat) helfend eingreifen.

Geschichte

Vorgeschichte

Im Mittelalter standen politische und kirchliche Macht in einem engen, sich gegenseitig begründenden und stützenden Verhältnis (Zwei-Schwerter-Theorie). Auch die Reformation änderte daran nicht viel. Mit der Säkularisation im Rahmen des Reichsdeputationshauptschlusses wurden 1803 nahezu alle geistlichen Fürstentümer aufgehoben. Zudem breiteten sich nach der Französischen Revolution die Ideen der Trennung von Religion und Staat sowie der Religionsfreiheit aus. Mit diesen Entwicklungen lösten sich insbesondere in den katholischen Gebieten die Einheit von Kirche und Staat und damit ein großer Teil der kirchlichen Machtposition auf.

In den protestantischen Regionen nahmen die Landesherren durch das System der Landeskirchen erheblichen Einfluss auf das Kirchenwesen. Da die katholische Kirche jedoch übernational verfasst ist und Papst und Kurie weiterhin an ihrem Herrschaftsanspruch über die Kirche und in religiös-weltanschaulichen Fragen über die Angehörigen der Kirche festhielten, gleichzeitig die weltlichen Herrscher auch im katholischen Bereich zunehmend Einfluss auf eben diese Belange auszuüben versuchten, kam es zu zahlreichen Konflikten zwischen katholischer Kirche und weltlichen Herrschern.

Anfänge

Bereits im Vormärz begannen sich Katholiken in politischen Vereinen zu organisieren, was unter anderem in Preußen ausdrücklich verboten war. Die Ideen des französischen Priesters Félicité de Lamennais, die eine Verbindung von Katholizismus und Demokratie für möglich erklärten, wurden vom Vatikan in den 1830er Jahren jedoch als Irrlehre abgelehnt. In Belgien trugen 1830 politisch organisierte Katholiken wesentlich die Nationalbewegung mit.

Einen Mobilisierungsschub für die katholische Bevölkerung in Deutschland stellte der Kölner Kirchenstreit von etwa 1830 bis 1840 dar. In der Auseinandersetzung um kirchliche Kompetenzen an Hochschulen und um konfessionelle Mischehen führte vor allem die Verhaftung des Kölner Erzbischofs Clemens August Droste zu Vischering 1837 zur verstärkten katholischen Vereinsbildung, insbesondere im Rheinland. Mit Hilfe dieser Vereine versuchten die Katholiken ihren Interessen gegenüber dem Staat größeren Nachdruck zu verleihen. Zudem schlossen sich Kleriker und Laien im Rahmen des Ultramontanismus stärker an die Kirchenzentrale in Rom an, wohingegen zuvor die deutschen Bistümer ihre Eigenständigkeit betont hatten. Vordenker des politischen Katholizismus' in dieser frühen Phase war Joseph Görres.

Revolution von 1848

Als in der Deutschen Revolution 1848/49 zahlreiche politische Freiheitsrechte, darunter das Recht auf freie Meinungsäußerung, Presse-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit gefordert und teilweise auch durchgesetzt wurden, nutzten auch die Katholiken diese Möglichkeiten. Eine Welle von katholischen Vereinsgründungen erfasste die deutschen Länder, darunter nicht nur politische, sondern unter anderem auch katholische Arbeiter-, Frauen- und Gesangvereine. Die politischen Vereine begannen sich, allerdings meist erst nach 1849 als Piusvereine zu formieren.

In der Frankfurter Nationalversammlung schlossen sich entschieden politisch-katholische Abgeordnete zum "katholischen Klub" zusammen. Katholische Fraktionen im preußischen und anderen Landtagen waren ebenfalls meist lose und kurzlebige Zusammenschlüsse, die zudem Schwierigkeiten hatten, sich auf verbindliche politische Programm zu einigen. Programmatisch sahen sich die politischen Vertreter des Katholizismus mehreren Problemen gegenüber: Grundsätzlich sahen sie sich meist als staatstragende Kraft an, versuchten aber den staatlichen Einfluss auf die Kirche zu begrenzen. Damit standen sie in Konflikt mit den Landesherren und dem konservativen Lager. Da der Liberalismus den Einfluss der Religion aus Staat und Gesellschaft tilgen wollte, kam es auch mit dieser Bewegung häufig zu Auseinandersetzungen.

