Phonogrammarchiv

Phonogrammarchiv

Das Phonogrammarchiv ist ein Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit Sitz in Wien. Es wurde 1899 als wissenschaftliches Schallarchiv gegründet und ist das älteste audiovisuelle Archiv der Welt. Seine Tätigkeit umfasst die Bewahrung, Herstellung, Sammlung, Erschließung und Bereitstellung von wissenschaftlichen Schall- und Videoaufnahmen ohne disziplinäre oder regionale Einschränkung. Seit September 2001 schließt der Tätigkeitsbereich auch die Archivierung und Bewahrung videographischer Forschungsdokumente ein. Bei etwa der Hälfte der Bestände handelt es sich um ethnographische Feldaufnahmen.[1] 1999 wurden die Historischen Bestände (1899–1950) des Phonogrammarchivs in das Weltregister Memory of the World der UNESCO aufgenommen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Als Gründung des Phonogrammarchivs gilt die Einsetzung der Phonogramm-Archiv-Kommission durch die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften am 27. April 1899.[2] An der Gründung beteiligt waren unter anderem der Physiologe Siegmund Exner-Ewarten, der auch der erste Obmann der Phonogrammarchivs-Kommission wurde.

Das Phonogrammarchiv sammelte seit seiner Gründung gemäß seiner Bestimmung durch die Akademie sowohl Sprach- (u. a. so genannte „Stimmportraits“) als auch Musikaufnahmen. Man legt besonderen Wert auf eine umfangreiche Dokumentation der Aufnahmen. Jede Aufnahme wird in der Regel durch ein ausführliches Protokoll ergänzt, welches unter anderem Informationen über die aufgenommenen Personen, die Begleitumstände der Aufnahme sowie technische Angaben enthält.

Ein Hauptaugenmerk scheint anfangs auf außereuropäischen Sammlungen zu liegen, was insofern beachtlich ist, da Österreich keine Kolonien hatte. Österreichische Volksmusik ist zumindest nicht der einzige Sammlungsschwerpunkt. So kommt es u. a. zu folgenden frühen Sammlungen:[3]

  • der Botaniker Richard Wettstein macht 1901 Aufnahmen von Guarani-lndianern;
  • der Meteorologe Felix Maria von Exner-Ewarten, Sohn des ersten Obmanns der Phonogrammarchivs-Kommission Siegmund Exner-Ewarten, macht 1904–05 Aufnahmen in Indien;
  • der Arzt und Anthropologe Rudolf Pöch macht Aufnahmen 1904–06 in Neuguinea und 1908 bei den damals als Buschmännern bezeichneten Khoi in der Kalahari;
  • ferner nehmen 1909 der Sprachforscher und Ethnologe Adolf Dirr im Kaukasus sowie der Sprachforscher (Finno-Ugrist) G. J. Ramstedt und der Missionar Pater Joseph van Oost in der Mongolei auf, im gleichen Jahr macht der Kantor und Musikforscher Abraham Zvi Idelsohn Aufnahmen hebräischer liturgischer Gesänge.

Um den Kontext der Gründung des Phonogrammarchivs zu erhellen, sei an den Stand der Vergleichenden Musikwissenschaft in Österreich erinnert. 1886 hatte Richard Wallaschek seine Ästhetik und Tonkunst veröffentlicht und war anschließend nach London gegangen, wo er sich mit verschiedenen musikalischen Problemen beschäftigte. Dort veröffentlicht er 1893 Primitive Music. In Österreich hatte sich Eduard Hanslick 1856 habilitiert, war seit 1861 außerordentlicher und seit 1870 ordentlicher Professor. Er emeritiert im Jahr 1895, seinen Lehrstuhl übernimmt Guido Adler, der sich 1882 mit einer Studie zur Harmonie an der Universität Wien habilitiert hatte. Wallaschek kehrt nach Wien zurück und habilitiert sich dort 1896 für Musikwissenschaft (Musikästhetik), also in dem Gebiet Hanslicks. Dieses Jahr gilt deswegen auch als der Beginn der Vergleichenden Musikwissenschaft in Österreich.[4]

Einzelnachweise

  1. Jennifer Post (with David A. Threasher): 'Sound archives, §7: Europe: Austria', Grove Music Online ed. L. Macy (Accessed 04-05-2008), http://www.grovemusic.com
  2. Walter Graf, Die vergleichende Musikwissenschaft in Österreich seit 1896 in: Yearbook of the International Folk Music Council, Vol. 6, (1974), pp. 15–43.
  3. Die Beispiele werden bei Walter Graf, Die vergleichende Musikwissenschaft in Österreich seit 1896 in: Yearbook of the International Folk Music Council, Vol. 6, (1974), p. 24. genannt. Eine ähnliche Liste bietet der New Grove, hg. S. Sadie.
  4. Walter Graf, Die vergleichende Musikwissenschaft in Österreich seit 1896 in: Yearbook of the International Folk Music Council, Vol. 6, (1974), pp. 16.

Siehe auch

Weblinks


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