Atomwaffensperrvertrag

Atomwaffensperrvertrag
Vorbereitungskonferenz für die 2010er Überprüfungskonferenz des NVV, 2008 im Palast der Nationen in Genf

Der Atomwaffensperrvertrag oder Nichtverbreitungsvertrag (NVV, englisch Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons, NPT) ist ein internationaler Vertrag, der das Verbot der Verbreitung und die Verpflichtung zur Abrüstung von Kernwaffen sowie das Recht auf die „friedliche Nutzung“ (peaceful use) der Kernenergie zum Gegenstand hat.

Der Atomwaffensperrvertrag wurde von den fünf Atommächten USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und Volksrepublik China und mittlerweile von 190 Staaten ohne Kernwaffen unterzeichnet und ratifiziert. Lediglich vier Nationen sind derzeit nicht Mitglied: Indien, Israel, Nordkorea und Pakistan.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Im Atomwaffensperrvertrag verzichten die Unterzeichnerstaaten ohne Kernwaffen auf atomare Rüstung (s. Artikel I bis III). Die fünf offiziellen Atommächte, die diesen Status dadurch erlangten, dass sie vor dem 1. Januar 1967 eine Kernwaffe gezündet haben (s. Artikel IX), verpflichten sich im Gegenzug zum Kernwaffenverzicht der anderen, „in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen ... über einen Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“ (siehe Artikel VI). Dies ist die einzige bindende Verpflichtung zur vollständigen Abrüstung der Atomwaffenstaaten in einem multilateralen Vertrag.

Außerdem steht laut Vertrag jedem Mitgliedstaat das „unveräußerliche Recht“ auf ein ziviles Atomprogramm zu. Alle Vertragsunterzeichner verpflichten sich, „den weitestmöglichen Austausch von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern“ (s. Artikel IV).

Jeder Staat darf den Vertrag kündigen, muss dies jedoch drei Monate zuvor bekanntgeben (s. Artikel X).

Überprüfung

Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) kontrolliert die Einhaltung des Vertrags, unter anderem durch Vor-Ort-Inspektionen in kerntechnischen Anlagen (s. Artikel III). Da diese Kontrollen aber angemeldet werden und sich zudem nur auf solche Anlagen richten, die die Vertragsstaaten freiwillig zur Kontrolle anbieten, bieten sie kaum Möglichkeiten, Verstöße gegen den Vertrag aufzudecken. Um ein wirksameres Mittel der Überprüfung zu erhalten, hat die IAEO daher ein Zusatzprotokoll zum Kernwaffensperrvertrag verfasst, das den Inspektoren die Möglichkeit gibt, unangemeldete Kontrollen in beliebigen Anlagen durchzuführen. Dieses Protokoll ist bisher in 139 Staaten in Kraft (Stand: 20. Dezember 2010). Um die Einhaltung des NVV sicherzustellen, halten die Mitgliedstaaten alle fünf Jahre eine Überprüfungskonferenz ab (s. Artikel VIII).

Geschichte

Der Vertrag wurde am 1. Juli 1968 von den USA, der Sowjetunion und Großbritannien unterzeichnet und trat am 5. März 1970 in Kraft. Auch der Iran hat als einer der ersten Vertragsstaaten 1968 unterzeichnet und 1970 ratifiziert. Mittlerweile haben 189 (ohne Nordkorea 188) Staaten den Vertrag unterzeichnet, darunter auch die Volksrepublik China und Frankreich (beide 1992). Die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete den Atomwaffensperrvertrag am 28. November 1969. Zu den nicht unterzeichnenden Staaten gehört neben Indien und Pakistan, die mittlerweile Kernwaffen entwickelt und getestet haben, auch Israel, das mutmaßlich ebenfalls über Kernwaffen verfügt (Vanunu-Affäre), dies aber weder bestätigt noch dementiert. Nordkorea ist dem Atomwaffensperrvertrag 1985 beigetreten, hat aber am 11. Januar 2003 den Austritt erklärt und – nach eigenen Angaben – seit dem 29. Oktober 2006 zwei Kernwaffen erfolgreich getestet (siehe auch: Nordkoreanisches Kernwaffenprogramm).

