Pierre-Esprit Radisson

Pierre-Esprit Radisson

Pierre-Esprit Radisson (* um 1636, nach anderen Quellen 1640 wahrscheinlich in Avignon, Frankreich; † zwischen dem 17. Juni und 2. Juli 1710 in England) war ein französischer Entdecker und Pelzhändler.

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Inhaltsverzeichnis

Leben

Im Teenageralter gelangte er zusammen mit seiner Halbschwester Marguerite Hayet nach Neufrankreich und wurde bei einem Mohawk-Überfall [1] auf Trois-Rivières 1651 oder 1652 gefangen genommen, wo er mit seiner Halbschwester zusammen lebte. Von seinen indigenen Entführern adoptiert, erlernte er ihre Sprache und wurde mit ihrer Lebensweise vertraut. Nach einem zweijährigen Aufenthalt bei den Irokesen kehrte er nach Neufrankreich zurück. 1657 begleitete er eine Missionsreise des französischen Missionars Frère Ragueneau nach Sainte-Marie-de-Gannentaa (=Onondaga) unweit des heutigen Syracuse im heutigen US-Bundesstaat New York, wo europäische Siedler nach einem Friedensschluss im Gebiet der Irokesen lebten. Als diese die Eindringlinge wieder los werden wollten und die Europäer befürchteten, bei ihrer Flucht angegriffen zu werden, griff ein französischer Trapper, der bei den Irokesen gelebt hatte, ihre Sprache sprach und mit ihrer Denkweise vertraut war, zu einer List: Aufgrund eines vorgeblichen Traumes luden die Europäer ihre irokesischen Nachbarn zu einem ausgiebigem Gelage, bei dem die Gastgeber ihre Gäste vermutlich betäubten und während ihres Schlafes unbemerkt fliehen konnten.[2]

Gemeinsam mit seinem Schwager Médard Chouart Sieur des Groseilliers reiste Radisson später zu den Pelzhändlerregionen am Michigansee und Oberen See, um eine schiffbare Verbindung zwischen den nordamerikanischen, großen Seen und der Hudson Bay zu suchen. Vor ihrem Aufbruch hatte der Gouverneur darauf bestanden, dass einer seiner Leute die beiden begleiten sollte, doch den beiden gelang die unbemerkte Abreise von Trois-Rivières. Sie verbrachten einen strengen Winter mit starken Schneefällen zusammen mit Huronen- und Ottawa-Flüchtlingen und kamen vermutlich als erste Weiße mit Sioux-Indianern in Kontakt. Sie nahmen 1659/1660 am großen Todesfest gemeinsam mit 18 indigenen Nationen teil, über das Radisson später einen eindrucksvollen Bericht abgab, in dem er die Sitten und Gebräuche wiedergab. Dabei dürften die beiden Franzosen erstmals über das Bibergebiet am Hudson Bay erfahren haben.[2] Bei ihrer Rückkehr entdeckten sie die Leichen der Gruppe um Adam Dollard, die vermutlich von Irokesen ermordet worden waren.[1] Da Radisson und des Groseilliers jedoch keine Lizenz zum Pelzhandel besaßen und alle Westexpeditionen der Genehmigung des Gouverneurs bedurften, beschlagnahmte Gouverneur Pierre Voyer d’Argenson bei ihrer Rückkehr 1660 in Neufrankreich ihre Felle und belegten sie mit einer Geldstrafe.

Diese Reise befähigte sie jedoch, den „Salzsee“, Hudson Bay, zu entdecken, von dem die Einheimischen sprachen. Vergeblich bemühten sie sich, eine Handelskompanie zu gründen, erhielten jedoch in Neufrankreich keinerlei Unterstützung. So gelangten die beiden Reisenden über Nieuw Amsterdam, dem heutigen New York City, nach Boston, um die Behörden von Neuengland hierfür zu interessieren. Zwei Jahre bemühten sie sich vergeblich um eine Schiffsreise zur Hudson Bay. Schließlich trafen sie dort den englischen Colonel George Cartwright, der sie nach England mitnahm, um sie am Hofe König Charles II. einzuführen. Dabei gerieten die beiden Franzosen in die britisch-niederländischen Feindseligkeiten. Ihr Schiff wurde geplündert, ihre Aufzeichnungen gingen verloren, die Passagiere und Besatzung verschleppt und die beiden gelangten über Spanien nach London.[2]

