Paul Löbe

Paul Löbe
Paul Löbe (1924)
Paul Löbe, 1930 in Berlin
Briefmarke 1975
Das Paul-Löbe-Haus vom Bundeskanzleramt aus gesehen
Grabstein, Potsdamer Chaussee 75, in Berlin-Nikolassee

Paul Gustav Emil Löbe (* 14. Dezember 1875 in Liegnitz, Schlesien; † 3. August 1967 in Bonn) war ein deutscher Politiker (SPD) und Reichstagspräsident.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Beruf

Löbe wurde als Sohn des Tischlers Heinrich Löbe und der Pauline Löbe, geb. Leuschner, geboren. Schon als Junge trug er als Laufbursche mit dem Austragen von Zeitungen und Semmeln zum Unterhalt der Familie bei. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte er eine Schriftsetzerlehre in Liegnitz. In Breslau arbeitete er in den 1890er Jahren in einer Druckerei. Zwischen 1899 und 1920 arbeitete er als Chefredakteur der Breslauer Volkswacht. Er saß wegen seiner Arbeit als Redakteur oft im Gefängnis, so zum Beispiel wegen des Aufrufs zu einer Demonstration gegen das Dreiklassenwahlrecht. 1901 heiratete er Clara Schaller. Am Ersten Weltkrieg nahm Löbe nicht teil, da er aufgrund einer Lungenkrankheit nicht eingezogen wurde.

In den Jahren um 1924 ergriffen auch Politiker wie Aristide Briand, Edvard Beneš, Ignaz Seipel, Konrad Adenauer und Paul Löbe die Initiative für Paneuropa. In der Zwischenkriegszeit war der Sozialdemokrat Paul Löbe Präsident der Paneuropa-Union Deutschland.

Im Namen der SPD sprach er sich für einen Ausgleich mit Polen aus. 1927 reiste er deshalb zu Gesprächen mit polnischen Politikern nach Warschau und Łódź. Nach der Reise beklagte er sich über mangelnde Kompromissbereitschaft auf polnischer Seite.

Löbe gehörte zur Zeit der Weimarer Republik dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold an. Die Nationalsozialisten inhaftierten Paul Löbe nach der Machtergreifung 1933 ein halbes Jahr lang. Bis Anfang Juli 1933 war er in den Berliner Gefängnissen am Alexanderplatz und in Spandau, dann bis Mitte August im KZ Breslau-Dürrgoy, danach bis Ende Dezember im Gefängnis Berlin-Alexanderplatz. Nach seiner Freilassung arbeitete er beim wissenschaftlichen Verlag Walter de Gruyter. Trotz Löbes oppositioneller Haltung zum NS-Regime wurde ihm als ehemaliger Reichstagspräsident später auf Anweisung Hitlers eine Pension in Höhe von 600 RM gewährt[1], die bis 1945 pünktlich ausbezahlt wurde, da es nicht sein dürfe, „dass einer verhungern muss, nur weil er mein Gegner war“.[2] Aufgrund seiner Kontakte zum Goerdeler-Kreis wurde er jedoch nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 am 23. August erneut verhaftet. Im Schattenkabinett Beck/Goerdeler war Löbe für den Fall eines gelungenen Staatsstreiches als Reichstagspräsident eingeplant worden, was den vernehmenden Gestapomitarbeitern jedoch nicht bekannt war. Daher wurde Löbe nicht mit dem Tode bestraft, sondern nach kurzer Gefängniszeit in Breslau im KZ Groß-Rosen inhaftiert, aus dem er im Frühjahr 1945 entlassen wurde.

Das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte er in der Grafschaft Glatz in Niederschlesien. Als dieses Gebiet entsprechend den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens dem polnischen Staat zugeschlagen wurde, wurden die deutschen Bewohner vertrieben. Mit Hunderten von Landsleuten in Viehwagen gepfercht, musste Löbe im Sommer 1945 Schlesien für immer verlassen. Er schlug sich nach Berlin durch, wohnte im amerikanischen Sektor und betätigte sich wieder in der SPD. Bis an sein Lebensende blieb Löbe in der westdeutschen SPD und setzte sich besonders für die Belange der Heimatvertriebenen ein.

