Patrice É. Lumumba

Patrice É. Lumumba
Patrice E. Lumumba

Patrice Émery Lumumba (* 2. Juli 1925 in Katako-Kombé (Kasai); † 17. Januar 1961 ermordet in der Provinz Katanga) war ein afrikanischer Politiker und von Juni bis September 1960 erster Ministerpräsident des unabhängigen Kongo (zuvor: Belgisch-Kongo, 1971 bis 1997 umbenannt in Zaïre, heute wieder: Demokratische Republik Kongo).

Inhaltsverzeichnis

Leben

Werdegang und politische Anfänge

Lumumbas Geburtsname ist Tasumbu Tawosa. Erst später nannte man ihn Lumumba, was „Aufrührerische Massen“ heißt. Wegen seines Verhaltens musste er die Schule verlassen, dennoch konnte er in Stanleyville eine Laufbahn bei der Post beginnen. Wegen Veruntreuung verbüßte er eine Gefängnisstrafe. 1951 heiratete er seine Freundin Pauline, mit der er zwei Söhne hatte, Rudolf und Francois.

1958 war er einer der Gründer der für die Unabhängigkeit des Kongo eintretenden Partei Mouvement National Congolais, die sich als einzige Partei des Kongo in sämtlichen Landesteilen verankern konnte. Bald darauf nahm er dort eine führende Position ein. Als Wortführer der Unabhängigkeitsbewegung wurde er im Oktober 1959 verhaftet und gefoltert und am 25. Januar 1960 wieder in die Freiheit entlassen.

Zeit als Ministerpräsident

Aus den ersten Parlamentswahlen vom 25. Mai 1960 ging Lumumbas Partei, der Mouvement National Congolais (MNC) als stärkste politische Kraft hervor. Als am 30. Juni 1960 der Kongo seine Unabhängigkeit von Belgien erlangte, wurde Lumumba – trotz großen Widerstandes der weißen Siedler und der führenden Oberschicht des Landes – erster Ministerpräsident der in die Freiheit entlassenen jungen Republik. Das Amt des Staatspräsidenten ging an Joseph Kasavubu (1910-1969; im Amt von 1960-1965).

Schon während des Festaktes zur Unabhängigkeitsfeier trat Lumumba als entschiedener Verfechter afrikanischer Freiheit und Würde hervor. In einer Rede widersprach er dem belgischen König Baudouin I. (1930-1993), der die „Errungenschaften“ und die „zivilisatorischen Verdienste“ der Kolonialherrschaft lobte. In Anwesenheit des Königs und der versammelten Honoratioren aus dem In- und Ausland widersprach er dieser Geschichtsauffassung und prangerte an König Baudouin gewandt die Unterdrückung, Missachtung und Ausbeutung durch die belgische Kolonialverwaltung an.

„erniedrigender Sklaverei, die uns mit Gewalt auferlegt wurde. [...] Wir haben zermürbende Arbeit kennengelernt und mussten sie für einen Lohn erbringen, der es uns nicht gestattete, den Hunger zu vertreiben, uns zu kleiden oder in anständigen Verhältnissen zu wohnen oder unsere Kinder als geliebte Wesen großzuziehen. [...] Wir kennen Spott, Beleidigungen, Schläge, die morgens, mittags und nachts unablässig ausgeteilt wurden, weil wir Neger waren. [...] Wir haben erlebt, wie unser Land im Namen von angeblich rechtmäßigen Gesetzen aufgeteilt wurde, die tatsächlich nur besagen, dass das Recht mit dem Stärkeren ist. [...] Wir werden die Massaker nicht vergessen, in denen so viele umgekommen sind, und ebenso wenig die Zellen, in die jene geworfen wurden, die sich einem Regime der Unterdrückung und Ausbeutung nicht unterwerfen wollten.“

Nach diesem Diskurs wollte König Baudouin sofort Kongo verlassen, doch seine Minister rieten ihm, aus Höflichkeit zum Abschlussdiner zu bleiben. Bei diesem Dinner versuchte Lumumba, König Baudouin mit einer Lobrede über Errungenschaften in Belgien (außerhalb der Kolonialherrschaft) zu versöhnen.

