Peter Singer

Peter Singer
Peter Singer im März 2009

Peter Albert David Singer (* 6. Juli 1946 in Melbourne, Australien) ist ein australischer Philosoph und Ethiker.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Seine Eltern waren Wiener Juden, die in der Zeit des Nationalsozialismus nach Australien auswanderten. Er verlor mehrere Verwandte im Holocaust.[1] Singer hat in Oxford, an der New York University und der La Trobe University gelehrt und war von 1977 bis 1999 Professor für Philosophie an der Monash University in Melbourne, Australien. 1999 berief man ihn als DeCamp Professor of Bioethics an das Center for Human Values der Princeton University.

Singer ist seit 1968 mit Renata Diamond verheiratet. Das Paar hat drei Töchter.

Vertretene Ideen

Singer vertritt den Utilitarismus und wendet diesen in der Bioethik an.

Singer glaubt nicht an eine rationale Begründbarkeit der Moral für jedermann: "I don't think you can rationally prove an answer for everyone irrespective of their nature and their preferences, that shows that it's always rational for them to be moral."[2]

Die Befreiung der Tiere

Hauptartikel: Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere

Sein 1975 in englischer Sprache erschienenes Buch Animal Liberation gilt als Grundstein der zeitgenössischen Diskussion über den moralischen Status von Tieren in der Tierrechtsbewegung; gemeinsam mit Tom Regan gilt Singer daher als Begründer der modernen Tierethik. In diesem Buch beschreibt er das Phänomen des Speziesismus, der Diskriminierung oder Ausbeutung von Tierarten aufgrund eines angenommenen Vorranges der Spezies Mensch. Singer stellt in diesem Buch die These auf, dass die Zugehörigkeit zu einer Spezies keine moralische Relevanz für die Berücksichtigung der Interessen besitzt. Einziges Kriterium für die Berücksichtigung sei die Fähigkeit, Interessen zu besitzen, welche Singer in Anlehnung an Jeremy Bentham mit der Eigenschaft, Schmerz empfinden zu können, gleichsetzt. Insbesondere bei Säugetieren und Vögeln gibt es seiner Ansicht nach eindeutige Hinweise darauf, dass diese Tiere Schmerz empfinden können.[3]

In der Praxis äußert sich eine solche Moral in erster Linie in dem Boykott von Produkten aus nahezu allen Formen der Tierhaltung, insbesondere aber der Massentierhaltung (zum Beispiel durch Vegetarismus oder Veganismus). Des Weiteren steht der Nutzen vieler Tierversuche in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem in Kauf genommenen Leid der Tiere. Singer lehnt daher Tierversuche zu großen Teilen ab, räumt aber ein, dass es utilitaristisch gerechtfertigte Versuche geben kann, wenn als Resultat dieser mehr Leid verhindert als durch die Versuche selbst entstehen würde.

Zu der Frage, in welchen Fällen das Töten von Tieren moralisch verwerflich ist, äußert sich Singer in Animal Liberation – Die Befreiung der Tiere kaum. Er begründet dies mit der vergleichsweise hohen Komplexität dieser Fragestellung und verweist darauf, dass schon allein der Schmerz der Tiere in der modernen Gesellschaft eine umfassende Änderung des Verhaltens gegenüber Tieren verlangt. Die Tötungsfrage und der damit verbundene Wert des Lebens wird in seinem Buch Praktische Ethik ausführlich erörtert.

Praktische Ethik

Hauptartikel: Praktische Ethik

In seinem Buch Praktische Ethik bezieht Peter Singer noch deutlicher Stellung und arbeitet eine utilitaristische Position (Präferenzutilitarismus) auf verschiedenen Gebieten der angewandten Ethik aus. Singer erklärt das Prinzip der gleichen Interessenabwägung, das Gleichheit nicht auf gleiche Behandlung, sondern auf gleiche Berücksichtigung der Interessen stützt. Es gibt für ihn keine moralische Rechtfertigung für die Nicht-Berücksichtigung von Interessen. Da Singer als Bedingung für Interessen die Fähigkeit, Schmerz und Glück empfinden zu können, festlegt, haben auch Tiere (die diese Fähigkeiten besitzen) Interessen, die bei Entscheidungen mit berücksichtigt werden müssen.

Singer misst der biologischen Zugehörigkeit eines Wesens zur menschlichen Spezies keine moralische Relevanz bei, sondern Eigenschaften wie Schmerzempfinden und Selbstbewusstsein (welche bei manchen biologischen Menschen fehlen und andererseits bei manchen nichtmenschlichen Tieren vorhanden sind). Die Bevorzugung einiger Gruppen oder Individuen auf Grund deren Spezieszugehörigkeit bezeichnet er als Speziesismus.

Somit hängt die Verwerflichkeit des Tötens anderer Lebewesen von deren individuellen Eigenschaften ab. Die Tötung eines anderen Lebewesens verstoße im allgemeinen gegen das Interesse des Lebewesens, weiterleben zu wollen, und sei daher Unrecht. Personen, also Wesen, die sich ihrer selbst, in einem zeitlichen Kontinuum bewusst sind, hätten dagegen zusätzlich einen „besonderen Wert“.

