Atypisches Neuroleptikum

Atypisches Neuroleptikum

Atypische Neuroleptika (syn. atypische Antipsychotika, oder kurz Atypika) sind eine heterogene Gruppe von Arzneimitteln, die zur Behandlung der Schizophrenie und anderer Psychosen eingesetzt werden. Seit den 1950er Jahren werden "typische Antipsychotika" wie Haloperidol dafür verwendet (erste Generation der Antipsychotika).

Seit den 1990er Jahren wurden für die gleiche Indikationen verschiedene auf anderen Wirkungsmechanismen basierende Neuroleptika entwickelt. Um diese Gruppe der Antipsychotika der "zweiten" Generation deutlich von denen der "ersten" zu unterscheiden, wird für diese der Begriff atypische Neuroleptika verwendet.[1]

Der Begriff Atypisches Neuroleptikum entstand bereits mit der Einführung von Clozapin in die Schizophreniebehandlung. Die neuen Substanzen sollen die typischen Nebenwirkungen der Neuroleptika seltener hervorrufen, insbesondere seltener extrapyramidal-motorischen Störungen (EPMS) und Spätdyskinesien verursachen.[2] Dem stehen allerdings andere, zum Teil schwerwiegende Nebenwirkungen der neuen Stoffe gegenüber.[3]

Inhaltsverzeichnis

Eigenschaften

Extrapyramidal-motorische Störungen

Lehrbücher der Psychiatrie und der Pharmakologie nennen die geringere EPMS-Rate (EPMS steht für Extrapyramidal-motorische Störungen) als charakteristische Gemeinsamkeit der Atypika. Jedoch existieren keine Grenzwerte oder quantifizierte Befunde. Generell gilt, dass EPMS und Dyskinesien bei atypischen N. "in bereits antipsychotisch wirksamen Dosierungen" weitgehend fehlen sollen. Allerdings liegen für einzelne Atypika Studien vor, in denen diese Stoffe eine den „typischen“ Neuroleptika vergleichbare Parkinsonoid-Inzidenz zeigten (zum Beispiel Risperidon vs. Flupentixol).[4]

Wirkung auf Minussymptome

Atypika sollen bei gleich guter Wirkung auf die Positivsymptome eine bessere Wirksamkeit gegen die sogenannten Negativsymptome der Psychose aufweisen als die klassischen Neuroleptika. Autoren wie Möller oder Benkert/Hippius vertreten hierzu gegensätzliche Standpunkte. Die verwendeten Testinstrumente (v. a. Rating-Skalen) lassen keine klare Abgrenzung und keine ätiologische Zuordnung der Negativsymptome zu. Symptome wie Rückzug oder gedrückte Stimmung könnten im Einzelfall willkürlich als primär (Ausdruck der Erkrankung) oder sekundär (Folge der persönlichen Situation, Klinikumgebung etc.) gelten. Ein wesentlicher Fortschritt konnte bisher nicht nachgewiesen werden.[5]

Molekularpharmakologische Eigenschaften

Zusätzlich zu der antagonistischen Wirkung klassischer Neuroleptika an Dopamin-Rezeptoren vom Subtyp D2 zeigen die meisten atypischen Neuroleptika eine ausgeprägte antagonistische Wirkung an Serotonin-Rezeptoren des Typs 5-HT2A. Das Verhältnis aus der Affinität eines Neuroleptikum zu 5-HT2A-Rezeptoren zu seiner Affinität zu D2-Rezeptoren, auch Meltzer-Index genannt, dient der Vorhersage atypisch-neuroleptischer Eigenschaften.[6] Auf der Hemmung von 5-HT2A-Rezeptoren soll gemeinsam mit der antidopaminergen Wirkung die klinische Besserung (speziell der Minussymptome) und die geringere EPMS-Rate beruhen. Auch andere molekularpharmakologische Eigenschaften, wie beispielsweise der Partialagonismus von Aripiprazol und Amisulprid an Dopamin-Rezeptoren, können zur Erklärung atypisch-neuroleptischer Eigenschaften herangezogen werden. Ebenso wird eine besondere Rolle des Dopamin-D4-Rezeptors diskutiert.

Arzneistoffe

Folgende Substanzen werden zu den Atypika gerechnet:

Die Einordnung von Sulpirid wird uneinheitlich gehandhabt, da der Begriff Atypikum erst nach Einführung des Sulpirids populär wurde und bei dessen Bewertung in der Praxis keine Rolle spielte. Die Analogsubstanz Amisulprid dürfte ebenfalls nicht sicher als Atypikum gelten. Die beiden Benzamide unterscheiden sich pharmakologisch von den übrigen Neuroleptika, sowohl von den älteren als auch den neueren Vertretern. Es gibt Hinweise, dass Patienten in einem frühen Stadium psychotischer Erkrankungen von der Einnahme von Fischöl profitieren können.[7]

Literatur

Weblinks

 Commons: Atypisches Neuroleptikum – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. NIMH online: Mental health Medications. 17. September 2009
  2. H. C. Margolese, G. Chouinard, T. T. Kolivakis, L. Beauclair, R. Miller: Tardive dyskinesia in the era of typical and atypical antipsychotics.. In: Can J Psychiatry. 50, Nr. 9, August 2005, S. 541–7. PMID 16262110.
  3. A. Uçok, W. Gaebel: Side effects of atypical antipsychotics: a brief overview. In: World Psychiatry. 7, Nr. 1, Februar 2008, S. 58–62. PMID 18458771. Volltext bei PMC: 2327229.
  4. J. Scherer, P. Dobmeier, K. Kuhn, W. Schmaus: Incidence of rigor during treatment with flupentixol decanoate in comparison to risperidone. In: Psychiatr Prax. 31 Suppl. 1, November 2004, S. S167–9. doi:10.1055/s-2004-828461. PMID 15570542.
  5. K. Salimi, L. F. Jarskog, J. A. Lieberman: Antipsychotic drugs for first-episode schizophrenia: a comparative review. In: CNS Drugs. 23, Nr. 10, Oktober 2009, S. 837–55. doi:10.2165/11314280-000000000-00000. PMID 19739694.
  6. H. Y. Meltzer: Clinical studies on the mechanism of action of clozapine: the dopamine-serotonin hypothesis of schizophrenia. In: Psychopharmacology (Berl.). 99 Suppl., 1989, S. S18–27. PMID 2682729.
  7. Long-Chain -3 Fatty Acids for Indicated Prevention of Psychotic Disorders, A Randomized, Placebo-Controlled Trial, G. Paul Amminger, Miriam R. Schäfer,Konstantinos Papageorgiou, Claudia M. Klier, Sue M. Cotton, Susan M. Harrigan, Andrew Mackinnon, Patrick D. McGorry, Gregor E. Berger: Arch Gen Psychiatry. 2010; 67 (2): 146-154
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