Die Belgier entließen den Kongo durch die lange Kolonialherrschaft völlig unvorbereitet in die Unabhängigkeit. Während der Kolonialzeit scherte sich das „Mutterland“ kaum um gerechte Zustände, soziale Wohlfahrt, medizinische Versorgung oder das Bildungssystem. Es gab keine afrikanischen Offiziere, im gesamten Staatsdienst waren nur drei Afrikaner in leitenden Positionen tätig und landesweit gab es lediglich 30 Kongolesen mit akademischer Ausbildung. Dafür waren die belgischen und westlichen Interessen an den strategisch wichtigen Mineralressourcen des Kongo (Uran, Kupfer, Gold, Zinn, Cobalt, Diamanten, Mangan, Zink) umso größer; hinzu kamen Agrarressourcen (Baumwolle, Edelholz, Kautschuk, Palmöl). Diese immensen Investitionen auf wirtschaftlicher Ebene einerseits und die bewusste Vernachlässigung der menschlichen Ressourcen, des Bildungssystems und der sozialen Institutionen andererseits verschafften den Kolonialherren die Möglichkeit, das Land auch nach der Unabhängigkeit faktisch unter Kontrolle zu halten.

Die belgische Regierung sah Lumumba als eine Gefahr an; da er als Sozialist die reichen Bergbau- und Plantagen-Gesellschaften verstaatlichen wollte. Der belgische Staat übte auf die Medien Druck aus, um das Image Lumumbas zu ruinieren. Die belgische Presse bezeichnete ihn als Kommunisten und Anti-Weißen, was er immer zurückwies. Eine deutsche Zeitungskarikatur bezeichnete Lumumba sogar als Negerpremier. Nach seinem Tod lautete der Titel einer belgischen Zeitung „der Tod des Satans“ (la mort de Satan).

In vielen Gegenden des großen Flächenstaates herrschten schon unter belgischer Verwaltung desolate und anomische Zustände. Es kam zu sezessionistischen Bestrebungen, namentlich in der an Rohstoffen reichen Südprovinz Katanga, die sich unmittelbar vor der Unabhängigkeit des Kongo unter Moïse Tshombé (1919–1969) von der Zentralgewalt lossagte (29. Mai 1960), die damit verbundene Sezession sogleich aber wieder zurückzog, um sie am 11. Juli 1960 dann doch noch zu vollziehen.

Lumumba versuchte, die heterogenen Kräfte zu einen, die Einheit des Landes zu bewahren und seine Partei, die als einzige in allen Provinzen vertreten war, zu einer einheitlichen nationalen Bewegung nach dem Vorbild Ghanas (vgl. Kwame Nkrumah) aufzubauen. Dem standen die im Kongo verbliebenen Weißen (Siedler, Geschäftsleute und die nach wie vor unter der Führung von belgischen Offizieren stehende Armee), aber insbesondere die Großmacht USA entgegen.

Zuvor hatte Lumumba bei einem Besuch bei Eisenhower nicht die gewünschte Unterstützung erhalten. Als er daraufhin die UdSSR um militärische Unterstützung gegen die belgischen Truppen bat, kam sein vom CIA abgefangenes Telegramm schneller in Washington als in Moskau an. Der Kalte Krieg war auf dem Höhepunkt und der Widerstand gegen Lumumba konnte mit der Behauptung gerechtfertigt werden, dass Lumumba das Land dem Einflussbereich der Sowjetunion zuzuführen beabsichtige.

Am 12. Juli 1960 begab sich Lumumba in die abtrünnige Provinz Katanga. Dort stationierte belgische Truppen verweigerten ihm jedoch die Landeerlaubnis. Lumumba und Staatschef Kasavubu ersuchten darauf die UNO und deren Generalsekretär Dag Hammarskjöld um Hilfe und erklärten den Krieg mit Belgien. Belgien verstärkte darauf seine Truppenpräsenz in Katanga und die UNO entsandte erste Verbände nach Léopoldville (heute: Kinshasa).

Putsch gegen Lumumba

Die folgenden Ereignisse wurden unter dem Begriff "Kongo-Wirren" bekannt. Der Staatspräsident Joseph Kasavubu verbündete sich mit Unterstützung der USA mit Oberst Joseph Mobutu, einem früheren Weggefährten Lumumbas, gegen Lumumba, der am 5. September 1960 auf Drängen der USA aus seinem Amt als Ministerpräsident entlassen wurde. Darauf erklärte Lumumba Kasavubu für abgesetzt. Einen Tag später, am 6. September 1960, machte das kongolesische Parlament Lumumbas Entlassung wieder rückgängig und am 12. September 1960 veranlasste Kasavubu die neuerliche Entlassung und beauftragte den neuen Oberkommandierenden der Armee, Mobutu, mit der Verhaftung Lumumbas. Lumumba konnte sich der Verhaftung jedoch entziehen.

Am 14. September 1960 übernahm die Armee unter Mobutu in einem mit den USA abgesprochenen Putsch die Macht. Kasavubu blieb offizielles Staatsoberhaupt. Lumumba wurde unter Hausarrest gestellt.

Am 27. November 1960 gelang Lumumba die Flucht aus Léopoldville, kurz darauf wurde er aber bei Mweka festgenommen und nach Thysville gebracht (1. Dezember 1960). Nach einer Militärmeuterei in Thysville (13. Januar 1961) wurden Lumumba und zwei seiner Getreuen dem Erzfeind Tshombé nach Katanga ausgeliefert.