Letztlich verließen beide im Juni 1668 England an Bord der beiden Handelsschiffe Eaglet und Nonsuch, die von Prinz Ruprecht von der Pfalz, Herzog von Cumberland gechartert waren, um in die Hudson Bay von Norden zu gelangen. Diese neue, kürzere Route umging die von den Franzosen kontrollierte Passage des Sankt-Lorenz-Stroms, die zwar später im Jahr, aber ebenso vereiste, wie die Hudson Bay. Nur die Nonsuch mit des Groseilliers an Bord gelangte in die Bay, während die Eaglet, die durch einen Sturm beschädigt war, mit Radisson nach England zurückkehrte. An der Mündung des Rupert River wurde Fort Rupert gegründet. Letztlich war die Mission insgesamt erfolgreich und man kehrte mit zahlreichen Biber- und anderen Fellen zurück. Am 2. Mai 1670 gewährte der englische König Charles II. seinem Vetter Prinz Rupert gemeinsam mit 17 Investoren das Privileg zur Gründung der Honorable Company of Adventurers of England Trading in Hudson’s Bay, besser bekannt als Hudson’s Bay Company (HBC). Die HBC besaß zwar eigentlich nur das Privileg zum Fellhandel in allen, in die Hudson Bay mündenden Gewässern und angrenzenden Territorien. Dieses riesige nordamerikanische Territorium, genannt Ruperts Land, wurde jedoch von der HBC bald wie von einer Regierung systematisch verwaltet: Die HBC kontrollierte, wer für sie als Trapper in die Region gelangte, versorgte diese mit günstiger Ausrüstung, Kleidung, Pferden und Waffen, verpflichtete auf den exklusiven Verkauf von Pelzen an die englische HBC, verhinderte faktisch die Besiedlung in ihrem Einflussgebiet und zeigte - anders als die spanische und französische Kolonisierung - keinerlei Interesse an der Missionierung der indigenen Bevölkerung.

In der Folgezeit pendelten abwechselnd Radisson und des Groseilliers zwischen Kanada und England, wobei immer einer der beiden in Kanada blieb. Die Reisen werden als ertragreich geschildert. Radisson und des Groseilliers wurden Zeugen der Großen Pest von London und des vernichtenden Großen Brands von London. Die englischen Aktivitäten zusammen mit den beiden französischen Abenteurern im zentralen Nordamerika waren der französischen Kolonialverwaltung nicht verborgen geblieben. Hatte sie zuvor von Montreal den Pelzhandel weitgehend kontrolliert, sah sie sich nun der wachsenden englischen Konkurrenz ausgesetzt. Expeditionen unter der Leitung von Cavelier de La Salle und Daumont de Saint-Lusson, später unter der Leitung von Paul Denys de Saint-Simon und dem Jesuiten Charles Albanel wurden in das von der HBC beanspruchte, riesige Territorium entsandt. Anlässlich einer Reise nach London 1675 wurden Radisson und des Groseilliers, die mit ihrer Behandlung durch die neue Handelskompanie unzufrieden waren, von dem inzwischen in England gefangenen französischen Jesuiten Albanel überzeugt, nach Frankreich zurückzukehren.[2]

