Paulskirchenverfassung

Paulskirchenverfassung
150 Jahre Paulskirchenverfassung, Deutsche Sonderbriefmarke 1998.

Die so genannte Paulskirchenverfassung (auch: Frankfurter Reichsverfassung, abgekürzt FRV) war die erste demokratisch beschlossene Verfassung für ganz Deutschland, die allerdings nie umgesetzt wurde. Sie wurde von der verfassunggebenden Nationalversammlung, die nach der Märzrevolution von 1848 in der Paulskirche in Frankfurt am Main zusammengetreten war, erarbeitet und von dieser am 28. März 1849 als Verfassung des deutschen Reiches verkündet.

Sie sah unter anderem einen Grundrechtekatalog sowie eine konstitutionelle Monarchie mit einem Erbkaiser an der Spitze vor. Diese Rolle des Kaisers der Deutschen sollte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. übernehmen, der aber ablehnte. Auch wenn die Paulskirchenverfassung mit ihrer Verkündigung am 28. März 1849 (ihr Abdruck im Reichsgesetzblatt vom 28. April 1849 war lediglich deklaratorisch) rechtskräftig wurde[1], konnte sie gegen den Widerstand des preußischen Königs und der übrigen Fürsten im Deutschen Bund nicht durchgesetzt werden – die im Mai ausgerufene Reichsverfassungskampagne scheiterte.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung

Zu den langwierigen Debatten während der Erarbeitung der Paulskirchenverfassung gehörte diejenige über die endgültige Gestalt des neu zu schaffenden deutschen Nationalstaats. Als Alternativen standen schließlich die kleindeutsche und die großdeutsche Lösung zur Abstimmung. Erstere sah ein Deutschland unter Ausschluss des Kaisertums Österreich unter preußischer Führung, letztere den Einschluss der zum Deutschen Bund gehörenden Teile Österreichs vor.

§ 1 Satz 1 der Verfassung bestimmte: „Das deutsche Reich besteht aus dem Gebiete des bisherigen deutschen Bundes.“ Zudem sah § 2 Satz 1 vor, dass ein deutsches Land, das mit einem nichtdeutschen Land dasselbe Staatsoberhaupt habe, eine von diesem nichtdeutschen Land getrennte Verfassung, Regierung und Verwaltung haben solle. Beides stand im Widerspruch zu den Interessen der kaiserlichen Regierung in Wien, die Österreich als Vielvölkerstaat erhalten wollte und es ablehnte, auf die außerdeutschen Landesteile zu verzichten. Daher entschieden sich die Abgeordneten schließlich doch für die kleindeutsche Lösung, hielten sich aber die großdeutsche Lösung weiterhin offen. Mit der Formulierung „So lange die deutsch-österreichischen Lande an dem Bundesstaate nicht Theil nehmen […]“ regelten sie in § 87 Absatz 2 die Stimmenverteilung im vorgesehenen Staatenhaus.

Inhalte und Scheitern

Schema der Reichsverfassung von 1849

Die Verfassung sah vor, dass Deutschland eine konstitutionelle Erbmonarchie werden sollte. Die Dynastie beziehungsweise der Regent dieser Erbmonarchie sollte jedoch durch eine demokratische Abstimmung gewählt werden. Am Tag der Verkündung der Paulskirchenverfassung wählte die Nationalversammlung den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser der Deutschen. Die Kaiserdeputation, eine Abordnung bestehend aus dem Präsidenten der Nationalversammlung, Eduard von Simson, und 32 Abgeordneten, sprach daraufhin am 3. April bei Friedrich Wilhelm vor. Dieser berief sich jedoch auf sein Gottesgnadentum und lehnte ab. In diesem Sinne hatte Friedrich Wilhelm IV. bereits am 13. Dezember 1848 an seinen Gesandten Bunsen formuliert: „Die Krone ist erstlich keine Krone. Die Krone, die ein Hohenzoller nehmen dürfte, wenn die Umstände es möglich machen könnten, ist keine, die eine, wenn auch mit fürstlicher Zustimmung eingesetzte, aber in die revolutionäre Saat geschossene Versammlung macht, […] sondern eine, die den Stempel Gottes trägt, die den, dem sie aufgesetz wird, nach der heiligen Ölung ‚von Gottes Gnaden‘ macht […].“

Die anschließende Verfassungskampagne und die revolutionären Aufstände in Südwestdeutschland (Dresdner Maiaufstand, Pfälzischer Aufstand, Badische Revolution), die die deutschen Fürsten doch noch zur Annahme der Verfassung zwingen sollten, wurden im Sommer 1849 militärisch niedergeschlagen. Da die Verfassung rechtlich in Kraft getreten war, handelte es sich hierbei im Ergebnis um einen Militärputsch der alten Machthaber, auch wenn dies gegenüber der damaligen Öffentlichkeit geschickt als (rechtlich legitime) Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dargestellt wurde. In jedem Fall war damit das Verfassungswerk des Paulskirchenparlaments politisch endgültig gescheitert.

Alternativschema

Dennoch blieb die Paulskirchenverfassung prägend für die weitere konstitutionelle Entwicklung in Deutschland, speziell im Bereich der Grundrechte. Diese Rechte bildeten den Kern des Verfassungswerks und waren bereits am 27. Dezember 1848 durch das Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes in Kraft gesetzt worden. Sie wurden später in einem eigenen Abschnitt (Abschnitt VI: Unverletzlichkeit des Eigentums, die Freizügigkeit, die Aufhebung der Todesstrafe, die Freiheit der Person, das Briefgeheimnis, die Freiheit von Wissenschaft und Lehre, die Versammlungsfreiheit und die Redefreiheit) in die Paulskirchenverfassung aufgenommen. Später übernahm man sie zum Teil wörtlich sowohl in die Weimarer Reichsverfassung als auch in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Einzelnachweise

  1. Simon Kempny: Anfänge einer bundesstaatlichen Finanzverfassung 1848. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung (ZRG GA), 128. Band (2011) S. 413-425 (415); Jörg-Detlef Kühne, Die Reichsverfassung der Paulskirche, 2. Aufl. 1998, S. 48.

Literatur

  • Jörg-Detlef Kühne: Die Reichsverfassung der Paulskirche. Vorbild und Verwirklichung im späteren deutschen Rechtsleben. 2. Auflage, Neuwied 1998, ISBN 3-472-03024-0.
  • Karl Binding: Der Versuch der Reichsgründung durch die Paulskirche. Schutterwald/Baden 1998, ISBN 978-3-928640-45-9.
  • Brian E. Vick: Defining Germany: The 1848 Frankfurt Parliamentarians and National Identity. Harvard University Press, 2002, ISBN 0-674-00911-8.
  • Simon Kempny: Die Staatsfinanzierung nach der Paulskirchenverfassung. Eine Untersuchung des Finanz- und Steuerverfassungsrechts der Verfassung des deutschen Reiches vom 28. März 1849. Tübingen 2011, ISBN 978-3-16-150814-1.

Weblinks


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