Pflimlin

Pflimlin
Pierre Pflimlin (Mitte) 1983 in Rhöndorf

Pierre Eugène Jean Pflimlin (* 5. Februar 1907 in Roubaix, Französisch-Flandern; † 27. Juni 2000 in Straßburg) war Jurist und französischer Politiker mit Ämtern auf kommunaler, nationaler und europäischer Ebene.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Die Anfänge

Pierre Pflimlins Vater war ein Textilfabrikant, der eine Spinnerei im elsässischen Mulhouse (Mülhausen) betrieb, wo Pflimlin auch aufwuchs. In der Familie wurde sowohl Deutsch als auch Französisch gesprochen. Er studierte Jura am Katholischen Institut in Paris und dann an der Universität Straßburg, hier wurde er schließlich mit einer juristischen Dissertation promoviert. Er ließ sich 1933 als Rechtsanwalt in Straßburg nieder. Aus religiöser Überzeugung nahm der konservative Jurist keine Scheidungsfälle an, demgegenüber vertrat er aber sozialreformerische Ideen. Im Zweiten Weltkrieg arbeitete er als Dolmetscher, dann im Jugendministerium der Regierung Pétain, aus dem er sich bald wieder zurückzog und schließlich Richter wurde.

Politischer Werdegang

Nach dem Ende des Krieges widmete sich Pflimlin ganz der Politik, er wurde Mitglied der Republikanischen Volkspartei (Mouvement Républicain Populaire - MRP), einer schon 1944 gegründeten Partei mit einem christlichen, aber auch sozialdemokratischen Programm. Diese Kombination erwies sich als so erfolgreich, dass sie der MRP den drittgrößten Wählerzuspruch in der Nachkriegszeit verschaffte. Ihr bekanntester Protagonist war der Europapolitiker Robert Schuman.

1945 wurde Pflimlin Stadtrat in Straßburg und Abgeordneter der Nationalversammlung, was er 22 Jahre lang blieb. Seine politischen Ambitionen konnte er ungeachtet der Kurzlebigkeit der französischen Kabinette in der Vierten Republik immer mehr ausbauen. Zunächst wurde er Unterstaatssekretär für Bevölkerungspolitik, dann Landwirtschaftsminister von 1947 bis 1951, wo er den europäischen Schuman-Plan mit seinem Pflimlin-Plan auf dem landwirtschaftlichen Gebiet ergänzte. In kurzer Folge amtierte er in verschiedenen Kabinetten als Handelsminister, Staatsminister, Minister für das überseeische Frankreich und Finanzminister. Letztere Tätigkeit war auch als Ersatz zu verstehen für sein erstmaliges, vergebliches Bemühen um eine Regierungsbildung.

1956 erfolgte seine Wahl zum Vorsitzenden der MRP. Seine ministeriale Tätigkeit setzte für anderthalb Jahre aus, dann wurde er wieder Finanzminister. Pflimlin konnte am 13. Mai 1958 endlich Premierminister werden, nachdem die vorherige Regierung Gaillard wegen des Algerienkonflikts stürzte. Da aber die Generäle nicht ihn, sondern General de Gaulle zum Präsidenten haben wollten, gab es am selben Tag den ersten Algerienputsch der Generäle. Am 28. Mai trat Pflimlin wieder zurück, weil seine Kompromisse keine Seite zufriedenstellen konnten. Eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten kam für ihn nicht in Frage. Das wurde auch das Ende für die Vierten Republik, da de Gaulle seine Rückkehr an die Macht mit einer Verfassungsänderung besiegelte.

Dem neuen Kabinett gehörte Pflimlin wieder als Staatsminister und MRP-Vertreter an. Doch aufgrund der Differenzen mit der Europapolitik de Gaulles beteiligte er sich nicht mehr am nächsten Kabinett. Stattdessen kandidierte er 1959 erfolgreich für die Wahlen zum Bürgermeister in Straßburg. Dieses Amt übte er bis 1983 aus. Ein letztes Mal übernahm er im April 1962 eine ministeriale Verantwortung im Kabinett Pompidou. Doch schon im nächsten Monat verließen die MRP-Minister die Regierung, da ihre Europapolitik von de Gaulle auf einer Pressekonferenz brüskiert worden war.