Aufarbeitung des Todes und Nachwirkung

Die genauen Umstände von Lumumbas Tod waren der Allgemeinheit lange Zeit unbekannt. Nach einigen Quellen wurde er bereits auf dem Flug nach Elisabethville so schwer misshandelt und verletzt, dass er schon kurz nach dem Flug starb. Aber Francois Lumumba, der Sohn von Patrice, erhob Anklage in Belgien, um die Umstände der Tötung seines Vaters genauer aufzuklären. Eine erst 41 Jahre nach der Tat einberufene Fachkommission des belgischen Parlaments konnte die Ereignisse um Lumumbas Tod hinlänglich rekonstruieren.

Demnach wurden Lumumba und seine Begleiter von Mobutus Männern festgenommen, per Flugzeug zu Moïse Tschombé nach Katanga deportiert und dort in eine Waldhütte gebracht. Lumumba und seine Gefolgsleute Okito und Mpolo wurden gefoltert. Danach erschienen seine politischen Gegner, Tschombé, Kimba und belgische Politiker, um sie zu beschimpfen und sie anzuspucken. Am 17. Januar 1961 wurden sie von katangischen Soldaten unter belgischem Kommando erschossen und zunächst an Ort und Stelle vergraben. Um die Tat zu vertuschen wurden die Leichen wenige Tage später exhumiert. Lumumbas Leichnam wurde zerteilt, mit Säure aufgelöst und schließlich verbrannt. Die Tötung wurde Dorfbewohnern angelastet (Lumumba assassiné par des villageois). Die meisten Medien aber gaben Tschombé die Schuld.

In ihrem Schlussbericht kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass König Baudouin von den Plänen zur Tötung Lumumbas wusste. Fest steht, dass die belgische Regierung die Lumumba feindlich gesinnten Kräfte im Kongo logistisch, finanziell und militärisch unterstützte. Ein Großteil der Schuld wird unmittelbar König Baudouin zugeschrieben, der unter Umgehung der politischen Instanzen seine eigene postkoloniale Politik betrieben haben soll. Frühere Untersuchungen kamen allerdings zu dem Ergebnis, dass die Tötung Lumumbas direkt von den Regierungen Belgiens und der USA angeordnet und vom amerikanischen Geheimdienst CIA und örtlichen, von Brüssel finanzierten Helfern ausgeführt wurde. Es gibt Dokumente, die nahelegen, dass US-Präsident Dwight D. Eisenhower schon im August 1960 der CIA den Befehl erteilt hat, Lumumba mittels Gift zu liquidieren.

Die mit dem Grimme-Preis in Gold ausgezeichnete TV-Dokumentation Mord im Kolonialstil von Thomas Giefer aus dem Jahre 2000 fasst die damaligen Ereignisse anhand der Interviews mehrerer ehemaliger Mitarbeiter und Offiziere der CIA und des belgischen Geheimdienstes zusammen. Diese geben darin erstmals vor laufender Kamera zu, persönlich an der Tötung Lumumbas und seiner Begleiter sowie der Beseitigung der sterblichen Überreste beteiligt gewesen zu sein. Einer der Offiziere besitzt immer noch die Schneidezähne von Patrice Lumumba, die er auch vorzeigte.

Patrice Lumumba wurde in ganz Schwarzafrika zu einem Mythos und zum Vorkämpfer der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung. Als charismatischer Anführer und Opfer im Kampf um die Freiheit des Kongo von der kolonialen Herrschaft wurde er zu einer Symbolfigur des antiimperalistischen Kampfes in Afrika.

Von 1961 bis 1992 war die Russische Universität der Völkerfreundschaft in Moskau nach Lumumba benannt.[1]

Zitat

„Seitdem Lumumba tot ist, hört er auf, eine Person zu sein. Er wird zu ganz Afrika“

Jean-Paul Sartre

Filmographie

Im Jahr 2000 kam der Film Lumumba (Französisch mit deutschem Untertitel) von Raoul Peck in die Kinos. Die Koproduktion von Frankreich, Belgien, Haiti und Deutschland zeigt den Aufstieg und die Ermordung Lumumbas in plastischen, erschütternden Bildern, wenngleich laut Zeitzeugen einige der Charaktere nicht ganz originalgetreu dargestellt worden sind.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. http://www.pfu.edu.ru/en/?pagec=49

Literatur

  • Heribert Blondiau: Tod auf Bestellung, München 2000, ISBN 3-550-07147-7
  • Ludo de Witte: Regierungsauftrag Mord, Leipzig 2001, ISBN 3-931801-09-8

Weblinks


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