Papyrologe

Papyrologe

Die Papyrologie (von griechisch πάπυρος, pápyros, „Papyrus(-staude)“ und λόγος, lógos, „Wort, Lehre“) ist eine Spezialdisziplin der Klassischen Altertumswissenschaft bzw. der Alten Geschichte. Ihr Gegenstand sind die überwiegend in Ägypten gefundenen Texte auf Papyrus, Ostraka, Pergament, Holz- und Bleitäfelchen und ähnlichen Beschreibstoffen aus der griechisch-römischen Zeit von etwa 300 v. Chr. bis 700 n. Chr, also aus dem Jahrtausend zwischen der Eroberung des Nillandes durch Alexander den Großen und der Abschaffung der griechischen Verwaltungssprache durch die Araber. Die Papyrologie unterscheidet zwischen dokumentarischen und literarischen Papyri. Zu den dokumentarischen, die den weitaus größten Teil der erhaltenen Papyri ausmachen, gehören u.a. Urkunden, Privatbriefe, Verträge und Landlisten. Zu den literarischen Papyri, zählt man alle auf Papyrus erhaltenen Texte, welche in die direkte Überlieferung eingegangen sind (oder wenigstens hätten eingehen können). Papyri, die nicht auf Altgriechisch oder Latein verfasst worden sind, fallen in die Zuständigkeit anderer Disziplinen wie der Ägyptologie, Koptologie und der Islamwissenschaft.

Inhaltsverzeichnis

Verhältnis zu anderen Wissenschaften

Die Papyrologie ist Hilfswissenschaft für einige andere Fachgebiete:

  • Die antike Rechtsgeschichte analysiert Rechtsurkunden (etwa über Kauf, Pacht, Kreditgeschäfte, Heirats-, Arbeitsverträge usw.) und verfolgt die Entwicklung des Rechtswesens insbesondere in hellenistischer Zeit.
  • Die Theologie wertet die auf Papyrus erhaltenen frühesten Zeugnisse für den Text des griechischen Alten und Neuen Testaments aus und interpretiert die zahlreichen Papyrusfunde mit frühchristlicher apokrypher oder patristischer Literatur.
  • Die Sprachwissenschaft verfolgt das Entstehen der antiken griechischen Volkssprache, einer Zwischenstufe auf dem Weg vom klassischen Altgriechisch zum Neugriechischen.
  • Die Wirtschafts- und Sozialgeschichte kann aus der Analyse von auf Papyrus erhaltenen Dokumenten Rückschlüsse auf das antike Alltagsleben, wirtschaftliche Zusammenhänge bzw. Handels- und Kommunikationswegen ziehen.
  • Papyri erlauben eine - im Vergleich zu anderen antiken Gesellschaften - sehr detaillierte Rekonstruktion der antiken ägyptischen Verwaltungsstrukturen und Herrschaftsverhältnisse
  • Die Historische Demographie kann aus Papyrusurkunden vergleichsweise zuverlässige Schätzungen zu Bevölkerungsdichte und -veränderungen im antiken Ägypten gewinnen.

Von der Papyrologie ist die Epigraphik abzugrenzen, die sich vorwiegend mit Inschriften auf Stein befasst. Weitere mit der Papyrologie verwandte (Hilfs-)Wissenschaften sind die Numismatik die sich mit Münzen befasst, die Paläografie - die Lehre über die Schriftentwicklung - und die Sphragistik, die Siegelkunde.

Herkunft der Papyri

Ptolemäerzeit und Ägypten als Provinz des Imperium Romanum

Zwischen 332 v. Chr., als Alexander der Große Ägypten eroberte, und 642 n. Chr., als das Land durch islamische Araber eingenommen wurde, war die Amts- und Verkehrssprache in Ägypten überwiegend Altgriechisch[1]. Nur die Papyri in dieser Sprache sowie die (recht wenigen) lateinischen Stücke werden von der Papyrologie behandelt.

Im Römischen Reich

Ein kleiner Teil der erhaltenen Papyri stammt aus anderen Bereichen des Römischen Reiches - denn im ganzen Imperium wurde dieses Material verwendet, doch war die Voraussetzung für eine Erhaltung nirgends so günstig wie im ägyptischen Wüstensand -, etwa aus Herculaneum oder Dura Europos.

In anderen Sprachen

Auf Papyri gefundene Texte in ägyptischer Sprache (Hieratisch, Demotisch, Koptisch), Arabisch und anderen Sprachen fallen in den Bereich anderer Disziplinen (z. B. der Ägyptologie).

Papyri aus der islamischen Zeit sind überwiegend Briefe, Urkunden, juristische Texte (Personen,- Erb-, Ehe- und Prozessrecht), ferner literarische, d.h. außerkoranische, Texte aus dem 9. Jahrhundert.[2]

Papyri werden in der Textkritik des Neuen Testaments mit dem Buchstaben P in Fraktur abgekürzt: \mathfrak{P}.

Auswertung und Aufbewahrung

Die Universität Heidelberg führt ein Gesamtverzeichnis aller publizierten griechischen Papyri Ägyptens [3].


Institute

In Deutschland gibt es je eine Professur für Papyrologie an den Universitäten Heidelberg und Trier. Ferner befassen sich rechtsgeschichtliche Lehrstühle und Institute etwa in München [4], Freiburg [5], Marburg und Göttingen mit Papyrologie.