Der NVV war zunächst für 25 Jahre gültig (s. Artikel X). Bei der Überprüfungskonferenz 1995 in Genf wurde er auf unbestimmte Zeit verlängert. Auf Druck der New Agenda Coalition, einer Gruppe von Nichtatomwaffenstaaten, die die schnelle Abrüstung fordern, wurden 2000 in New York 13 Schritte zur vollständigen atomaren Abrüstung beschlossen.[1] Die Überprüfungskonferenz 2005 in New York scheiterte jedoch aufgrund der Blockadehaltung der USA und blieb ohne Ergebnis.[2]

Im April 2010 einigten sich die USA und Russland im neuen Strategic Arms Reduction Treaty darauf, ihre Bestände von strategischen Atomsprengköpfen und Trägersystemen zu verkleinern. Im Mai 2010 versammelten sich die 189 Mitgliedstaaten des Atomwaffensperrvertrag in New York abermals zur fünfjährig stattfindenden Überprüfungskonferenz. Im Juni diskutierten Experten über den Vertrag und den Weg zu einer kompletten Abrüstung auf dem „26. Forum Globale Fragen“ im Auswärtigen Amt in Berlin.[3]

Auf der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags wurde beschlossen, dass im Jahr 2012 eine internationale Konferenz über die Möglichkeit eines grundsätzliches Verbots von Massenvernichtungswaffen im Nahen Osten erörtern soll. „Damit wurde zum Abschluss der alle fünf Jahre stattfindenden Folgekonferenz zur Überprüfung des Sperrvertrags der Druck auf Israel erhöht. Von ihm wird vermutet, dass es als einziger Staat in der Region über Kernwaffen verfügt.“[4]

Kritik

Kritik am Inhalt des Vertrags

Kritiker bemängeln, der Atomwaffensperrvertrag schreibe eine Ungleichheit zwischen den offiziellen Atommächten und den Kernwaffenfreien Staaten fest: Während Letzteren der Besitz dieser Waffen verboten ist, würden die Atommächte keine Bestrebungen machen, ihre Abrüstungsverpflichtung umzusetzen. Verstärkt werde diese Ungleichheit dadurch, dass die im Vertrag festgelegten Atomwaffenstaaten zugleich die ständigen Mitglieder im UNO-Sicherheitsrat sind, die dort ein Vetorecht haben und völkerrechtliche Versuche, sie zur Abrüstung zu bewegen, blockieren können. Es wird in Frage gestellt, ob die Atommächte, die alle schon Angriffskriege geführt haben, die moralische Berechtigung haben, anderen Staaten Vorschriften über ihre Bewaffnung zu machen.

Auch wird kritisiert, dass der Vertrag die Ausbreitung von Atomwaffen nicht umfassend begrenzen konnte. Seit geraumer Zeit wird angenommen, dass Israel – vermutlich bereits seit 1967 – über Kernwaffen verfügt, wenngleich dies von israelischer Seite weder bestätigt noch dementiert wird. Indien und Pakistan haben offiziell bestätigt, solche Waffen zu besitzen, und haben sie getestet; Nordkorea hat 2006 und 2009 vermutlich Atombomben getestet, auch wenn diese Tests nicht einwandfrei funktioniert haben. Auch Südafrika hat während der Apartheid ein Kernwaffenprogramm verfolgt, dieses Anfang der 1990er aber freiwillig aufgedeckt und beendet. Südafrika gilt daher als Musterbeispiel, wie UN-Embargos von Staaten unterlaufen werden können. Derzeit werden dem Iran von manchen – darunter von Seiten der USA und der EU – Bestrebungen unterstellt, Atomwaffen zu entwickeln.