Peter Singer äußert sich in dem Buch auch über Schwangerschaftsabbrüche, Tötung von Neugeborenen und Sterbehilfe. Weitere Themen sind die Armut in der Welt, die Asylproblematik und die Umwelt. Singer legt auch seine Ansichten über Ethik, legitime Zwecke und Mittel sowie die Frage „Warum moralisch handeln?“ dar.

Rezeption

Singers Ethik wird kontrovers diskutiert und hat auch außerhalb von philosophischen Fachzeitschriften Reaktionen provoziert. So wird er unter anderem von Theologen und Interessenvertretern von Menschen mit Behinderung (vgl. Franz Christoph) kritisiert. Während im angelsächsischen Raum seine Position als eine legitime unter vielen aufgefasst wurde, gab es in Deutschland scharfe Reaktionen auf das Buch Praktische Ethik und auf Einladungen Singers nach Deutschland. Befürchtet wurde insbesondere in Fachzeitschriften der Sonderpädagogik ein „Dammbruch des eigentlich Indiskutablen“ und die Etablierung der Position Singers als vertretbaren Standpunkt.[4]
Erhitzte Kontroversen führt Singer selbst auf aus dem Zusammenhang gerissene Zitate und ein mangelndes Gesamtverständnis seiner Thesen zurück. In Writings on an Ethical Life hat er daher versucht, seine Ansichten knapp zusammenzufassen. Außerdem führt er die Angriffe auf seine Person und Thesen auch darauf zurück, dass bestimmte normative Vorgaben für seine Kritiker nicht in Frage zu stellen seien, etwa solche, welche sich aus religiösen Überzeugungen speisen, beispielsweise, wenn Menschen, nicht aber Tieren eine Seele zugesprochen wird. In der zweiten Auflage von Praktische Ethik schildert Singer die Debatte im Kapitel „Wie man in Deutschland mundtot gemacht wird“ aus seiner Sicht.

Von Behindertenorganisationen wird befürchtet, es werde einer Mentalität (politischer) Raum und mitunter schließlich rechtliche Legitimation gegeben, die letztlich gesellschaftliche Einstellungen zu Menschen mit Behinderung hervorrufen könne, welche in der Vergangenheit die nationalsozialistischen Euthanasieprogramme möglich werden ließen. An deutschen Universitäten wurden darum Veranstaltungen, die Singers Thesen zum Gegenstand der philosophischen Diskussion machen wollten, gestört, verhindert und die Veranstalter bedroht[5]. Singer argumentiert, dass Eltern zusammen mit den zuständigen Ärzten über das Weiterleben eines Säuglings entscheiden sollten, der an einer unheilbaren Krankheit wie Anenzephalie leidet und dessen Leben daher niemals auch nur minimale Befriedigung erfahren wird. Das Lebensrecht von erwachsenen behinderten Personen zweifelt er nicht an.

Unklar bleibt für einige Kritiker der Status nicht artikulierter oder später erst artikulierbarer Interessen. Auch Singer selbst stimmt zu, dass auch einer schlafenden Person Interessen zuzuschreiben und diese in ethische Abwägungen einzubeziehen seien – da die betreffende Person sie nach dem Aufwachen wieder artikulieren würde. Letzteres würde etwa für komatöse Individuen nicht der Fall sein – wie steht es aber beispielsweise mit Embryonen? Ethiker wie Don Marqius versuchen, auch hier – gegen Singer – zu begründen, dass Interessen zuzuschreiben und zu schützen seien. Ein weiterer Problemfall sind beispielsweise Interessen, welche mangels besserer Einsicht oder Unfreiheit des Willens nicht artikuliert werden können, etwa von Drogenabhängigen oder bei zeitweiligen Suizidwünschen. Auch hier könnte den Betreffenden ein schützenswertes Interesse etwa an der Unversehrtheit des eigenen Lebens zugeschrieben werden.

Singers 2009 erschienenes Buch The Life You Can Save wurde seitens William Easterly aufgrund der fehlerhaften Metapher des ertrinkenden Kindes und Singers Fokus auf den Geberaspekt der Entwicklungshilfe kritisiert.[6]