Noch 1945 wurde er Redakteur der Tageszeitung Das Volk, später dann Lizenzträger des Telegraf im britischen Sektor Berlins. Von 1949 bis 1951 war Paul Löbe der Gründungspräsident des Deutschen Rates der Europäischen Bewegung.[3] 1954 wurde er Vorsitzender des Kuratoriums Unteilbares Deutschland und blieb es bis zu seinem Tode. Er erhielt ein Ehrengrab des Berliner Senats auf dem Waldfriedhof Zehlendorf. Die Grabstätte befindet sich in der Abt. III U-24.

Partei

Löbe war seit 1895 Mitglied der SPD. Er gründete 1898 den SPD-Ortsverein von Ilmenau. 1899 wurde er Vorsitzender der SPD in Mittelschlesien. Schon 1919/20 bemühte er sich um eine Verständigung mit dem gemäßigten Flügel der USPD, der sich 1922 der SPD wieder anschloss. Der Reichsvorstand der SPD schlug ihn nach Friedrich Eberts Tod 1925 als Kandidaten für die Reichspräsidentschaft vor. Löbe lehnte jedoch ab, weil er seinen Platz im Parlament sah. 1933 war er kurz Vorsitzender der Inlands-SPD. Der gewählte Parteivorstand baute zu der Zeit in Prag eine Exil-Organisation (SoPaDe) auf.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligte er sich maßgeblich am Wiederaufbau der SPD und wurde Mitglied des Berliner Zentralausschusses der Partei. Dabei lehnte er die Zwangsvereinigung mit der KPD zur SED in der sowjetischen Besatzungszone strikt ab. Er verließ deshalb den Zentralausschuss der (Ost-)Berliner SPD und engagierte sich in der SPD der Westsektoren, die selbständig blieb. 1947 wurde er zum Vorsitzenden des Außenpolitischen Ausschusses der SPD ernannt.

Abgeordneter

Von 1904 bis 1919 war er Breslauer Stadtverordneter und von 1915 bis 1920 war er Mitglied im Provinziallandtag von Schlesien. Im Juni 1919 wurde er Vizepräsident der Weimarer Nationalversammlung, von 1920 bis 1933 war er Mitglied des Reichstags. Von 1920 bis 1924 und von 1925 bis 1932 war er auch Reichstagspräsident, danach von 1932 bis 1933 Vizepräsident. 1921 wurde er Mitglied des Preußischen Staatsrates.

Löbe war 1948/1949 Mitglied im Parlamentarischen Rat und dort stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Von 1949 bis 1953 war Löbe schließlich auch Mitglied des Deutschen Bundestages. Er war der Alterspräsident des Deutschen Bundestages während der ersten Legislaturperiode, wobei er als aus Berlin stammender Abgeordneter wegen der alliierten Vorbehalte nicht vom Volk gewählt werden konnte, sondern vom Abgeordnetenhaus West-Berlins als nicht stimmberechtigter Abgeordneter nach Bonn delegiert wurde. Er war die am frühesten geborene Person, die jemals dem Deutschen Bundestag angehörte; an zweiter Stelle stand der drei Wochen jüngere Konrad Adenauer, den er um 3 1/2 Monate überlebte.

Trauerfeier

Für Paul Löbe fanden in West-Berlin am 9. August 1967 ein Staatsbegräbnis und eine Trauerfeier statt, letztere im Rathaus Schöneberg. Der spätere RAF-Terrorist Andreas Baader, Hans Magnus Enzensberger, Rainer Langhans, der später als Verfassungsschutz-Agent enttarnte Peter Urbach, der den Sarg bereitstellte, und andere trugen einen Sarg mit der Aufschrift „SENAT“ auf dem Rathausvorplatz und verteilten Flugblätter: „Ihr wollt heute Paul Löbe durch den Schornstein feiern. […] Wir wollen ein paar smarte Leichen verscharren, die langsam schon zum Himmel stinken“, mit Auflistung der damaligen Mitglieder des Berliner Senats. Obwohl 24 der Demonstranten festgenommen wurden, konnten die Beteiligten Baader, Enzensberger und Gudrun Ensslin entkommen.[4]

Ehrungen

Löbe wurde 1951 mit dem Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Am 14. Dezember 1955 erhielt er die Ehrenbürgerwürde der Stadt Berlin. Er war Ehrenmitglied der Freien Universität Berlin. Außerdem war er Träger der Ehrenplakette des Bundes der Vertriebenen. 1960 verlieh ihm der Berliner Senat die Ernst-Reuter-Plakette. Das Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages ist nach ihm benannt, ebenso die Paul-Löbe-Schule, eine integrierte Sekundarschule in Berlin-Reinickendorf. In einigen Städten und Gemeinden sind Straßen nach Paul Löbe benannt.