Kritik an der Umsetzung des Vertrags

  • Viele Kritiker werfen den offiziellen Atommächten vor, ihrer Verpflichtung zur Abrüstung nach Artikel VI nicht nachzukommen. Einige Atommächte modernisieren ihre Arsenale und entwickeln neue Waffen und Trägersysteme, statt abzurüsten. So forschten z. B. die USA unter George W. Bush an kleineren, zielgenaueren Kernwaffen, sogenannten Mini-Nukes und Bunkerbrechern, die tatsächlich eingesetzt hätten werden können und so die Grenze zwischen konventionellen und nuklearen Waffen hätten verschwimmen lassen. Verschiedene Nichtregierungsorganisationen fordern die vollständige Abrüstung aller Atomwaffen durch eine Nuklearwaffenkonvention.
  • Manche Beobachter sehen in der Nuklearen Teilhabe, in deren Rahmen Atomwaffen der USA in europäischen NATO-Ländern, einschließlich Deutschland, stationiert sind, einen Verstoß gegen das Verbot des Vertrages, diese Waffen an Nichtatomwaffenstaaten weiterzugeben.
  • Jeder Mitgliedstaat hat das Recht zur zivilen Nutzung (laut Vertragstext: „peaceful use“ – „friedliche Nutzung“) der Kernenergie. Im Konflikt um das iranische Atomprogramm wolle der Iran dieses Recht verteidigen und wehrt sich gegen die Forderung, die Urananreicherung einzustellen. Im Artikel III des Vertrags verpflichtet sich jeder Nichtkernwaffenstaat zu Sicherungsmaßnahmen für spaltbares Material und für Ausgangsmaterial zur Herstellung von spaltbarem Material, die Herstellung an sich ist nicht verboten, zu zivilen Zwecken.
  • Jede „Vertragspartei ist in Ausübung ihrer staatlichen Souveränität berechtigt, von diesem Vertrag zurückzutreten“ (Artikel X), Sanktionsinstrumente sind nicht Vertragsbestandteil. Nordkorea machte von diesem Artikel Gebrauch und kündigte den Vertrag mit Brief vom 10. Januar 2003 an den UN-Sicherheitsrat.[5] Kritiker werfen Nordkorea vor, sich nicht an die Provisionen aus Artikel X gehalten zu haben, welcher vorsieht, dass der austretende Staat seine Kündigung nicht nur dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, sondern auch allen anderen Staaten mitteilen muss. Dies tat Nordkorea nicht; daraus ist für Kritiker nun völkerrechtlich unklar, ob das Land noch stets Vertragsmitglied ist oder nicht.[6]
  • Anhand der Beispiele Irans und Nordkoreas wird deutlich, dass der Atomwaffensperrvertrag über keine eigenen Sanktionsinstrumente verfügt, um gegen Vertragsbruch vorgehen zu können. Es besteht einzig die Möglichkeit, dass die IAEO einen Vertragsbruch feststellt und gemäß Artikel XII.7.B ihres Statuts den entsprechenden Fall an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen überweist. Dies hat sie im Falle Irans im Jahr 2006 vollzogen. Im Falle Nordkoreas wurde der Sicherheitsrat eigenständig tätig.[7]
  • Es wird spekuliert, Verstöße gegen das Verbot der Weitergabe von Kernwaffentechnologie seien nicht aufgedeckt worden. Hierbei ist insbesondere ein Fall bekannt geworden: Abdul Qadir Khan, der Vater der pakistanischen Atombombe, hat zugegeben, er habe geheime Informationen über den Bau von Atombomben, an die er während seiner Beschäftigung in einem Urananreicherungsunternehmen in den Niederlanden gelangte, an Pakistan weitergegeben und später auch an den Iran verkauft. Zumindest die pakistanische Regierung hat dies bestätigt.[8][9] Demnach hätte sich der Unterzeichnerstaat Iran eines Verstoßes gegen den Atomwaffensperrvertrag schuldig gemacht.

Siehe auch

Literatur

  • Atomwaffensperrvertrag vor dem Scheitern. Zur Geschichte und aktuellen Situation des Nichtverbreitungsvertrags für Atomwaffen. Aus: Analyse+kritik Nr. 496 vom 17. Juni 2005
  • Oliver Thränert: Would we really miss the nuclear nonproliferation treaty?, in: International Journal (Toronto), Spring 2008, S. 327-340.
  • Matthias van der Minde: Die Atomwaffen nieder! Völkerrechtliche und zivilgesellschaftliche Wege der atomaren Abrüstung, Hamburg: VSA: Verlag, 2010, S. 51-60.

Weblinks

 Wikisource: Atomwaffensperrvertrag – Quellen und Volltexte (Englisch)

Einzelnachweise

  1. Siehe The Promises of the 2000 NPT Review Conference (Stand: 5. März 2008)
  2. Joseph Cirincione: Failure in New York (Stand: 5. März 2008)
  3. Hauke Friedrichs: Der Atomwaffensperrvertrag – tot geglaubt und wiederbelebt In: zeit.de vom 15. Juni 2010
  4. Neuer Atomkonsens erhöht Druck auf Israel. In: Die Zeit. 29. Mai 2010, abgerufen am 15. März 2011.
  5. Siehe Veröffentlichung der Vereinten Nationen, abgerufen am 27. März 2011
  6. Siehe John Simpson: The Future of the NPT, in: Busch, Nathan E./Joyner, Daniel H.: Combating Weapons of Mass Destruction. The Future of International Nonproliferation Policy, Athens, GA: Georgia University Press, 2009, S. 60.
  7. Eine umfassende Kritik des Atomwaffensperrvertrags ist zu finden unter Matthias van der Minde: Die Atomwaffen nieder! Völkerrechtliche und zivilgesellschaftliche Wege der atomaren Abrüstung, Hamburg: VSA: Verlag, 2010, S. 51-60.
  8. Niederlande ließen Atomspion laufen Zeit Online, 9. August 2005
  9. Der Spiegel, 9. Februar 2004
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