Plebiszit

Plebiszit

Ein Plebiszit (von lateinisch plebiscitum ‚Volksbeschluss‘ bzw. plebs (Genitiv plebis) ‚einfaches Volk‘ und scitum ‚Beschluss‘) ist eine Abstimmung des Wahlvolkes über eine Sachfrage. In einer repräsentativen Demokratie ergänzen Plebiszite (auch plebiszitäre Elemente genannt) die Wahlen.

Der Ausdruck Plebiszit umfasst jegliche Formen der Sachabstimmung, unabhängig davon,

  • wer diese initiiert hat (Bevölkerung, Parlament, Regierung),
  • ob sie verbindlich oder lediglich empfehlend ist,
  • worauf sich die Abstimmung bezieht (Verfassung, Gesetz oder Verwaltungsakt),
  • oder auf welcher politischen Ebene (Kommune, Bundesstaat, Gesamtstaat, Supranational) sie stattfindet.

Das Plebiszit ist damit ein Oberbegriff, der alle Formen von Volksabstimmungen, Volksentscheiden, Referenden, Bürgerentscheiden, Volksbefragungen und vergleichbaren Instrumenten mehr umfasst. Auch Volksinitiativen, (Anträge auf ein) Volksbegehren und Bürgerbegehren können zu den plebiszitären Elementen gezählt werden. Sofern ein Plebiszit in verbindlicher Form den Beschluss eines Gesetzes oder Verfassungsartikels bewirkt, ist es Teil der Volksgesetzgebung eines Staates.

Plebiszite bzw. plebiszitäre Elemente sind weltweit sehr verbreitet und fast jede repräsentative Demokratie verfügt über solche. Die Ausprägung und Bedeutsamkeit für das jeweilige Staatswesen variiert dabei allerdings enorm. Während in der Schweiz bspw. Plebiszite (Volksabstimmungen) einen ganz wesentlichen Bestandteil des Staatswesens bilden, spielen sie in anderen Staaten keine besondere Rolle im politischen Alltag.

Auch das Völkerrecht kennt Plebiszite. Dort kommen sie zumeist als Referenden über die territoriale Zugehörigkeit eines bestimmten Gebietes zum Tragen.

Inhaltsverzeichnis

Verschiedene Formen von Plebisziten

Man unterscheidet zwischen konsultativen und dezisiven Plebisziten. Ein konsultatives Plebiszit ergibt ein Stimmungsbild des Wahlvolkes, das aber keine verbindliche Wirkung hat. Die Entscheidung eines dezisiven Plebiszits hingegen hat bindende Wirkung und mündet in einen tatsächlichen politischen Beschluss. Beispiele für rein konsultative Plebiszite sind Volksbefragungen oder ein konsultatives Referendum, bei denen es Parlament oder Regierung frei steht, das Ergebnis der Abstimmung umzusetzen. Eine Volksabstimmung deren Ergebnis in jedem Fall befolgt werden muss, ist ein dezisives Plebiszit.

In ähnlicher Weise unterscheidet man zwischen fakultativen und obligatorischen Plebisziten. Fakultative Plebiszite sind Abstimmungen, die zusätzlich zu den bereits bestehenden Formen der demokratischen Willensbildung genutzt werden können (bspw. die Abstimmung über den Vertrag von Lissabon in Frankreich von 2005), während obligatorische Plebiszite in jedem Fall durchgeführt werden müssen (bspw. die Abstimmungen über den Vertrag von Lissabon in Irland von 2008 und 2009).

Plebiszite im deutschsprachigen Raum

Deutschland

In Deutschland gibt es auf Bundesebene nur zwei Formen des Plebiszits, die aber überaus selten bzw. noch gar nicht genutzt wurden. So sieht das Grundgesetz im Falle der Neugliederung des Bundesgebietes eine Abstimmung durch das Volk vor, welche allerdings nur in dem betroffenen Gebiet durchgeführt wird. Zudem ist ein bundesweiter Volksentscheid im Falle der Ablösung des Grundgesetzes durch eine Verfassung vorgesehen. Für die alltägliche Bundespolitik ist das Plebiszit in Deutschland damit praktisch bedeutungslos.

In den Bundesländern bzw. den jeweiligen Kommunen sind mit Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid bzw. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid grundsätzlich eine Vielzahl von plebiszitären Elementen vorhanden. Deren Nutzung und Bedeutsamkeit unterscheidet sich allerdings stark. So finden in Bayern mehr Bürgerbegehren und Bürgerentscheide statt, als im gesamten restlichen Bundesgebiet zusammengenommen, wodurch die kommunale Politik in diesem Bundesland vergleichsweise stark durch Plebiszite geprägt ist. Im Saarland wiederum sind die Regelungen derart restriktiv, dass Plebiszite praktisch nicht zur Anwendung kommen (können) und daher auch keinerlei Rolle in der Politik spielen.

