Papierzerfall

Papierzerfall

Als Papierzerfall oder auch Papierfraß bezeichnet man die alterungsbedingte Auflösung von Papier, die häufig durch die Wirkung von im Material vorhandenen Säuren (Säurefraß) ausgelöst wird, aber auch durch äußere Einflüsse beschleunigt werden kann.

Inhaltsverzeichnis

Ursachen

Ursachen durch Material und Herstellungsverfahren

Buchseiten mit Papierzerfall durch Tintenfraß

Papier erhält heute seine Strukturstabilität durch die Verwendung von Cellulosefasern, Zellstoff. Dieser hat, abhängig von Herkunft und Behandlung unterschiedliche Festigkeiten. Bei der traditionellen Papierherstellung in Europa wurde das Fasermaterial aus Lumpen, Hadern, durch mechanische Zerkleinerung und durch Verrotten in Gruben gewonnen. Stampfwerke und Holländer sorgten für eine passende Faserlänge bei der Entwässerung. Um das Auslaufen der Schriftzüge zu verhindern, wurde Papier mit Tierleim getränkt (Leimung). Dadurch erhielt das Papier einen schwach alkalischen pH-Wert, da dieser Leim durch Kochen von Schlachtabfällen, wie Haut, Knochen und Klauen unter alkalischen Bedingungen gewonnen wurde. Der Darmstädter Apotheker Friedrich Illig[1] ersetzte 1807 erstmals Tierleim durch eine Mischung von Harz mit Kalium-Aluminiumsulfat (Alaun). Die Leimung wurde damit unabhängig von der Verfügbarkeit von Tierleim, aber das Papier erhielt durch das Kalium-Aluminiumsulfat einen sauren pH-Wert. Das war bei der Papierherstellung durchaus erwünscht, weil dieser Zusatz die Faserbindungsfähigkeit verbessert. Bei längerer Lagerung führt ein saurer pH-Wert des Papiers jedoch zu einer Zerstörung der Celluloseketten, da diese über säureempfindliche Acetalbrücken verknüpft sind, das Papier zerfällt in der Folge dieses Vorganges. Die Degradation des Cellulosemakromoleküls zu kleineren Moleküleinheiten verursachte eine sinkende Flexibilität und Reißfestigkeit des betroffenen Papiers.

Die Präsenz von Säure kann auch bei aus Hadern hergestelltem Papier zu Problemen führen. Tinte wurde früher auf Gallapfelbasis mit Eisensulfat hergestellt. Bei alten Handschriften kann dies langfristig eine Zerstörung des Papiers durch Tintenfraß verursachen. Die saure Tinte zerfrisst auch Hadernpapier (siehe Abb.).

Die Verwendung von Alaun zur Beschleunigung der Flockenbildung (Flockung) [2]erlaubte höhere Geschwindigkeiten und eine bessere Produktivität der Papiermaschinen. Für mehr als hundert Jahre wurde Papier maschinell bei saurem pH-Wert erzeugt. Aluminiumsulfat oder Alaun wurden in großen Mengen eingesetzt. Die gleichzeitige Verwendung von Zellstoff mit relativ kurzen Fasern und ungenügend aufgeschlossenen Holzstoffanteilen führte zu Papier mit geringer Reißfestigkeit und Säuregehalt. Da die allermeisten Papierprodukte, wie Zeitung, nicht haltbar sein müssen, wurde dies nicht als wichtiges Problem betrachtet.

Heute existieren andere Systeme zur Flockung. Diese erlauben die Verwendung von Kreide, Calciumcarbonat, als Füllstoff, sie bilden ein Alkalireserve im Papier, die die nachteilige Acetalspaltung der Celluloseketten verhindert.

Heute wird bei der Papiererzeugung Kreide in großen Mengen bei vielen Sorten als Füllstoff eingesetzt. Dadurch enthält auch Altpapier inzwischen soviel Kreide, dass selbst die Herstellung von preiswerten Papiersorten, wie Zeitungspapier, aus Altpapier unter neutralen bis schwach alkalischen Bedingung erfolgt. Deshalb sind diese Papiersorten in ihrem Alterungsprozess stabiler.

Äußere Einflüsse

Brandschaden und partielle Übergangsschäden

Äußere Einflüsse für den Papierzerfall sind vor allem Feuchtigkeit, die die Entwicklung von Schädlingen (z. B. Schimmelpilzen) ermöglicht, Wärme, die die Alterung des Papiers ebenso wie alle anderen chemischen Reaktionen beschleunigt, und Licht. Beim Umgang mit Papier kann dieses außerdem mit Schweiß verunreinigt werden, der sauer ist.

Durch Brandeinwirkung kann teilgeschädigtes Kulturgut aus Papier neben dem unmittelbaren Substanzverlust durch die Feuereinwirkung zusätzliche Folgeschäden durch thermische Destruktion in Übergangsbereichen und Verfärbungen erleiden. Die betroffenen Bereiche weisen einen Verlust der mechanischen Stabilität in unterschiedlichen Abstufungen auf.

Alterungsbeständiges Papier

Die Bezeichnung "alterungsbeständiges Papier" ist von relativer Aussage, weil jedes Material einer Alterung unterliegt. Gemeint ist hiermit ein Papier, das wenig oder keine Inhaltsstoffe enthält, die dessen Alterung beschleunigen. Vorrangig handelt es sich um Säureanteile oder Säure freisetzende Inhaltsstoffe sowie Bestandteile, die durch Luft- Temperatur- und Lichteinwirkung eine beschleunigte Alterung in Form von Vergilbung und Sprödigkeit verursachen. Seit der Erfindung des Holzschliffpapiers durch Friedrich Gottlob Keller um das Jahr 1841, die den Massenbuchdruck des 19. Jahrhunderts beschleunigte, wurde die Problematik der Papieralterung zu einem zentralen Problem der Industriegesellschaft.

Seit den 1990er Jahren wurden sich Papier- und Buchproduzenten, Verleger und Bibliothekare zunehmend des Problems bewusst, das der Papierzerfall für die Bewahrung von Wissen in Archiven und Bibliotheken darstellt. Dementsprechend wurden Forderungen an die Eigenschaften von altersbeständigem Papier und für dessen Verwendung aufgestellt, etwa die „Frankfurter Forderungen zur Verwendung alterungsbeständiger Papiere für die Buchherstellung“. Anforderungen an alterungsbeständiges Papier sind unter anderem in der DIN EN ISO 9706 definiert.

Literatur

  • Klaus Roth: Papierkonservierung - Chemie kontra Papierzerfall. Chemie in unserer Zeit 40(1), S. 54 - 62 (2006), ISSN 0009-2851
  • Otto Wurz: Papierherstellung nach neuzeitlichen Erkenntnissen. Verlag Ulrich Moser, Graz, Wien 1951

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Papier Lexikon, Deutscher Betriebswirte-Verlag, Gernsbach 1999, Bd. 1, 51; Bd. 3, 271, ISBN 3-88640-080-8
  2. Papier Lexikon, Deutscher Betriebswirte-Verlag, Gernsbach 1999, Bd. 1, 477, Bd. 3, 37 ISBN 3-88640-080-8

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