Palais Schaumburg

Palais Schaumburg
Frontansicht, Auffahrt, Vorplatz

Das Palais Schaumburg ist ein 1860 fertiggestelltes schlossähnliches Gebäude in Bonn, das seit 1949 Teile des Bundeskanzleramtes beherbergt und bis 1976 erster Dienstsitz des Bundeskanzlers war. Während der Zeit als Hauptsitz des Bundeskanzleramtes hatte es auch den Beinamen „Haus des Bundeskanzlers“. Seit dem Regierungsumzug 1999 dient das Palais Schaumburg als zweiter Dienstsitz des Bundeskanzleramtes und Bundeskanzlers, in dem verschiedene Abteilungen untergebracht sind. Benannt ist es nach seinem zweiten Besitzer aus dem Fürstenhaus Schaumburg-Lippe ab 1890. Das Palais liegt im engeren Bundesviertel am Rheinufer direkt südlich neben der Villa Hammerschmidt, dem derzeit zweiten Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten und ist Teil des Wegs der Demokratie.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Privatbesitz (1860–1939)

Das spätklassizistische Gebäude wurde 1858 bis 1860 im Auftrag des Aachener Tuchfabrikanten Aloys Knops (1814–1898) als Stadtvilla in Stil und Größe eines barocken Lustschlosses (maison de plaisance) errichtet. Planender Architekt des zweigeschossigen Baus mit Mezzanin und flachem Walmdach war der Aachener Baumeister Andreas Hansen, Schwiegervater von Knops. Ausgeführt wurden die Pläne unter Leitung von Maurermeister Josef Porcher. Dieses Ursprungsgebäude umfasst sieben Längs- und fünf Querachsen, wurde im Erdgeschoss mit Quaderputz versehen und erfuhr seine Gliederung durch Rechteckfenster mit Gebälk und Gesims. Zum Garten hin entstand am Salon dreiseitig ein Vorbau mit zwei Geschossen, dem sich eine Gartenterrasse anschließt.

Villa Loeschigk (zwischen 1879 und 1894)

1860 wurde die Villa von dem aus Thüringen stammenden Tuchfabrikanten und US-amerikanischen Staatsbürger Wilhelm Loeschigk (1808–1887) erworben, als er mit seiner Familie aus New York City nach Bonn übersiedelte. Loeschigk ließ den Bau unter anderem um den kleinen Rundturm und 1875–1879 um einen kleinen erkerartigen Anbau an der Nordseite erweitern; seine Familie bewohnte das Haus bis 1890. Er gab dem Haus den seinerzeitigen Namen Villa Loeschigk. Sie war neben der damaligen Villa Troost und der Villa Prieger eine von drei städtebaulich zunächst gleichwertigen Villen am damaligen Südrand der Stadt Bonn. Loeschigk betrieb auf seinem Grundstück mit Weinhaus und Hühnerhaus auch landwirtschaftlichen Anbau, außerdem hatte er eine Schmiedewerkstatt einrichten lassen.

1894 erwarb Prinz Adolf zu Schaumburg-Lippe (1859–1916), ein Sohn des regierenden Fürsten Adolf I., die Villa. Prinz Adolf heiratete im selben Jahr Prinzessin Viktoria von Preußen (1866–1929), eine Tochter Kaiser Friedrichs III. und der Kaiserin Victoria und jüngere Schwester Kaiser Wilhelms II.; die Ehe blieb kinderlos. Nach der Hochzeitsreise zog das Paar 1891 in die Bonner Villa ein und ließ den Bau 1894 bis 1896 durch den Berliner Hofbaumeister Ernst von Ihne um einen L-förmigen Baukörper erweitern, bestehend aus je einem Flügel im Norden (neunachsig) und Osten (fünfachsig). Auch dreiachsige Mittelrisalite an der Straßenfront, am Neubau mit Söller sowie am Altbau mit zweigeschossiger Säulenordnung und Rundbogenfenster gehen auf Ihne zurück – ebenso die Alt- und Neubau verbindende Gartenfassade mit Rundbogenloggia. Eine Vorhalle und ein großer Treppenaufgang bildeten den neuen Haupteingang. Außerdem ließ von Ihne die Villa mit wertvollen Möbeln und Kunstwerken ausstatten.

1904 gehörten neben dem Wohnhaus zur Villa noch ein Pförtnerhaus, ein Seitenhaus (Orangerie, Wohnung und Gewächshaus), ein Maschinenhaus, zwei Treibhäuser, ein Wagenschuppen, eine Reitbahn sowie ein Tennisplatz.