Auszeichnungen

Werke

  • Animal Liberation. B&T, Auflage von 2002, ISBN 978-0060011574 (deutsch: Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere. Übersetzt von Claudia Schorcht. Zweite Auflage, Rowohlt Verlag 1996, ISBN 978-3499199103)
  • Praktische Ethik. Reclam (RUB 8033), Stuttgart 1984; 2. überarb. A. 1993, ISBN 3-15-008033-9 (Originaltitel: Practical ethics, 1979)
  • Verteidigt die Tiere. Neff, Wien 1986 (Originaltitel: In defence of animals, 1985)
  • Muß dieses Kind am Leben bleiben? Das Problem schwerstgeschädigter Neugeborener (mit Helga Kuhse). Harald Fischer, Erlangen 1993, ISBN 3-89131-110-9 (Originaltitel: Should the baby live?, 1985)
  • Wie sollen wir leben? Ethik in einer egoistischen Zeit. Harald Fischer, Erlangen 1996, ISBN 3-89131-115-X, oder: dtv, München 1999, ISBN 3-423-36156-5 (Originaltitel: How are we to live? Ethics in an age of self-interest, 1993)
  • Individuen, Menschen, Personen. Fragen des Lebens und Sterbens (mit Helga Kuhse). Academia (Beiträge zur Angewandten Ethik 5), St. Augustin 1999, ISBN 3-89131-110-9 (Originaltitel: Individuals, Humans, Persons, 1994)
  • Writings on an Ethical Life. New York 2000, Ecco, ISBN 0-06-000744-3
  • Henry Spira und die Tierrechtsbewegung. Harald Fischer, Erlangen 2001, ISBN 3-89131-404-3 (Originaltitel: Ethics into action: Henry Spira and the Animal Rights Movement, 1998)
  • One World: The Ethics of Globalisation. Yale University Press, New Haven, 2002; Text Publishing, Melbourne, 2002; 2. Auflage, Yale University Press, 2004; Oxford Longman, Hyderabad, 2004. ISBN 0-300-10305-0
  • Der Präsident des Guten und des Bösen. Die Ethik George W. Bushs. Harald Fischer, Erlangen 2004, ISBN 3-89131-413-2 (Originaltitel: The president of good and evil, 2004)
  • Mein Großvater. Die Tragödie der Juden von Wien. Europa Verlag, Hamburg 2005, ISBN 3-203-82012-9 (Originaltitel: Pushing time away. My Grandfather and the Tragedy of Jewish Vienna,)
  • Leben retten: Wie sich Armut abschaffen lässt - und warum wir es nicht tun. Arche 2010, ISBN 3-716-02629-8 (Originaltitel: The Life You Can Save: Acting Now to End World Poverty)

Literatur

  • Till Bastian (Hrsg.): Denken, schreiben, töten. Zur neuen „Euthanasie“-Diskussion und zur Philosophie Peter Singers. Hirzel, Stuttgart 1990
  • Didi Danquart, Udo Sierck (Hrsg.): Der Pannwitzblick. Wie Gewalt gegen Behinderte entsteht. Libertäre Assoziation, Hamburg 1993, ISBN 3-922611-29-X
  • Christoph Anstötz (Hrsg.): Peter Singer in Deutschland. Zur Gefährdung der Diskussionsfreiheit in der Wissenschaft. Eine kommentierte Dokumentation. Mit einer Bibliographie von Björn Haferkamp. Lang, Frankfurt am Main 1995 (2. unv. A. 1997), ISBN 3-631-48014-8
  • Robert Spaemann: Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“. Klett-Cotta, Stuttgart 1996 (3. A. 2007), ISBN 3-608-91813-2
  • Erika Feyerabend: Die Debatte um Peter Singer in Heidelberg. In: Margret Jäger / Frank Wichert (Hrsg.): Rassismus und Biopolitik. DISS-Forschungsbericht 1996, ISBN 3-927388-55-6
  • Dale Jamieson (Hrsg.): Singer and His Critics. Blackwell, Oxford 1999, ISBN 1-55786-909-X
  • Martina Ahmann: Was bleibt vom menschlichen Leben unantastbar? Kritische Analyse der Rezeption des praktisch-ethischen Entwurfs von Peter Singer aus praktisch-theologischer Perspektive. LIT (Theologie und Praxis 11), Münster 2001, ISBN 3-8258-5333-0
  • Wojciech Bołoz, Gerhard Höver (Hrsg.): Utilitarismus in der Bioethik. Seine Voraussetzungen und Folgen am Beispiel der Anschauungen von Peter Singer. LIT (Symposion 2), Münster 2002, ISBN 3-8258-5895-2
  • Wilfried Härle: Menschsein in Beziehungen. Studien zur Rechtfertigungslehre und Anthropologie. Mohr, Tübingen 2006, ISBN 3-16-148754-0
  • Alexander Schlegel: Die Identität der Person. Eine Auseinandersetzung mit Peter Singer. Herder (Studien zur theologischen Ethik 116), Freiburg im Breisgau 2007, ISBN 3-451-29393-5
  • Jeffrey A. Schaler (Hg.): Peter Singer Under Fire, The Moral Iconoclast Faces His Critics, Open Court 2009, ISBN 978-0-8126-9618-9. Review von Fiona Woollard
Online verfügbar

Quellen

  1. Interview mit Peter Singer in der FAZ vom 24. Juli 2011, abgerufen am 25. Juli 2011
  2. http://www.youtube.com/watch?v=W3BmxyA3QPQ 2:17 - 2:28
  3. Animal Liberation. Die Befreiung der Tiere, zweite Auflage, Rowohlt Verlag 1996: S. 41
  4. Peter Heinrich: Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der "Praktischen Ethik" von Peter Singer, Dissertation, 2005. S. 204 f.
  5. Anstötz 1995
  6. ‘Tis the Season To Be Giving? Diskussion zwischen Peter Singer und William Easterly über Singers Buch und Entwicklungshilfe.

Weblinks

 Commons: Peter Singer – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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