Panopticon

Panopticon
Panopticon-Skizze von Jeremy Bentham, 1791

Das Panopticon oder Panoptikum (von griech. „pan“ „alles“ und „optikós“ „zum Schauen gehörend“) ist ein von dem britischen Philosophen und Begründer des klassischen Utilitarismus Jeremy Bentham stammendes Konzept zum Bau von Gefängnissen und ähnlichen Anstalten, aber auch von Fabriken, das die gleichzeitige Überwachung vieler Menschen durch einen einzelnen Überwacher ermöglicht.

Der französische Philosoph des späten 20. Jahrhunderts Michel Foucault bezeichnete dieses Ordnungsprinzip als wesentlich für westlich-liberale Gesellschaften, die er auch Disziplinargesellschaften nennt. In Anlehnung entwickelte er seinen Begriff des Panoptismus.

Inhaltsverzeichnis

Jeremy Benthams architektonischer Entwurf

Presidio Modelo, Innenansicht
Das ehemalige Gefängnis Presidio Modelo auf der kubanischen Insel Isla de la Juventud

Allen Bauten des Panopticon-Prinzips ist gemeinsam, dass von einem zentralen Ort aus alle Fabrikarbeiter oder Gefängnisinsassen beaufsichtigt werden können. Im Mittelpunkt steht ein Beobachtungsturm, von welchem aus Zelltrakte abgehen (in sog. Strahlenbauweise). So kann der Wärter in der Mitte in die Zellen einsehen, ohne dass die Insassen wiederum den Wärter sehen können. Das liegt daran, dass die Gefangenen aus der Sicht des Wärters im Gegenlicht gut sichtbar sind, der Wärter selbst jedoch im Dunkel seines Standortes nicht ausgemacht werden kann. Mithin wissen diese nicht, ob sie gerade überwacht werden.

Von diesem Konstruktionsprinzip erhoffte sich Bentham, dass sich alle Insassen zu jeder Zeit unter Überwachungsdruck regelkonform verhalten (also abweichendes Verhalten vermeiden), da sie jederzeit davon ausgehen müssten, beobachtet zu werden. Dies führe vor allem durch die Reduktion des Personals zu einer massiven Kostensenkung im Gefängnis- und Fabrikwesen, denn das Verhältnis zwischen effektiv geleisteter Überwachungsarbeit und erzeugter Angst, beobachtet zu werden, ist sehr hoch.

sternförmig verlaufende Gänge - Zeichnung für ein geplantes Gefängnis in Outram, Singapur (1880)

Umsetzung

Die Panopticon-Bauweise, eigentlich für das Beaufsichtigen von Fabrikarbeitern entworfen, sollte 1811 zum ersten Mal in einem Gefängnisbau verwirklicht werden. Das Projekt wurde jedoch abgebrochen, Bentham wurde für seinen Planungsaufwand zwei Jahre später mit £23.000 entschädigt.

Die Panopticon-Idee beeinflusste einige Gefängnisbauten der viktorianischen Zeit. Eine Abwandlung des Prinzips bestand darin, dass von einem zentralen Punkt aus alle sternförmig verlaufenden Korridore eingesehen werden können. Die Strafanstalt Pentonville Prison (London), ab 1811, zeigt die Merkmale eines Panopticon-Baus. Sternförmig verlaufende Korridore haben bzw. hatten auch das Holloway Prison (London), Wandsworth (London), Port-Arthur (Australien) und die JVA Moabit (Deutschland).

Im Presidio Modelo (span.: Modellgefängnis), Kuba, ist Benthams Baukonzept umfänglich realisiert. Es wurde 1928 durch den Diktator Gerardo Machado erbaut, 1967 geschlossen und zum nationalen Monument erklärt.

Rezeption und Reflexion

Michel Foucault: Panoptismus

Foucault deutete Benthams architektonisches Prinzip in seinem Buch Überwachen und Strafen als Symbol für das Ordnungsprinzip westlich-liberaler Gesellschaften (s. auch Panoptismus).

Zygmunt Bauman: Postpanoptikum

In Anlehnung an Foucault erinnert Zygmunt Bauman in seinem Werk „Flüchtige Moderne“ an das Panoptikum als ein Beispiel für moderne, territoriale Macht. Gleichzeitig unternimmt Bauman den Versuch anhand des Panoptikums sinnbildlich zu zeigen, dass sich die Verhältnisse in der Postmoderne „verflüchtigen“ und die Macht sich unabhängig von Territorien, zum Beispiel mit Hilfe von elektronischen Signalen (Handy, Internet etc.), bewegt. Den gegenwärtigen Zustand der Postmoderne bezeichnet er auch als „post-panoptisch“. Es ist aber nicht nur der gesellschaftliche Bereich der „Delinquenz“, der sich als „post-panoptisch“ im Sinne von Bauman charakterisieren lässt, denn auch der Alltag ist zunehmend durch elektronische Signale kontrolliert. Heute gibt es eine Vielzahl von Überwachungskameras an öffentlichen Plätzen und in Geschäften, aber auch die tägliche Arbeit ist oftmals mehr oder weniger elektronisch erfasst.