Reichsgründung und Kulturkampf

In der Reaktionsära nach 1848 wurde auch das Wirken des politischen Katholizismus durch die staatliche Obrigkeit eingeschränkt, wenn seine Organisationen auch meist nicht mehr grundsätzlich verboten waren. Wichtigster Fürsprecher katholischer Einflussnahme auf die Politik in dieser Epoche war der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler. In den 1860er Jahren begannen neue Zusammenkünfte politisch aktiver Katholiken. Zwischen 1852 und 1867 existierte im preußischen Abgeordnetenhaus eine Katholische Fraktion. Die verschiedenen Ansätze mündeten 1870 in der Gründung der Zentrumspartei. Sie wurde, zunächst im preußischen Landtag und nach der Reichsgründung 1871 im Reichstag, die Trägerin des politischen Katholizismus und sollte es bis 1933 bleiben. Mit dem Soester Programm entstand 1870 zudem erstmals ein Dokument, das verbindliche Ziele des politischen Katholizismus formulierte.

Das Zentrum befand sich zunächst in Opposition zu Bismarck und erlebte mit dem Kulturkampf von 1871 bis 1878 die bis dahin schärfste Auseinandersetzung mit dem Staat. Allerdings führte dies auch zu einer größeren Geschlossenheit der katholischen Bevölkerung und Wählerschaft um ihre politischen Vertreter. 1874 erzielte das Zentrum bei den Reichstagswahlen mit rund 28 Prozent sein höchstes Ergebnis. Von 1881 bis 1912 stellte es die größte Reichstagsfraktion.

Aussöhnung mit dem Staat

Während 1880 bis 1887 verschiedene Milderungsgesetze die staatlichen Zwangsmittel gegen die katholische Kirche und das katholische Vereinswesen abbauten, nahm das Zentrum einen immer regierungsfreundlicheren Kurs ein, was auch mit Bismarcks wirtschaftspolitischen Wendung zum Protektionismus zusammenhing. Nach der Entlassung Bismarcks 1890 wurde das Zentrum zur wichtigsten Stütze der jeweiligen Reichsregierung.

Das Zentrum vereinigte einen großen Teil der deutschen Katholiken, unabhängig von der jeweiligen sozialen Stellung. Dies führte dazu, dass sich die Partei zunächst schwer tat, ein Programm zu entwickeln, das über die Verteidigung religiöser Rechte hinausging. Im Rahmen des Entstehens einer katholischen Soziallehre (Enzyklika "Rerum novarum", 1891), begann das Zentrum jedoch sein Profil in diesem Politikfeld zu stärken, nicht zuletzt als Gegenangebot zur Sozialdemokratie.

1890 entstand der Volksverein für das katholische Deutschland, der die katholische Soziallehre in den Mittelpunkt seines Wirken stellte und bis 1914 auf 805.000 Mitglieder anwuchs. Ab 1860 gab es Versuche zur Gründung von katholischen Gewerkschaften. 1901 entstand ein Dachverband, in dem sich sowohl katholische als auch protestantische Gewerkschaften zusammenschlossen. Gegenüber den sozialistischen Gewerkschaften blieb ihre Bedeutung aber gering. Bedeutender waren die katholischen Arbeitervereine, die bis zum Ersten Weltkrieg auf mehr als eine Million Mitglieder anwuchsen.

Die wachsende Bedeutung der teilweise demokratisch ausgerichteten Arbeiterschaft innerhalb des politischen Katholizismus führte allerdings auch zu inneren Konflikten mit den starken monarchisch-konservativen und agrarischen Flügeln. Sogar eine Öffnung gegenüber Protestanten wurde im Zentrumsstreit ab 1906 diskutiert.

Das 20. Jahrhundert

Im Rahmen des Burgfriedens unterstützte das Zentrum die deutsche Kriegspolitik im Ersten Weltkrieg, befürwortete ab 1917 aber mehrheitlich einen Verhandlungsfrieden.

In der Weimarer Republik koalierte das Zentrum mit nahezu allen anderen Parteien, stellte damit einen stabilisierenden Faktor dar und betrieb im Übrigen vor allem den Ausbau des Sozialstaats. In dieser Machtposition und unter den freiheitlichen Bedingungen der Demokratie konnte das Zentrum umfangreiche kirchliche und schulische Freiheitsrechte durchsetzen. In Bayern hatte sich 1918 mit der Bayerischen Volkspartei eine Abspaltung des Zentrums gebildet.

In der Spätphase der Republik positionierte das Zentrum sich zunehmend konservativ. Am 23. März 1933 stimmte die Zentrumsfraktion im Reichstag geschlossen für das Ermächtigungsgesetz. Auf den Druck der Nationalsozialisten löste sich das Zentrum am 5. Juli 1933 auf. Der Volksverein für das katholische Deutschland wurde ebenfalls 1933 verboten.

Das katholische Milieu gilt als lange Zeit resistent gegen den Nationalsozialismus. Widerständiges Verhalten war dennoch kaum verbreitet. Grund dafür dürfte die grundsätzlich katholische Befürwortung der Obrigkeit gewesen sein.

Nach 1945 übernahm die CDU weitgehend das katholisch-konservative Klientel. Die weiter bestehende Zentrumspartei kam über eine marginale Bedeutung nicht mehr hinaus.


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