Performativer Selbstwiderspruch

Performativer Selbstwiderspruch
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Retorsion (lat. retorsio „Zurückdrehung“) bezeichnet in der Philosophie eine Argumentationsfigur, die einen Widerspruch zwischen dem Aussageinhalt und dem Aussagevollzug aufdeckt.

Erläuterung

Ein Retorsionsargument ist gültig, wenn sich Aussageinhalt (der propositionale Gehalt) und Aussagevollzug einer bestimmten Aussage widersprechen. Dabei ist zu beachten, dass es sich nicht um einen formalen Widerspruch, sondern um einen performativen Widerspruch handelt. Das Retorsionsargument geht von einer "doppelten Mitteilungsfunktion der Sprache"[1] aus: Jede Aussage teilt nicht nur einen propositionellen Gehalt mit, sondern zudem einen im Vollzug liegenden semantischen Gehalt, der sich nachträglich begrifflich artikulieren lässt, sodass die Vergleichbarkeit und damit die Feststellung eines möglichen Widerspruchs zwischen propositionalem Gehalt und performativem Gehalt möglich wird.

Das klassische Beispiel ist in seiner einfachsten Form der Satz des Skeptikers: "Es gibt keine Wahrheit". Diese Aussage kann retorsiv widerlegt werden, indem auf die mit dem Vollzug dieser Aussage mitgesetzten Bedingungen dieser Aussage hingewiesen wird: Jede Aussage stellt in ihrem Vollzug einen Wahrheitsanspruch. Wenn also die Aussage "Es gibt keine Wahrheit" nicht nur leeres Gerede sein soll und als Vollzug einer Behauptung ernst genommen wird, dann stellt sie implizit den Anspruch, wahr zu sein, sodass sich ein performativer Widerspruch zwischen dem Inhalt der Aussage und den allgemeinen Vollzugsbedingungen einer Aussage ergibt. Das Retorsionsargument dient nicht dazu, bestimmte Aussagen direkt zu begründen, sondern dazu, die Verneinung bestimmter Aussagen zu widerlegen: Das Retorsionsargument beweist in unserem Beispiel nicht, dass es Wahrheit gibt, sondern nur, dass nicht sinnvollerweise geleugnet werden kann, dass es Wahrheit gibt. Das Retorsionsargument wird deshalb auch als transzendentales Argument bezeichnet: Es arbeitet die im Vollzug implizierten allgemeinen Bedingungen der Möglichkeit von Aussagen heraus.

Ein Versuch, das Retorsionsargument für eine Begründung der Metaphysik als transzendentalphilosophischer Wissenschaft nutzbar zu machen, stammt von Béla Weissmahr.

Erläuterung von Aussagen, die (scheinbar) performative Widersprüche enthalten

  1. „Ich spreche nicht“. - Die Aussage ist insofern nicht widersprüchlich, als man zwischen der Objekt-Ebene einer Aussage und der Meta-Ebene einer Aussage unterscheiden kann. Die Objekt-Ebene der Aussage „Ich spreche nicht“ besagt, dass jemand ausspricht, dass er nicht mehr sprechen will. Die Meta-Ebene der Aussage „Ich spreche nicht“ besagt: Jemand sagt: „Ich spreche nicht.“ (Jemand sagt, dass er nicht mehr spreche.) Wenn man nun das „Jemand sagt“ auf dieselbe Aussageebene hebt wie das „Ich spreche nicht“, setzt man, bildlich gesprochen, Äpfel und Birnen gleich und verstrickt sich in unauflösbare logische Widersprüche. Aus formallogischen Gründen muss man hier also sorgfältig die unterschiedlichen Aussageebenen (Objekt- und Meta-Ebene) unterscheiden.
  1. Gegen den philosophisch-wissenschaftstheoretischen Standpunkt des Fallibilismus ist eingewendet worden, dass er sich selbst außer Kraft setze bzw. sich selbst widerspreche, weil die Meinung, jede Theorie könne falsch sein (so die Grundannahme des Fallibilismus), doch selbst wohl wahr sein wolle. - Mit dem Retorsionsargument kann man den Fallibilismus nicht aus den Angeln heben, denn der Fallibilismus ist selbstverständlich bereit, sich als fallibel, als möglicherweise widerlegbar anzusehen, also als eine Hypothese und nicht als sichere Wahrheit. „Wahrheit“ gibt es für den Fallibilismus nur im Bereich trivialer empirischer Aussagen. Von theoretisch-wissenschaftlichen Aussagen kann nicht sicher gesagt werden, ob sie wahr sind. Sie könnten wahr sein, aber weil man nicht wissen könne, ob nicht irgendwann eine Beobachtung gemacht wird, die der Theorie widerspricht, könne man nicht sicher um die Wahrheit einer Theorie wissen. Der Fallibilismus widerspricht sich also nicht selbst. Aufgrund der bloßen Möglichkeit, dass es ein treffendes Argument gegen den Fallibilismus irgendwann geben könnte, ist der Fallibilismus noch nicht widerlegt (falsifiziert). Dazu bedürfte es eines treffenden Gegenarguments, das bislang noch nicht erbracht werden konnte. Gegen das Retorsionsargument als Widerlegung des Fallibilismus sei also mit der Unterscheidung zwischen „prinzipiell widerlegbar“ und „widerlegt“ geantwortet, die nicht dasselbe sind, aber im Retorsionsargument miteinander gleichgesetzt werden.

Einzelnachweise

  1. Béla Weissmahr, Die Wirklichkeit des Geistes, Stuttgart 2006, S. 57

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