Österreich

Die Republik Österreich verfügt seit einer Reihe von Reformen zu Beginn der 1970er Jahre über eine ganze Reihe von plebiszitären Elementen. Auch wenn diese eher selten genutzt werden, entfalteten sie einigen Einfluss auf die Politik des Staates. Mit einer Volksabstimmung kann der Nationalrat der Bevölkerung eine Frage zur verbindlichen Entscheidung vorlegen, also ein fakultatives und dezisives Plebiszit abhalten. Dies wurde 1978 zur Abstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf sowie 1994 über die Frage des Beitritt Österreichs zur Europäischen Union genutzt. Mit dem Instrument der Volksbefragung kann dem Wahlvolk eine Frage zur Beratung, also in einem fakultativen und konsultativen Plebiszit vorgelegt werden. Dies wurde bislang in Österreich noch nicht genutzt. Das österreichische Volksbegehren ist ein plebiszitäres Element, dass es den Bürgern erlaubt, eine Frage zur Beratung und Abstimmung in den Nationalrat einzubringen.

Schweiz

Die Schweiz als halbdirekte Demokratie ist der Staat mit den am stärksten ausgebauten plebiszitären Elementen weltweit. Die beiden wesentlichen Instrumente sind hier die Volksinitiative und die Volksabstimmung, die auf allen politischen Ebenen verankert sind. Die Hürden für diese Instrumente sind vergleichsweise niedrig und gestatten den Bürgern in fakultativer und dezisiver Form Einfluss auf die Gesetzgebung bzw. Staatsverfassung zu nehmen. Hinzu tritt eine Vielzahl von weiteren Plebisziten wie z. B. das verbindliche Finanzreferendum, das es je nach Kanton in obligatorischer und/oder fakultativer Form gibt, sowie in einigen Kantonen zusätzlich noch konsultative Instrumente wie die Volksmotion.

Geschichte des Plebiszits

Plebiszite in der Römischen Republik

Das sprachliche und historische Vorbild für das moderne Plebiszit stammt aus der römischen Republik. Dort war ein Plebiszit (lateinisch plebis scitum, „Beschluss des nichtadligen Volkes“) ein Gesetz, das im Concilium Plebis auf Antrag eines Volkstribuns (Rogatio) beschlossen wurde: „Plebiscitum est quod plebs plebeio magistratu interrogante, veluti tribuno, constituebat“. (Institutiones 1,2,4). „Dementsprechend“, sagt Gaius (i.3), „erklärten die Patrizier, sie seien an Plebiszite nicht gebunden, da sie ohne ihre Zustimmung (sine auctoritate eorum) zustande gekommen seien“; aber nachdem die Lex Hortensia (287 v. Chr.) beschlossen war, nach der Plebiszite den gesamten populus – im weiteren Sinne des Wortes, also auch den Adel – binde, hatten sie die gleiche Kraft wie Leges (Livius 8,12; Aulus Gellius 15,27), und waren damit den im bisherigen Gesetzgebungsverfahrenen getroffenen Beschlüssen gleichgestellt.

Als die Comitia Tributa auf die gleiche Stufe gestellt wurden wie die Comitia Centuriata, wurde der Begriff lex dann auch auf Plebiszite angewandt. Lex wurde der allgemeine Begriff, der manchmal mit besonderen Bezeichnungen wie lex plebeivescitum, lex sive plebiscitum est versehen wurde, um seine gegebenenfalls plebiszitäre Herkunft zu verdeutlichen.

In seiner Aufzählung der römischen Rechtsquellen (top. 5) erwähnt Cicero keine Plebiszite mehr, die er somit unzweifelhaft unter die leges subsumiert. Viele Plebiszite werden dann als Leges zitiert, so wie die Lex Falcidia (Gaius, 2,227) und Lex Aquilia (Cicero, pro Tullio, 8.11). Auf den Tafeln von Heraclea erscheinen die Worte lege plebivescito, um die gleiche Verordnung zu bezeichnen, und in der Lex Rubria steht die Phrase ex lege Rubria sive id plebiscitum est (Friedrich Carl von Savigny, Zeitschrift etc. Band ix S. 355).

Siehe auch

Literatur

  • Otmar Jung: Grundgesetz und Volksentscheid. Gründe und Reichweite der Entscheidungen des Parlamentarischen Rats gegen Formen direkter Demokratie. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994, ISBN 3-531-12638-5.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Plebiszit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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