In den folgenden Jahren bis zum Ersten Weltkrieg stand das Anwesen regelmäßig im Mittelpunkt gesellschaftlicher Festivitäten und kaiserlicher Besuche; aus dieser Zeit stammt seine bis heute übliche Bezeichnung als Palais Schaumburg. Nach dem Tod des Prinzen Adolf 1916 erbte 1917 seine Witwe Viktoria das Palais Schaumburg[1], in dem nach Kriegsende bis 1919 englische und kanadische Soldaten untergebracht waren. Ende 1919 verkaufte Viktoria das Palais an Adolf II. zu Schaumburg-Lippe, einen Neffen ihres verstorbenen Mannes, sicherte sich jedoch ein lebenslanges Wohn- und Nutzungsrecht zu[2].

1927 heiratete Viktoria im „Roten Salon“ (dem späteren Kabinettssaal) des Palais Schaumburg den russischen Hochstapler Alexander Zoubkoff (1900–1936), der aufgrund mehrerer Betrügereien bereits 1928 nach Luxemburg ausgewiesen wurde. Die Familie Schaumburg-Lippe entzog der hochverschuldeten Viktoria daraufhin ihr Wohnrecht im Palais und ließ das gesamte Inventar im Oktober 1929 versteigern; in den Gebäuden wurden Büros und Mietwohnungen eingerichtet. Nach dem Tode Adolfs 1936 erbten dessen Geschwister das Palais Schaumburg zu gleichen Teilen[3].

Staatsbesitz (seit 1939)

Im Februar 1939 wurde das Palais Schaumburg für 709.000 Reichsmark vom Deutschen Reich erworben, um dort Teile eines Militärstabs der Wehrmacht, das „Armeekommando 2“ unterzubringen.[4] Das dem Wehrkreis VI (Münster) unterstellte Kommando zog dort im November 1939 ein, beendete aber mit Beginn des Westfeldzugs am 10. Mai 1940 seine Tätigkeit im Palais.[5] Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterstand es der britischen Militärverwaltung; bis Anfang November 1949 waren dort Führungskräfte der Belgischen Streitkräfte untergebracht. Die Bauakten der einstigen Villa Loeschigk wurden durch die Alliierten beschlagnahmt und in England vernichtet, sodass sie heute als verloren gelten.[6] Am 5. November 1949 bestimmte Bundeskanzler Konrad Adenauer, der zuvor zwei Monate im nahen Museum Koenig residierte, das Palais Schaumburg zu seinem neuen Dienstsitz und zog am 25. November 1949 ein. Zwei Monate später empfing er dort als ersten Staatsgast den französischen Außenminister Robert Schuman.

Palais Schaumburg, 1950

Im Jahre 1950 baute Hans Schwippert das Gebäude für die Verwendung als Bundeskanzleramt um; es entstanden unter anderem eine überdachte Vorfahrt und ein Vestibül mit neuer Treppe. Bis Mitte der 1950er-Jahre wurde das Palais an der Nordseite um die sogenannten Häuser 2 und 3 erweitert, die miteinander durch eingeschossige Quertrakte verbunden sind. 1955 ließ Hausherr Adenauer unten an der Mauer zum Rheinufer hin einen Pavillon, das sogenannte Kanzler-Teehaus, auf den Fundamenten einer hier zuvor existierenden Walhalla-Aussichtsarchitektur errichten. Näher am Palais, unsichtbar von hier aus im weitläufigen Park, errichtete Sep Ruf 1963 bis 1965 im modernen Stil das „Wohn- und Empfangsgebäude des Bundeskanzlers“, den sogenannten Kanzlerbungalow.

Da das Palais jedoch auch nach der Erweiterung nicht genügend Platz bot, wurde es schließlich 1976 als Hauptsitz des Bundeskanzleramts von einem nahegelegenen Neubau abgelöst. Einige Abteilungen verblieben jedoch im Palais, das auch weiterhin für Repräsentationszwecke genutzt wurde. Nach der Neugründung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 1986 war das Palais Schaumburg bis 1987 für kurze Zeit Amtssitz dieser Behörde. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990/91 hatten die fünf Bundesminister für besondere Aufgaben des damaligen Bundeskabinetts dort ihren Dienstsitz. Im Mai 1990 unterzeichneten Vertreter beider deutscher Staaten im Palais Schaumburg den Staatsvertrag über die Schaffung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.

Seit dem Regierungsumzug 1999 dient das Palais Schaumburg als zweiter Dienstsitz des Bundeskanzleramtes und Bundeskanzlers, in dem verschiedene Abteilungen untergebracht sind. Das Haus 2 übernahm 2005 nach einer Grundsanierung gemeinsam mit dem Bundeskanzleramtsgebäude von 1976 das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Park