Radisson kehrte kurz darauf nach Frankreich zurück, wurde jedoch von Minister Jean-Baptiste Colbert postwendend nach Kanada zu Konsultationen mit dem französischen Gouverneur gesandt. Von Gouverneur Louis de Buade, comte de Frontenac eisig empfangen, der gegenüber Radisson und des Groseilliers misstrauisch war und seinem eigenen Protegé de La Salle alle Möglichkeiten offen lassen wollte, entließ des Groseilliers zu seiner Familie in Trois-Rivières, während Radisson in die französische Kriegsmarine eintrat. Er erreichte Frankreich zu einem Zeitpunkt großer Arbeitslosigkeit und fand die Unterstützung von Abbé Claude Bernou, dem Anwalt de La Salles. Seine erste Seereise 1677/1678 als französischer Seekadett führte ihn unter dem Kommando von Vizeadmiral d’Estrées zu den niederländischen Kolonien in Afrika und der Karibik, die, nach anfänglichen Erfolgen, an verborgenen Riffs in der Karibik desaströs endete. Nur Radisson konnte sein Leben retten und kehrte mittellos nach Frankreich zurück, wo er zwar eine Entschädigung, nicht jedoch die ihm versprochene Position in der Marine erhielt. Colbert begründete dies damit, dass Radisson seine Ehefrau nicht nach Frankreich mitgebracht habe. Radisson hatte irgendwann zwischen 1665 und 1675 die in England lebende Tochter von Sir John Kirke von der HBC geheiratet, ihr Vorname ist bis heute nicht bekannt.[2] Um sie von der Übersiedlung nach Frankreich zu überzeugen, ging Radisson nach England, doch war ihr Vater strikt gegen den Umzug. Radisson zog entmutigende Erkundigungen ein, unter welchen Bedingungen seine Rückkehr zur HBC akzeptiert würde. Als sich ihm 1681 durch die Reise des französischen Pelzhändlers Charles Aubert de La Chesnaye scheinbar eine neue Chance auftat, ergriff er diese Möglichkeit. La Chesnaye sollte für die Compagnie du Nord mit Billigung Colberts Pelze in der strittigen Region beschaffen, was allerdings wegen der zeitweilig offiziell freundlichen Beziehungen zwischen der französischen und der britischen Krone nicht die offene Unterstützung Colberts erfahren durfte. In Neufrankreich angekommen, verweigerte Gouverneur Frontenac den beiden jedoch die Lizenz.[2]

Ein Wettlauf um konkurrierende Ansprüche auf Handelsforts am Nelson River führte schließlich dazu, dass Radisson und des Groseilliers Fort Bourbon am Hayes River für die Compagnie du Nord gründeten. Radisson nahm 1682 an der Schlacht teil, die die Hudson Bay für Frankreich erobern sollte. Von seinen Landsleuten wiederholt frustriert, die den Briten das von ihm gekaperte Schiff Bachelors Delight zurückgaben, ohne ihm das versprochene Prisengeld zu zahlen [1], kehrte er 1684 in die Dienste der HBC zurück und führte Expeditionen gegen die Franzosen in der Bay. Insbesondere zwang er seinen Neffen Jean-Baptiste des Groseilliers, Fort Bourbon an die HBC zurückzugeben. Von 1685 bis 1687 leitete er den Handel in Fort Nelson am Nelson River.

Am 3. März 1685 heiratete Radisson ein zweites Mal, vermutlich, weil seine erste Ehefrau zwischenzeitlich gestorben war. Seine zweite Frau war Margaret Charlotte Godet, Tochter von Gédéon Godet, einem französischen Protestanten, der als früherer Jurist des Parlament de Paris danach als Angestellter des am Hofe Louis XIV. residierenden englischen Sondergesandten, Lord Preston fungierte, bis er zusammen mit Radisson über den Kanal geflohen war.[2] 1687 erwarb Radisson die englische Staatsbürgerschaft und ließ sich in England nieder, um Berichte über seine Reisen zu verfassen. Weil die HBC ihn anfangs um die vereinbarte Pension von jährlich £ 100 bringen wollte, musste er einen jahrelangen Rechtsstreit anstrengen, worüber seine zweite Gattin starb, die ihn mit vier Kindern zurückließ. Radisson heiratete ein drittes Mal. Ehefrau Elizabeth machte ihn zum dreifachen Vater von Töchtern. Gegen eine kleine Pension und Dividende der HBC zog er sich zurück und starb 1710 fast in Armut. Sein genaues Sterbedatum und der Ort sind nicht bekannt, doch es muss zwischen dem 17. Juni und 2. Juli 1710 liegen. Seine dritte Ehefrau starb am 2. Januar 1732 in extremer Armut.

Die Orte Radisson in Wisconsin und Radisson in Québec wurden nach ihm benannt. Auch die 1909 in Minneapolis gegründete heute skandinavische Radisson SAS Hotel-Gruppe erhielt seinen Namen.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

 Commons: Pierre-Esprit Radisson – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Werke

Einzelnachweise

  1. a b c Pleticha, Heinrich; Schreiber, Hermann: Die Entdeckung der Welt, Verlag Carl Ueberreuter, Wien, 1993, ISBN 3-8000-3490-5, S. 336
  2. a b c d e f g Grace Lee Nute: Radisson, Pierre-Esprit. In: dictonary of Canadian Biography Online. 2000, abgerufen am 19.11.

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