Veröffentlichungen

  • Erinnerungen eines Reichstagspräsidenten. Berlin 1949 (Die veränderte und erweiterte 2. bis 5. Auflage erschien 1954 bis 2002 unter dem Titel: Der Weg war lang. Lebenserinnerungen.)
  • Gegenwartsfragen des Parlamentarismus. In: Für und Wider. Lebensfragen deutscher Politik. Offenbach am Main 1952, S. 39–48.
  • Aus dem Parlamentarischen Leben. In: Hessische Hochschulwochen für Staatswissenschaftliche Fortbildung. Band 3, 1953, S. 312–318.
  • Reichstag und Bundestag. Edition eines wiederentdeckten Vortrags von Paul Löbe aus dem Jahre 1951, eingeleitet und hrsg. von Michael F. Feldkamp, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen. Band 38, 2007, S. 376–400.

Literatur

  • Arno Scholz und Walther G. Oschilewski (Hrsg.): Lebendige Tradition. Paul Löbe zum achtzigsten Geburtstag am 14. Dezember 1955. Berlin 1955.
  • Wilhelm W. Schütz: Der gerade Weg. Paul Löbe und die deutsche Einheit. Berlin 1966.
  • Arno Scholz und Walther G[eorg] Oschilewski (Hrsg.): Ein großes Vorbild. Paul Löbe zum Gedächtnis. Berlin 1968.
  • Willy Albrecht: Die Bemühungen des schlesischen Sozialdemokraten Paul Löbe um den Erhalt der deutschen Einheit in den Jahren nach 1945. In: Wolfgang Schulz (Hrsg.): Große Schlesier. Berlin 1984, S. 216–220.
  • Helmut Neubach: Paul Löbe. In: Schlesische Lebensbilder. Band 6, 1990, S. 222–233.
  • Helmut Neubach: Paul Löbe. Bund der Vertriebenen, Bonn 2000, ISBN 3-925103-94-5.
  • M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung 1933–1945. Eine biographische Dokumentation. Mit einem Forschungsbericht zur Verfolgung deutscher und ausländischer Parlamentarier im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich, hrsg. von Martin Schumacher u.a., Düsseldorf 3. Auflage 1994, S. 291, 293f. (= Veröffentlichung der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Bonn).
  • Gerhard Beier: Löbe, Paul. In: Manfred Asendorf und Rolf von Bockel (Hrsg.): Demokratische Wege. Deutsche Lebensläufe aus fünf Jahrhunderten. Stuttgart und Weimar 1997, S. 393–395.
  • Erhard H. M. Lange: Gestalter des Grundgesetzes. Die Abgeordneten des Parlamentarischen Rates. 15 historische Biographien. Brühl/Rheinland 1999, S. 111–119.
  • Theodor Oliwa: Paul Löbe. Ein sozialdemokratischer Politiker und Redakteur. Die schlesischen Jahre (1875–1919). Neustadt 2003 (= Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte, Band 30).
  • Jürgen Mittag: Vom Honoratiorenkreis zum Europanetzwerk: Sechs Jahrzehnte Europäische Bewegung Deutschland. In: 60 Jahre Europäische Bewegung Deutschland. Berlin 2009; Seite: 12–28. Online

Weblinks

 Commons: Paul Löbe – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Erich Kern: Opfergang eines Volkes - Der totale Krieg -, Göttingen 1962, S. 33
  2. DER SPIEGEL: Die Gier der Generäle, abgerufen am 7. Oktober 2011.
  3. Mittag 2009: 15.
  4. Klaus Stern und Jörg Herrmann: Andreas Baader. Das Leben eines Staatsfeindes. 3. Auflage, dtv, München 2007, S. 86.

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