Pluralismus (Politik)

Pluralismus (Politik)

Pluralismus oder auch Pluralität ist ein philosophisches Weltbild und beschreibt die Idee des friedlichen gleichzeitigen Vorhandenseins verschiedener Systeme, Interessen, Ansichten und Lebensstile, welche in unterschiedlicher Weise zueinander in Beziehungen stehen. Partitielle Beziehungen sind daher eine Grundbedingung für den Pluralismus.

Inhaltsverzeichnis

Konzept

Im Gegensatz zu totalitären Ideologien oder zum Partikularismus erkennt der Pluralismus die bestehenden unterschiedlichen Interessen und politischen Positionen an und betrachtet deren individuelle Verwirklichung, Vertretung und Artikulation als legitim und erwünscht.

Neben der Toleranz gilt das Ziel der Minimalisierung des allgemeinen Normensystems als das wichtigste Grundprinzip eines politisch pluralistischen Systems. Dies soll mittels des so genannten Subsidiaritätsprinzips erreicht werden: Alles, was nicht auf der allgemein-politischen Ebene geregelt werden muss, soll untergeordneten gesellschaftlichen Organisationen, etwa Religionsgemeinschaften, für ihre Anhänger überlassen werden. Das wichtigste Glied in der Kette des Pluralismus ist jedoch die Freiheit jedes Einzelnen und die Möglichkeit, Interessen und Auffassungen gemeinsam zu vertreten.

Daher wird oft die Meinung vertreten, dass der gesellschaftliche Pluralismus neben Gewaltenteilung, verfassungsmäßig garantierten Grundrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eine wesentliche Grundlage für eine freie Gesellschaftsordnung sei. Ohne das Konzept des gesellschaftlichen Pluralismus könne z. B. selbst in einer Demokratie die Freiheit der Lebensgestaltung von Minderheiten durch Mehrheitsbeschlüsse bis auf die wesentlichen Grund- und Menschenrechte eingeschränkt werden.

Schwer zu lösende Konflikte zwischen der Auffassung von Grundrechten können auftreten, wenn zwei verfassungsmäßig gewährleistete Freiheitsrechte einander zu widersprechen scheinen oder wirklich unvereinbar sind, beispielsweise das Verhältnis zwischen der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Religionsfreiheit. Hier werden in den verschiedenen demokratischen Staaten unterschiedliche Lösungen propagiert und teilweise durchgesetzt.

Richtungen

Es gab insbesondere im 20. Jahrhundert auch mehr individualistisch geprägte Vorstellungen des Pluralismus, beispielsweise die Idee einer Räterepublik freier Bürger. So brachte Hannah Arendt den Rätegedanken erstmals anlässlich des Ungarischen Volksaufstands erneut in die politische Diskussion ein.

Eine andere, sehr erfolgreiche Variante des Pluralismus stellt das Schweizer Modell dar, in dem sich die individuelle Möglichkeit zur persönlichen Mitbestimmung durch zahlreiche Volksabstimmungen zeigt, zum Beispiel auch bezüglich des Verhältnisses zur EU. Dieses staatspolitische Modell der Basisdemokratie eignet sich ideal für das pluralistische Zusammenleben der drei wichtigsten Bevölkerungsgruppen des Landes (deutsche, französische und italienische Kultur).[1]

Ein notwendiger Ausgleich der unterschiedlichen Interessen erfolgt als Diskurs und Diskussionsprozess (Deliberative Demokratie) z. B. vertreten von Jürgen Habermas mit der Möglichkeit formal geregelter Konflikte, die auf Kompromiss oder Einsicht abzielen. Voraussetzung ist, dass über die Spielregeln, unter denen der Konflikt der verschiedenen Interessen ausgetragen wird und die Teil des oben genannten, allgemeinsten Normensystems sind, ein einsehbarer Konsens besteht. Außerdem ist wichtig, dass kein relevantes Interesse vom „Markt des Ausgleichs“ ausgeschlossen ist. Dies ist idealtypisch und nicht stets gewährleistet, vgl. Politikverdrossenheit (bzw. Demokratieverdrossenheit) im gegenwärtigen Deutschland.

Ähnlich drückt Pluralismus in Bezug auf religiöse Bindung die Gleichberechtigung aller Glaubensrichtungen und Religionen aus. Religiöser Pluralismus schließt aber auch Verzicht auf das Postulat einer absoluten Wahrheit ein. Dieser Vorstellung widersprechen unter anderem Inklusivismus und Exklusivismus. (Siehe religionstheologischer Pluralismus)

Die weitreichende liberale Forderung des westlichen Kulturkreises nach politischem Pluralismus in möglichst vielen Gesellschaftssystemen weltweit steht zu einigen Pluralismus-Auffassungen im Widerspruch. So stellte zum Beispiel der Staatstheoretiker und Philosoph Carl Schmitt in seinen Werken die These auf, dass die Forderung nach politischem Pluralismus und Parlamentarismus in allen politischen und gesellschaftlichen Systemen weltweit einen Monismus hervorrufe und damit zugunsten eines starken Staates abzulehnen sei.

Samuel P. Huntington führte den von verschiedenen Seiten kritisierten Begriff Kampf der Kulturen, „Clash of Civilizations“ in die Debatte ein: Während die westlichen Zivilisationen und ihre seiner Meinung nach liberalen Regierungen nach eigenen Angaben den demokratischen Pluralismus für immer mehr Weltregionen durchzusetzen zu suchen würden, würde v.a. von Meinungsführern und Regierungspolitikern in afrikanischen, lateinamerikanischen, asiatischen und islamischen Gesellschaften eine andere Art von Pluralismus eingefordert, auf dessen Grundlage einige totalitäre, islamische Staaten sich Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen mit dem Postulat verbitten, sie seien gleichberechtigte Systeme, über deren Innenpolitik von außen kein Urteil gefällt werden dürfe. Andere Länder würden auf Menschenrechte verweisen, wie das Recht auf Arbeit und Auskommen, die nicht automatisch zum allgemein anerkannten Kanon der Menschenrechte gehören. Die Frage, ob die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO für alle Menschen gilt und einen grundsätzlichen politischen und sozialen Pluralismus gewährleisten kann, ist strittig.

Der von Huntington skizzierte pluralistische Gegenentwurf zum System universeller Werte wird als Kulturrelativismus bezeichnet. Demnach können innerkulturelle Verhaltensformen nur im Rahmen der jeweiligen Kultur, im Licht des dazugehörigen Sozial-, Wertesystems und Kulturverständnisses bewertet werden.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. E. Gruner et al.: Bürger, Staat und Politik in der Schweiz, 1973

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