Phaidros

Phaidros

Der Phaidros gehört zu den platonischen Dialogen und schildert einen Dialog zwischen Sokrates und Phaidros. Er entstand um 370 v. Chr. oder 360 v. Chr. und gehört zusammen mit den Dialogen Parmenides, Philebos und dem Symposion zur dritten Tetralogie der platonischen Werke. Wichtig für ein Verständnis des Werkes ist das Wissen um die Verwobenheit der mündlichen Überlieferung von philosophischen Gesprächen der historischen Figur des Sokrates, der es selbst abgelehnt hatte, seine Philosophie aufzuschreiben, mit den philosophischen Werken seines Schülers Platon. Dazu schreibt der Philosoph Kurt Hildebrandt in seiner Einleitung zur Reclam-Ausgabe des Phaidros: „Platon und der historische Sokrates sind immer mehr zu einer mythischen Gestalt zusammengewachsen, im Phaidros aber überwiegt Platon.“ Die genaue zeitliche Einordnung des Werkes ist umstritten.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Das Gespräch des Phaidros spielt sich in einem äußerst lieblichen Rahmen ab. Sokrates und Phaidros spazieren aus der Stadt hinaus und lassen sich am Ufer eines Baches nieder, um zu plaudern. Im Dialog verhindert die selbstreflexive Diskussionsform des Philosophen Sokrates, die heute als Sokratische Methode didaktisch verwendet wird, die Eskalation, denn Phaidros ist ein junger und sehr reizbarer Gesprächspartner, weshalb Sokrates auch äußerlich eine möglichst harmonische Umgebung schafft.

Im ersten Teil des Dialogs liest Phaidros eine Rede des Lysias vor, in welcher jemand – „ein nicht verliebter Hofmacher“ – dazu rät, nicht mit dem Verliebten, sondern mit dem Nichtverliebten in Freundschaft zu sein, weil dieser zuverlässiger sei. Sokrates hält nun zwei Reden: nach der ersten soll man mit dem Nichtverliebten, nach der zweiten mit dem Verliebten Freundschaft halten. Wenn man sich in jemand verliebt, betet man ihn an wie einen Gott, dem man zu opfern bereit ist. Das Göttliche bezeichnet das Schöne, Weise und Gute. In der zweiten Rede, welche von Stesichoros stammt, wird der Beweis für die Unsterblichkeit der Seele vorgetragen. Er gründet darin, dass das stets Bewegte unsterblich ist. Stets bewegt ist das, was sich selbst bewegt, da es ja das Prinzip der Bewegung in sich hat. Die Seele aber bewegt das Lebewesen und sich selbst. Sie kann sich als bewegendes Prinzip nie selbst verlassen und ist daher unsterblich. An diese Ausführungen knüpft Sokrates einen Mythos, um den Aufbau und das Lebensschicksal der Seele zu beleuchten. Anfänglich lebten die Seelen unter den Göttern und nahmen teil an ihrer himmlischen Wagenfahrt. Die Götter haben lauter edle Pferde, die Seele aber, deren Wagen von der Vernunft gelenkt wird, hat ein edles, himmlisches Ross, das Gemüt, und ein wildes, zottiges, bockiges irdisches Pferd, den Trieb. Bei der Wagenfahrt in der Gesellschaft der Götter führt der Weg steil an den Rand der Welt, auf den Buckel des Himmels: hier vermag der Lenker des Seelengefährts, die Vernunft, die in der überhimmlischen Region beheimateten Ideen zu erblicken: farblose, stofflose, gestaltlose, in Wahrheit existierende Wesen. Hierher kann nicht mehr jede Seele emporklimmen, doch die es noch vermag, stürzt wegen des störrischen und ungeschickten Verhaltens des irdischen Pferdes leicht ab. Dann fallen die Federn aus den Flügeln der Seele und diese sinkt zur Erde. Hier vermag sie die allgemeine Wahrheit zu erfassen, wenn es ihr vorher gelungen war, die Ideen zu erblicken.

Wenn die Seele des Menschen auf Erden etwas Schönes erblickt, erinnert sie sich an die Ideen, ihre Federn beginnen wieder zu wachsen und sie erbrennt in Liebe: dieser „Wahnsinn“ erinnert die Seele an ihre eigentliche Heimat. Allerdings weiß der Geliebte nicht, „dass er wie in einem Spiegel in dem Liebenden sich selbst beschaut“.

Im zweiten Teil des Dialogs unterhalten sich Sokrates und Phaidros über das Wesen der Rede überhaupt: Sokrates beweist, dass der wahre Redner ein vollkommener Psychologe und Philosoph sei, weil er die Seele der Zuhörer und die Gegenstände der Rede vollständig kennen muss. Denn wenn jemand durch seine Rede auch nur einen bloßen Schein erwecken wollte, kann er das nur mittels der Darstellung von Ähnlichkeiten tun. Die Ähnlichkeit aber sieht der wahre Kenner des Wesens am besten. Das Geschriebene ist nicht viel wert, denn es ist tot und gibt auf jede Frage dieselbe Antwort. Darum schreibt der echte Kenner der Wahrheit mehr nur zum Scherz und zum Erwecken der Erinnerung, denn seine Schrift ist ja beinahe so, als wenn er sie ins Wasser geschrieben hätte; dagegen pflegt er viel eher die philosophisch erziehende Rede, die in der Seele des Schülers zum Leben erwacht: Diese Rede ist der dialektische Unterricht, der das Mannigfaltige umfasst und auf eine Idee zurückführt.

Interpretation

Für die europäische Geistesgeschichte waren besonders die Eros- und Seelenlehre des Dialogs von großer Bedeutung. In der neueren Forschung findet vor allem Platons Kritik an der Schriftlichkeit als einer defizitären Form des Philosophierens großes Interesse.

Für die Dekonstruktion Derridas in seinem Werk "Platons Pharmazie" kommt dem Phaidros, insbesondere dem Theut-Mythos, eine zentrale Rolle zu. Anhand dieses Platonischen Mythos, welcher von dem Ursprung der Schrift erzählt, versucht Derrida durch den Begriff „Pharmakon“ den verlorenen Wert der Schrift aufzuzeigen und kritisiert den Logozentrismus.

Literatur

Weblinks


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