Paul Oestreich

Paul Oestreich

Paul Hermann August Oestreich (* 30. März 1878 in Kolberg (Pommern); † 28. Februar 1959 in Berlin) war ein deutscher Pädagoge. Er war einer der führenden deutschen Reformpädagogen in den 1920er-Jahren. Ab 1949 arbeitete er in der Ost-Berliner Schulverwaltung.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Leistungen

Oestreich wurde als Sohn eines Tischlers geboren. Zunächst besuchte er in seiner Heimatstadt für vier Jahre die Volksschule. Mit großer finanzieller Unterstützung seiner Eltern konnte er danach ein Realgymnasium besuchen und das Abitur ablegen. Damit hatte er die Grundlage für einen gesellschaftlichen Aufstieg erhalten und konnte von 1896 bis 1900 an den Universitäten Berlin und Greifswald Mathematik, Physik, Philosophie, Pädagogik und neue Sprachen studieren. Nach dem Erwerb des Diploms erhielt Oestreich 1901 eine Anstellung als Lehrer an verschiedenen Schulen, 1905 wurde er als Studienrat an die Hohenzollern-Oberrealschule in Berlin-Schöneberg berufen, wo er bis zum Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft unterrichtete.

Oestreich engagierte sich frühzeitig politisch: Zunächst trat er dem Nationalsozialen Verein Friedrich Naumanns bei, 1918 wechselte er in die SPD. 1919 gehörte Oestreich zu den Gründern des Bundes entschiedener Schulreformer, dessen Vorsitzender und führender Theoretiker er bis zur Auflösung 1933 ununterbrochen blieb.

Anfangs war dieser Bund Lehrerinnen und Lehrern höherer Schulen vorbehalten, doch schrittweise öffnete er sich, so dass ab 1921 auch pädagogisch interessierte Laien dem Bund beitreten konnten. Obwohl etwa nur 5000 Mitglieder umfassend, erwarb sich der Bund durch die Verbreitung humanistischer Ideale, die eine bewusstere Erziehung der Jugend durch die gesamte Gesellschaft ohne Berücksichtigung der Herkunft der Kinder zum Ziel hatten, Anerkennung in Fachkreisen.

1920 organisierte der Bund die Reichsschulkonferenz, wo Pädagogen sich mit dem neuen Gedankengut der Vertreter verschiedener Richtungen einer Reformpädagogik, die bereits im 19. Jahrhundert ihren Ursprung hatte, vertraut machen und umfassend darüber diskutieren konnten; es ging dabei immer um eine neue Schule in einer neuen Gesellschaft. Zu den Verfechtern neuer Schularten gehörten neben Paul Oestreich (Die elastische Einheitsschule) unter anderem Gustav Wyneken (Freie Schulgemeinde), Hermann Lietz (Deutsche Landerziehungsheime), Paul Geheeb (Die Odenwaldschule), Berthold Otto (Die Hauslehrerschule), Georg Kerschensteiner (Die Arbeitsschule), Peter Petersen (Die Jena-Plan-Schule), William Lottig (Die Hamburger Lebensgemeinschaftsschulen), Wilhelm Paulsen (Die Berliner Lebensgemeinschaftsschulen), Anna Siemsen (Aufbau eines einheitlichen horizontal gestalteten Schulwesens, in das die gesamte Berufs- und Fachschulbildung einbezogen wird) und Fritz Karsen (Die Karl-Marx-Schule). Die Erneuerung des Schulwesens wurde in der Folge auf entsprechenden Tagungen, die der Bund organisierte, weiter diskutiert.

Paul Oestreich legte die Schwerpunkte seiner Aktivitäten auf die umfassende Verbreitung seiner Ziele und gab dazu Bücher sowie eine eigene Zeitschrift (ab Februar 1920) heraus und publizierte Fachartikel in anderen pädagogischen Veröffentlichungen. Er wurde so zu einem aktiven Propagandisten der angestrebten neuen Bildungspädagogik: die Kinder und Jugendlichen für die Aufgaben, die ihnen das Leben später stellen würde, in der Schule gründlich vorzubereiten.

In der Zeit 1933 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sind keine Aktivitäten von Oestreich nachweisbar, die Leitung des Bundes gab er ab.

Nach dem Krieg war er bis 1949 in Berlin-Zehlendorf und danach in Ost-Berlin im Hauptschulamt des Magistrats von Groß-Berlin als Dezernent für höhere Erziehung tätig. Hier konnte er seine Ideen von der Erneuerung des Erziehungs- und Schulsystems, von einer Bildung, die eine menschheitsumfassende Gemeinschaft zum Ziele hatte, in die gesellschaftliche Erneuerung mit einbringen, obwohl sie keine große Resonanz erzielten.

Die Paul-Oestreich-Schule in Berlin-Weißensee

Für sein unermüdliches Wirken wurde Oestreich in der DDR mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Großen Vaterländischen Verdienstorden.

Paul Oestreichs Urne erhielt einen Platz in der Ringmauer der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde.

Die Grabplatte für Oestreich in Berlin-Friedrichsfelde

Nachleben

Im früheren Bezirk Berlin-Weißensee (heute zu Pankow gehörend) wurde am 14. April 1967 eine Straße nach Paul Oestreich benannt, die frühere Straße am Realgymnasium.[1] Das entsprechende Gymnasium (ehemalige EOS) erhielt ebenfalls den Namen dieses Lehrers und Schulreformers.

Werke (Auswahl)

  • Herausgeber der Zeitschrift Die Neue Erziehung (Bulletin des Bundes entschiedener Schulreformer).
  • Die elastische Einheitsschule: Lebens- und Produktionsschule. 2. durchges. Aufl., Schwetschke, Berlin 1923.
  • Die Schule zur Volkskultur. München und Leipzig 1923 (=Pädagogische Reihe, 15).
  • Der Einbruch der Technik in die Pädagogik. Stuttgart 1930; wieder u.d.T. Die Technik als Luzifer der Pädagogik. Rudolstadt 1947.

Literatur

  • Winfried Böhm: Kulturpolitik und Pädagogik Paul Oestreichs. Bad Heilbrunn 1973.
  • Siegfried Kawerau: Der Bund entschiedener Schulreformer. Werden und Wesen. Berlin 1922 (=Entschiedene Schulreform, 1).
  • Ingrid Neuner: Der Bund entschiedener Schulreformer 1919–1933. Programmatik und Realisation. Bad Heilbrunn 1980.
  • Klaudia Schultheis: Pädagogik als Lösungswissen. Eine biographische Analyse der pädagogischen Semantik Paul Oestreichs. Bad Heilbrunn 1991.
  • Friedrich Wißmann: Paul Östreich (1878–1959) und seine „elastische Einheitsschule, Lebensschule und Produktionsschule“. In: Astrid Kaiser und Detlef Pech (Hrsg.): Geschichte und historische Konzeptionen des Sachunterrichts. Baltmannsweiler 2004, S. 131–134.
  • Deutscher Wirtschaftsverlag, AG (Hrsg.): Reichshandbuch der Deutschen Gesellschaft. Band 2, Berlin, 1931.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Paul-Oestreich-Straße. In: Straßennamenlexikon des Luisenstädtischen Bildungsvereins (beim Kaupert)

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