Branden Hookway: Panspectron

Der Informationstheoretiker Branden Hookway führte 2000 das Konzept des Panspectrons ein, eine Weiterentwicklung des Panopticons dahingehend, dass es kein Objekt der Überwachung mehr definiert, sondern alle und alles überwacht wird. Das Objekt wird erst im Zusammenhang mit einer konkreten Fragestellung definiert.

Belletristik und Film

In verschiedenen dystopischen Romanen findet sich das Panoptikum-Prinzip:

Literatur

  • Robin Evans, Bentham's Panopticon: An Incident in the Social History of Architecture, in Architectural Association Quarterly 3, 2, April-Juli 1971, Oxford, New York 1971, S. 21–37.
  • Michel Foucault, Überwachen und Strafen – Die Geburt des Gefängnisses
  • David Lyon, From Big Brother to Electronic Panopticon, in David Lyon, The Electronic Eye: The Rise of Surveillance Society, University of Minnesota Press, Minneapolis 1994, S. 57–80.
  • Janet Semple, Bentham's Prison. A Study of the Panopticon Penitentiary, Clarendon Press, Oxford 1993.
  • Heike Jung, Ein Blick in Benthams Panopticon, in: Busch/Erdel/Müller-Dietz (Hrsg.) Gefängnis und Gesellschaft 1994, S. 34ff
  • Zygmunt Bauman, Flüchtige Moderne. Frankfurt am Main 2003: edition suhrkamp (ISBN 3-518-12447-1)
  • Steffen Luik, Die Rezeption Jeremy Benthams in der deutschen Rechtswissenschaft, 2003, S. 19ff, 217ff

Siehe auch

Panoptikum

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно решить контрольную?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Panopticon — Жанры блэк метал паган метал анархистский блэк метал Годы 2007 настоящее время …   Википедия

  • Panopticon — Pa*nop ti*con, n. [NL. See {Pan }, and {Optic}.] [1913 Webster] 1. A prison so contructed that the inspector can see each of the prisoners at all times, without being seen. [1913 Webster] 2. A room for the exhibition of novelties. [1913 Webster] …   The Collaborative International Dictionary of English

  • panopticon — (n.) 1768, a type of optical instrument or telescope, from Gk. pan all (see PAN (Cf. pan )) + optikon, neuter of optikos of or for sight (see OPTIC (Cf. optic)). Later the name of a type of prison designed by Bentham (1791) in which wardens had a …   Etymology dictionary

  • Panopticon — The Panopticon is a type of prison building designed by English architect Jeremy Bentham in 1785. The concept of the design is to allow an observer to observe ( opticon ) all ( pan ) prisoners without the prisoners being able to tell whether they …   Wikipedia

  • Panopticon — Panoptique  Pour l album d Isis, voir Panopticon (album). Kilmainham Gaol, Irlande. Cour intérieure victorienne …   Wikipédia en Français

  • panopticon — This term was first used by Jeremy Bentham in 1791 to describe his idea of an ‘inspection house’ to be used for surveillance purposes in public institutions such as prisons, asylums, and workhouses. The panopticon was a circular construction of… …   Dictionary of sociology

  • panopticon — /pan op ti kon /, n. a building, as a prison, hospital, library, or the like, so arranged that all parts of the interior are visible from a single point. [1760 70; PAN + Gk optikón sight, seeing (neut. of optikós; see OPTIC)] * * * ▪ penal… …   Universalium

  • Panopticón — El panopticón es un centro penitenciario ideal diseñado por el filósofo Jeremy Bentham en 1791. El concepto de este diseño permite a un vigilante observar ( opticón) a todos (pan ) los prisioneros sin que éstos puedan decir si están siendo… …   Enciclopedia Universal

  • Panopticon Software — Infobox Company name = Panopticon Software type = Private genre = foundation = Stockholm, Sweden (1999) founder = Willem De Geer location city = Stockholm location country = Sweden location = locations = 3 area served = North America, Europe key… …   Wikipedia

  • Panopticon (Internet culture) — The idea of the Panopticon originated with the English utilitarian philosopher Jeremy Bentham as a prison design that would allow an observer to monitor all the prisoners at all times, without any prisoner being aware of whether he was being… …   Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”