Der zunächst fünf, heute etwa zehn Hektar große Park des Palais Schaumburg umfasste ursprünglich neben den Grün- und Wegeanlagen selbst neben einem Rosengarten auch eine Reihe von Gewächshäusern und eine größere Obstplantage, wovon heute allerdings nichts mehr zu sehen ist. Er wurde 1951 im Rahmen der Umbauten mit dem Park der 1872/73 erbauten und 1955 abgebrochenen Villa Selve sowie mit dem Park der Villa Hammerschmidt verknüpft. Letztere wurden 1888 von dem Hamburger Gartenbaumeister Rudolph Philipp Christian Jürgens[7] angelegt.[8] Der Landschaftsarchitekt Hermann Mattern bekam 1949 den Auftrag, die hinzugekommenen Bereiche im Auftrag Adenauers teilweise wiederherzustellen, sie umzugestalten und mit dem Park von Palais Schaumburg zu verbinden. Mattern ließ seltene Nadelhölzer pflanzen, Kiefern und Zedern. Der offene Landschaftspark zeichnet sich durch breite Sichtachsen zum Rhein und seinen alten Baumbestand aus. Die großen Rasenflächen rund um den Kanzlerbungalow bieten Skulpturen von Bernhard Heiliger, Gerhard Marcks und Hans Uhlmann Platz.

Der Park umfasst bzw. grenzt an folgende Gebäude: Villa Hammerschmidt (nördlicher Bereich), Palais Schaumburg inkl. Häuser 2 und 3 (südlicher Bereich), Kanzlerbungalow (mittlerer Bereich), Kanzler-Teehaus (östlicher Bereich), Bundeskanzleramt (südlich angrenzend), ehemalige Landesvertretung NRW (südlich angrenzend), Bundeskartellamt bzw. früheres Bundespräsidialamt (nördlich angrenzend). Ehemalige, im Park gelegene Bauwerke sind die Villa Selve (mittlerer Bereich), die Gartenhalle der Villa Selve (östlicher Bereich), die Nibelungengrotte (nordöstlicher Bereich) und das Palmengewächshaus der Villa Hammerschmidt (nördlicher Bereich) sowie mehrere Wirtschaftsgebäude und eine Reitbahn des Palais Schaumburg (südlicher Bereich).

Seit 1963 wurde im Park des Palais Schaumburg für jeden Altbundeskanzler der Bundesrepublik zur Erinnerung an seine Amtszeit ein Baum gepflanzt:

Bundeskanzler Partei Amtszeit Baum Bemerkungen
Konrad Adenauer CDU 1949–1953
1953–1957
1957–1961
1961–1962
1962–1963
Blauglockenbaum 1992 nach Sturm ersetzt
Ludwig Erhard CDU 1963–1965
1965–1966
Mammutbaum
Kurt Georg Kiesinger CDU 1966–1969 Spitzahorn gepflanzt 1978
Willy Brandt SPD 1969–1972
1972–1974
Ginkgo gepflanzt 1979
Helmut Schmidt SPD 1974–1976
1976–1980
1980–1982
Trauerweide
Helmut Kohl CDU 1982–1983
1983–1987
1987–1991
1991–1994
1994–1998
Blutblättrige Rotbuche gepflanzt 1987
Gerhard Schröder SPD 1998–2002
2002–2005
Eiche gepflanzt 2006

Literatur

  • Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer. 1819–1914, Band 1, Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02618-7, S. 174–181 (Architekturbeschreibung und kunsthistorische Einordnung)
  • Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer. 1819–1914, Band 2, Katalog 1, Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02618-7, S. 213–54 (Baugeschichte und Bauherren)
  • Andreas Denk, Ingeborg Flagge: Architekturführer Bonn. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-496-01150-5, S. 85.
  • Harald Biermann: Die Bundeskanzler und ihre Ämter Hrsg.: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2006.

Einzelnachweise

  1. Erbschein des Amtsgerichts Bonn vom 8. Mai 1917; Eintragung Viktorias als Eigentümerin im Grundbuch vom 22. Januar 1920. Vgl. Grundakte Bonn 11535, Grundbuch Bonn Bd. 150 Blatt Nr. 5976.
  2. Kaufvertrag vom 29. Dezember 1919; Eintragung Adolfs als Eigentümer im Grundbuch vom 9. März 1920. Vgl. Grundakte Bonn 11535, ebd.
  3. Erbschein des Amtsgerichts Bückeburg vom 27. Januar 1937
  4. Kaufvertrag vom 24. Februar 1939; vgl. Grundakte Bonn 11535, ebd. - Zu juristischen Aspekten des Verkaufs durch Wolrad Prinz zu Schaumburg-Lippe vgl. Alexander vom Hofe: Vier Prinzen zu Schaumburg-Lippe und das parallele Unrechtssystem, Madrid 2006, ISBN 84-609-8523-7, S. 294-315 (online)
  5. Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer. 1819–1914, Band 2, Katalog 1, Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02618-7, S. 227
  6. Olga Sonntag: Villen am Bonner Rheinufer. 1819–1914, Band 2, Katalog 1, Bouvier Verlag, Bonn 1998, ISBN 3-416-02618-7, S. 217
  7. Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke: Hamburgische Biografie – Personenlexikon, Google books
  8. Europäisches Gartennetzwerk – EGHN, Wege zur Gartenkunst in Europa: Rudolph P. C. Jürgens

Weblinks

 Commons: Palais Schaumburg – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
50.7207555555567.11705

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