Philicorda

Philicorda
Philips Philicorda

In den 1960er Jahren brachte die niederländische "Gloeilampenfabrieken Philips" in Eindhoven eine der ersten elektrischen Heimorgeln für den Massenmarkt heraus und bestritt kurz danach mehr als 60 % Marktanteil mit ihren Instrumenten, die sie Philicorda nannte.

1961 erschien die Philips-Orgel AG 7400 als Prototyp auf dem Markt, eine vieroktavige und einmanualige Version, die über diverse Audio Ein- und Ausgänge, Fußschweller, drei Register und eine Einfinger-Akkord-Automatik verfügte. Die AG 7400 hatte noch keinen eigenen Systemverstärker. Anfang 1963 wurde die Philicorda dann offiziell auf dem Musikmarkt eingeführt mit der AG 7500/00 und der AG7500/11 (mit Aufschriften in englischer Sprache) sowie der AG7500/22 (mit Aufschriften in Deutsch). Unterhalb der AG7500 war ein separater Röhrenverstärker mit Lautsprechern, AG7600 betitelt, angebracht. Im Jahre 1965 stellte Philips seine Orgelserienbezeichnungen um und führte die "750er"-Serie ein, deren Instrumente über sechs anstelle von vier Drehreglern verfügten, Federhall (Reverbo) und Vibratoeffekt sowie einen bereits im Chassis eingebauten Verstärker hatten.

Der Philicorda 751 in der Modellausführung GM751/11 (Aufschriften in Englisch) und GM751/22 (mit ebensolchen in Deutsch) folgte 1967 die GM752 mit leicht verändertem Aussehen der Kipp-Schalter, in die neben den Röhren zur Verstärkung nun auch Transistoren eingebaut waren. Ende 1967 erschien mit der Philicorda GM753 die letzte Orgel im 'alten' Philicorda Design. Allerdings verfügte diese Version für die Bühne über keinen eigenen Verstärker mit Lautsprecher und war fast durchgängig transistorisiert. Obwohl die Philicordas, angefangen von der AG 7400 bis zur GM753 jeweils geringe Klangunterschiede hatten, wurde der philicorda-typische warme, durch Verwendung von Kaltkatodenrelaisröhren begründete, Grundklang über die Jahre beibehalten. Der Tonumfang aller Philicorda-Orgaln umfasst 4 Oktaven (=49 Tasten) bei Fusslagen von 8'/4'/2'. Die Register Vox I/Vox II/Vox III/Vox IV/Vox V können über die Effektregler: Vibrato, Hall/Reverbo, Lautstärke, Balance und Kombination (zwischen Akkord-Automatik und normalem Manual) geregelt werden. Über ein externes Pedal kann die Lautstärke feingeregelt werden.

Die Philicorda-Orgeln gelten heutzutage als die 'Ur-Mütter' der Einfinger-Akkord-Automatik, aus der sich schließlich auch ihr Name ableitete und die inzwischen international bei fast allem Klein-Keyboards übernommen wurde. Bei der Philicorda-Akkordautomatik gibt es eine Akkordbelegung auf einzelne Tasten, d. h.: drückt man z.B. das "Gis" erklingt ein E7-Akkord, bei "A" ein A-moll Akkord. Jede Philicorda hat insgesamt 17 vorprogrammierte Akkorde (C - A7 - Dm - Eb - Em - F - D - G - E7 - Am - B - G7 - Cm - H9 - Gm - F7 - C7), deren Tastenbelegung sich jedoch zwischen der AG7500 und der GM754 verändert hat. Die Akkordsektion ist auch Splitpunkt des Manuals; in dessen unteren Bereich kann die Orgel zudem zusätzlich zu den jeweiligen Akkorden einen festeingestellten Klang erzeugen.

Ende der 1960er Jahre vergab Philips eine Lizenz an den amerikanischen Orgelhersteller Penncrest, der die Philicorda 753 als portables Modell im Koffer mit aufklappbarem Tastaturfeld baute und erstmals das Naturholzdesign aufgab: die Penncrest 753 war blau oder schwarz. Dass Philips als Glühlampenhersteller überhaupt eine elektronische Orgel herstellte, lag weniger daran, dass zur damaligen Technik der Tonerzeugung noch Röhren benutzt wurden sondern eher darin begründet, dass sich Philips in den 1960er Jahren für den Technikmarkt öffnete und u.a. auch den ersten tragbaren Compact-Cassettenrecorder herstellte. In einem Philips eigenen "Natuurkundig Laboratorium" in Eindhoven (genannt "Natlab") arbeiteten 1960 bis 1965 zudem Tom Dissevelt und Dick Raaijmakers an elektronischer Musik und neuen elektronischen Musikinstrumenten. Unter ihrer Mitwirkung entstand dann 1961 der Prototyp der Philicorda AG7400.

Anfang der 1970er Jahre wurde die einmanualige Philicorda vom Design her überarbeitet: die GM754er-Serie (bei welcher sich die Lautsprecheröffnungen nun unterhalb des Orgelkörpers befanden) entstand mit veränderter Akkordbelegung und mit Schiebe- anstelle der Drehregler, wobei der unverwechselbare Sound freilich unverändert blieb. Kurz zuvor versuchte Philips als 760er-Serie erstmals zweimanualige Philicorda Orgeln auf dem Markt zu etablieren. Die erste davon, die GM760, war aber technisch gesehen nichts anderes als zwei zusammenmontierte GM753 der auslaufenden Serie. 1972 folgte dann mit der GM761 eine weitere zweimanualige Orgel, die von Klang und Optik an die GM754 angelegt war und über einen Philips-Cassettenrecorder verfügte, auf dem man sein Orgelspiel aufnehmen konnte. Das für Mitte der 1970er Jahre vorgesehene Modell GM755 sah jedoch niemals das Licht der Öffentlichkeit, da zu dieser Zeit bereits der Siegeszug der italienischen und japanischen Orgelkeyboards eingesetzt hatte. Ende der 1970er Jahre versuchte Philips noch einmal auf dem internationalen Orgelmarkt Fuß zu fassen mit den zweimanualigen Heimorgeln der "PhilicordaRhythm"-Serie, gab kurz danach aber sein Bemühen auf und stellte die Produktion von Philicorda-Orgeln ein.

Wenn auch aus heutiger Sicht die Philicorda den asiatischen Elektronikkeyboards soundtechnisch nicht das Wasser reichen kann, so ist sie doch für Sammler und Liebhaber immer noch interessant, da sie aufgrund ihres Holzdesigns und den charakteristischen Lautsprecheröffnungen (Speichen) inzwischen als trendige Stilikone gilt und zudem technisch nahezu unverwüstlich ist; manche Philicorda-Orgeln laufen inzwischen schon vierzig Jahre mit den Originalröhren.

Bekannte und bekennende Philicorda Spieler im deutschsprachigen Raum sind/waren die Musiker der Gruppe "Paula", der Kabarettist Hanns Dieter Hüsch sowie der Musiker Danny Dziuk (Stefan Stoppok, Dziuks Küche).


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