In der Nationalversammlung bildete sich Ende 1962 ein neues bürgerliches Fraktionsbündnis, das Centre démocratique, dessen Vorsitz er übernimmt und den Vorsitz in der MRP kurz darauf abgibt. Nach der Auflösung der MRP 1967 traten er und die meisten Parteifunktionäre in das Centre des démocrates sociaux (CDS) (Sozialdemokratisches Zentrum) über. Diese proeuropäische Partei ist wiederum 1978 in der von Giscard d'Estaing initiierten UDF aufgegegangen und bildet dort den linken Flügel.

Europapolitik

Pflimlin war kein gewöhnlicher Berufspolitiker und Technokrat. Vielmehr widmete er seine Politik ganz der deutsch-französischen Aussöhnung und der europäischen Einigung. Seinem unermüdlichen und geduldigen Engagement ist es zum größten Teil zu verdanken, dass Straßburg zu einem Zentrum der europäischen Politik geworden ist. Von 1959 bis 1967 war er Mitglied und von 1963 bis 1966 Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

1979 wurde er zum Mitglied, 1982 zu einem der Vizepräsidenten und am 24. Juli 1984 zum Präsidenten des Europaparlaments gewählt. Das Amt hatte er bis zum Januar 1987 inne, danach blieb er bis 1989 einfacher Abgeordneter und engagierte sich weiterhin für die europäische Einigung. Pflimlin, der ein überzeugender Redner war, verlegte sich nun mehr auf das Publizieren. In seinen Memoiren (1991) hob er noch einmal die Bedeutung der europäischen Einigungsbestrebungen hervor. Seine Kollegen und Freunde schätzten Pflimlin wegen seiner taktvollen Diplomatie und seiner großen Arbeitsdisziplin, wobei er nie seinen feinsinnigen Humor vermissen ließ.

Er war einer der letzten überlebenden Gründungsväter der Europäischen Union. Pflimlin war seit 1939 verheiratet mit Marie Odile, geb. Heinrich, und hinterlässt drei Kinder: Étienne, Bankpräsident von Crédit Mutuel, Odile, Germanistikdozentin in Paris, und Antoinette, Angestellte der Stadt Straßburg.

Auszeichnungen

Werke

  • Laufenburger Henry, Pflimlin Pierre (1938): La nouvelle structure économique du IIIe Reich. Paris: Hartmann, 105 p.
  • (1977): Le cheminement de l'idée européenne. [conférence] Fribourg: Éditions universitaires, 28 p.
  • (1991): Mémoires d'un européen de la IVe à la Ve République. Paris: Fayard, 391 p.,
  • (1995): „Frieden - das ist der Europa-Idee gutzuschreiben.“ Eine Geschichtsstunde mit Pierre Pflimlin. Redaktion: Hanns-Georg Helwerth. Landesbildstelle Württemberg, Stuttgart. 1 Videokassette (VHS, 53 Min.), farbig und s/w

Sekundärliteratur

  • Erzbischöfliches Generalvikariat Paderborn (1987): Zwölf Völker - eine Zukunft. Dokumentation zur Verleihung der St.-Liborius-Medaille für Einheit und Frieden an Pierre Pflimlin am 26. Oktober 1986. Hrsg. vom Erzbischöfl. Generalvikariat Paderborn, Presse- und Informationsstelle. Paderborn: Bonifatius, 51 S., Ill. farb.
  • Monmarché, Carole et Pflimlin, Edouard: Pierre Pflimlin. Les choix d'une vie. Strasbourg: Éditions du Signe 2001, 165 p. ISBN 2746803100

Weblinks



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