An der Universität Wien (Standort: Österreichische Nationalbibliothek wegen der dort untergebrachten Papyrussammlung, die mit 180.000 Objekten zu den größten der Welt zählt) [6] gibt es einen speziellen Arbeitsbereich für Papyrologie, der vom Altphilologen Hermann Harrauer ins Leben gerufen wurde. 2004 wurde die erste Professur für Papyrologie und Alte Geschichte eingerichtet, die an seinen ersten Diplomanden, Bernhard Palme, vergeben wurde. Papyrologie ist derzeit für Studierende der Alten Geschichte und Altertumskunde in Wien verpflichtend.

Bedeutende Papyrussammlungen befinden sich in Deutschland in Giessen[7], Heidelberg[8], Halle[9], Jena[10], Köln[11], Leipzig[12], Marburg[13] und Trier[14].

An der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften existiert die Arbeitsstelle für Papyrologie - Epigraphik - Numismatik, begründet von Reinhold Merkelbach und gegenwärtig (2009) geleitet von Jürgen Hammerstaedt.

In den Vereinigten Staaten gibt es nennenswerte Papyrussammlungen an der Universität Michigan [15] und an der Duke University in North Carolina[16].

Siehe auch

Literatur

Einführungen

  • Nabia Abbott: Studies in Arabic Literary Papyri. 3 Bände.Chicago 1957-1972
  • Roger Bagnall: Reading papyri, writing ancient history. London 1995
  • Roger Bagnall: Egypt. From Alexander to the Copts. An archaeological and historical guide. London 2004
  • Roger Bagnall and Bruce Frier: The demography of Roman Egypt. Cambridge 1995
  • A. Grohmann: Allgemeine Einführung in die arabischen Papyri. Wien 1924
  • A. Grohmann: Arabische Papyruskunde. In: Handbuch der Orientalistik. 1. Abteilung. Ergänzungsband II. Brill, Leiden-Köln 1966. S.49-118
  • Raif Georges Khoury: Chrestomathie de papyrologie arabe. Documents relatifs à la vie privée, sociale et administrative dans les permiers siècles islamiques. Brill, Leiden 1993 ISBN 90-04-09551-9
  • Raif Georges Khoury: Die Bedeutung der arabischen literarischen Papyri von Heidelberg für die Erforschung der klassischen Sprache und Kulturgeschichte im Frühislam. In: Heidelberger Jahrbücher, Bd. 19 (1975), S. 24-39 (mit Abbildungen arabischer Papyri)
  • Hans-Albert Rupprecht: Kleine Einführung in die Papyruskunde. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, ISBN 3-534-04493-2

Zeitschriften/Periodika

  • American Studies of Papyrology
  • Analecta Papyrologica (2005 erschien Band 14/15, 2002/2003)
  • Archiv für Papyrusforschung (2004 erschien Band 50)
  • Beiträge zur Alten Geschichte, Papyrologie und Epigraphik (2006 mit Band 21 erschienen)
  • Papyrologica Coloniensia (im Jahr 2005 erschien Vol. XXXI)
  • Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik (erschien 2005 mit Band 153)
  • The Journal of Egyptian Archaeology, 1914ff.
  • Chronique d’Égypte, Brüssel 1925ff.
  • The Journal of Juristic Papyrology, Warschau 1952ff.
  • Studia papyrologica, Barcelona 1962-1983.
  • The Bulletin of the American Society of Papyrologists, New Haven (Conn.), dann Urbana 1963ff.

Materialaufnahmen

  • Charikleia Armoni, James M. S. Cowey und Dieter Hagedorn (Hrsgg.): Die griechischen Ostraka der Heidelberger Papyrus-Sammlung (Studien und Texte zu Antike und Christentum Band 18, Veröffentlichung aus der Heidelberger Papyrussammlung Heft 11). Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2005, ISBN 3-8253-5087-8

Weblinks

Einzelnachweise

  1. vgl. beispielsweise Karl Sudhoff: Ärztliches aus griechischen Papyrus-Urkunden. Bausteine zu einer medizinischen Kulturgeschichte des Hellenismus, Leipzig 1909 (= Studien zur Geschichte der Medizin, 5)
  2. Siehe die angegebene Literatur von N. Abbot, A. Grohmann und R.G. Khoury
  3. Heidelberger Gesamtverzeichnis der griechischen Papyrusurkunden Ägyptens
  4. Leopold-Wenger-Institut für Rechtsgeschichte, Abteilung für Antike Rechtsgeschichte und Papyrusforschung
  5. Institut für Rechtsgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
  6. Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek
  7. Giessener Papyrussammlungen
  8. Papyrus-Sammlung der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
  9. Papyrussammlung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  10. Papyrussammlung der Friedrich-Schiller-Universität Jena
  11. Papyrus-Sammlung an der Universität zu Köln
  12. Papyrus- und Ostrakasammlung der Universitätsbibliothek der Universität Leipzig
  13. Papyrus-Sammlung am Institut für Rechtsgeschichte und Papyrusforschung der Philipps-Universität Marburg
  14. Papyrussammlung der Universität Trier
  15. Papyrussammlung der University of Michigan
  16. Papyrus Archive Duke University

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