Paul Federn

Paul Federn
Paul Federn auf dem Psychoanalytischen Kongress 1911 in Weimar (4. Reihe, der sechste von links, mit starkem Bart)

Paul Federn (* 13. Oktober 1871 in Wien; † 4. Mai 1950 in New York) war ein Arzt und Psychoanalytiker, der zu den ersten Schülern Freuds gehörte. Trotz großer Loyalität zu diesem verschaffte er sich in späteren Jahren durch seine Beiträge zum Verständnis der Psychosen ein eigenständiges Profil, womit er aber erst nach seinem Tod breiter rezipiert wurde.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Paul Federn war Sohn eines bedeutenden Wiener Arztes, Salomon Federn, der die Blutdruckmessung am Krankenbett eingeführt hatte, und ein Bruder des Juristen und Schriftstellers Karl Federn sowie des Nationalökonomen und Wirtschaftsjournalisten Walther Federn. 1902 eröffnete er eine eigene Arztpraxis, im Jahr darauf wurde er mit Freud bekannt gemacht, der ihm gegen seine depressiven Krisen half. Federn wurde Mitglied der 1902 gegründeten Psychologischen Mittwochsgesellschaft, aus der 1910 die Wiener Psychoanalytische Vereinigung hervorging. Zu seinen Analysanden gehörten u. a. Wilhelm Reich und August Aichhorn.

Federn beschäftigte sich immer wieder mit biologischen Fragen, z. B. mit Hormontherapie, was 1918 zur Freundschaft mit Eugen Steinach führte, dessen Methode der Vasektomie er wenige Jahre später Freud empfahl.

Nachdem er den 1. Weltkrieg als Militärarzt verbracht hatte, veröffentlichte er 1919 Zur Psychologie der Revolution: Die vaterlose Gesellschaft, eine rein psychologische Deutung der Gründung der österreichischen Republik und der Revolutionen seit Kriegsende. In den folgenden Jahren wandte er sich der Sozialdemokratie zu und setzte sich für psychoanalytische Volksaufklärung ein.

Von 1924 bis 1938 war Federn als Vertreter Freuds Vizepräsident der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung. Zur selben Zeit begann er seine eigenen Auffassungen zum Verständnis der Psychosen auszuarbeiten, wobei es ihm um die Stärke und die Qualität des von ihm so bezeichneten Ichgefühls, um wechselnde Ichgrenzen und um affektive Besetzungen des Ichs ging. Als Ichgefühl bezeichnete er eine Qualität des Erlebens, durch die ein Erlebnisinhalt als zum Ich, und nicht zur Umwelt gehörig empfunden wird, wobei die Umwelt auch eine innerpsychische sein kann – Freuds Es und Überich.

Im Icherleben sind Federn zufolge lebensbejahende und destruktive Komponenten wirksam, die Libido und der Todestrieb Freuds. Abgesehen von ihrem Zusammenspiel kann das Icherleben aber auch insgesamt geschwächt sein, wenn die Ichgrenzen nicht ausreichend besetzt sind durch Empfindungen, die das Ich als sicher zu ihm gehörig versteht und die seine Kontinuität in Raum und Zeit sowie seine Einheit als Handelndes ausmachen. Eine relative Ichschwächung findet Federn zufolge regelmäßig im Traum statt, bei dem die Ichgrenzen durchlässig werden für Fremdes einschließlich des Materials aus dem Unbewussten. So wird im Traum z. B. der – im Wachzustand mehr oder weniger zum Ich gehörige – Körper nicht gespürt, bzw. machen sich Körperempfindungen störend bemerkbar und führen zum Erwachen.

Die Schwäche der affektiven Besetzung des Ichs ist für Federn das Hauptmerkmal der Psychosen. Damit setzte er sich deutlich von Freud ab, für den die Psychose aus einem Übermaß an „narzisstischer Ichlibido“ hervorgeht. – Statt einer Realitätsprüfung, bei der das Innerpsychische vom Außerpsychischen differenziert wird (wie von Freud für das normale psychische Funktionieren beschrieben), findet bei der Psychose lediglich die Unterscheidung des zum Ich und des nicht zum Ich – im oben dargestellten Sinn – Gehörigen statt, so dass die ichfremden Erlebnisinhalte, von denen das Ich nun überschwemmt wird, zugleich als „wirklich“ empfunden werden.

Federn nimmt eine große Flexibilität der Ichzustände an. Überwundene Ichzustände werden verdrängt, können aber wieder aktualisiert werden. Ziel der Therapie der Psychosen ist für Federn die Stärkung der affektiven Besetzung des Ichs und der Ichgrenzen, das „Einsparen“ von Energie für diese Besetzung; nicht die Aufhebung der Verdrängungen, sondern die Schaffung neuer; und insgesamt ein stützendes, helfendes Vorgehen des Therapeuten, das auf psychoanalytische Deutungen verzichtet.

1938 emigrierte Federn als Jude in die USA und wurde nach einem erneuten Medizinstudium Mitglied der New York Psychoanalytical Society. Er erwarb sich Anerkennung durch die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse, die ihn zu einem unorthodoxen Mitbegründer der Ich-Psychologie machten. Nach dem Tod seiner Frau, belastet zudem durch den langen Kampf gegen einen bösartigen Tumor, nahm er sich 1950 das Leben.

Paul Federns Sohn Ernst Federn (1914-2007) arbeitete ebenfalls im Bereich Psychoanalyse.

Schriften

  • Zur Psychologie der Revolution: Die vaterlose Gesellschaft, Leipzig: Suschitzky 1919
  • Das psychoanalytische Volksbuch. Seelenkunde. Hygiene. Krankheitskunde. Kulturkunde, Stuttgart: Hippokrates 1926; Bern: Huber 1939
  • Hygiene des Geschlechtslebens für den Mann, Stuttgart: Hippokrates 1930
  • Bis der Arzt kommt, Stuttgart: Hippokrates 1930
  • Gesundheitspflege für Jedermann. Heft 1-2. Stuttgart: Hippokrates 1930
  • Ichpsychologie und die Psychosen, Bern, Stuttgart: Huber 1956, Frankfurt: Suhrkamp 1978

Literatur

  • Edoardo Weiss: Einleitung, in: Paul Federn: Ichpsychologie und die Psychosen, Frankfurt: Suhrkamp 1978, S. 9-27.
  • Art. Federn, Paul, in: Elisabeth Roudinesco, Michel Plon: Wörterbuch der Psychoanalyse. Namen, Länder, Werke, Begriffe, Wien, New York: Springer 2004, S. 236-238.

Weblinks


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