Ostukraine

Ostukraine

Die Ostukraine umfasst ein Gebiet im Osten der Ukraine, das sich sowohl hinsichtlich der natürlichen Ausgestaltung (überwiegend Steppengebiete), der historischen Entwicklung sowie der ethnischen Zusammensetzung von der West- und Zentralukraine stark unterscheidet. Viele Parallelen bestehen dagegen zu der Südukraine (vgl. auch: Neurussland).

Die größte Stadt und das kulturelle und geistige Zentrum der Ostukraine ist die Industriestadt Charkiw (russisch Charkow). Weitere bedeutende Städte sind Dnipropetrowsk, Donezk und Mariupol.

Inhaltsverzeichnis

Geographische Abgrenzung

Eine geographische Abgrenzung der Ostukraine kann auf unterschiedliche Art und Weise vorgenommen werden. Auf Basis der historischen Entwicklung lässt sich die „linksufrige Ukraine“ als Ostukraine abgrenzen, welche die Gebiete links des Flusses Dnepr und die am rechten Ufer des Dnepr gelegene Hauptstadt Kiew umfasst, da diese Gebiete bereits 1654 bzw. 1667 Teil des Russischen Reiches geworden waren. Die „rechtsufrige Ukraine“ verblieb dagegen bis zu den polnischen Teilungen weiterhin unter polnischer Kontrolle und kam teilweise erst im Zuge des Zweiten Weltkrieges unter russische bzw. sowjetische Herrschaft.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung grenzt sich die Ostukraine von der Westukraine dadurch ab, dass erstgenannte aufgrund großer Rohstoffvorkommen bereits relativ früh industrialisiert wurde. Hierdurch entstand insbesondere in den Oblasten Donezk und Luhansk ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert das Industriegebiet des Donezbeckens. Eine weitere wichtige Industriestadt ist Dnipropetrowsk, welche zwischen dem Kohleabbaugebiet im Donezbecken und dem Erzabbaugebiet um Krywyj Rih (Kriwoi Rog) gelegen ist. Die industrielle Entwicklung führte in der Ostukraine zu einem starken Verstädterungsprozess, während die Westukraine teilweise heute noch sehr ländlich geprägt ist (einige westukrainische Oblaste haben eine Urbanisierungsquote von unter 50 %).

Hinsichtlich der nationalen Zusammensetzung grenzt sich die Ostukraine zusammen mit der Südukraine dadurch ab, dass in einigen Oblasten Personen mit russischer Nationalität eine Mehrheit, in den übrigen eine große Minderheit stellen, wobei sich diese vor allem in den größeren städtischen Ballungszentren konzentriert. In den größere Städten und besonders in den Oblasten Donezk, Luhansk und auf der Krim dominiert auch weiterhin das Russische als Muttersprache, das auch von vielen Ukrainern als Verkehrssprache verwendet wird. Die hohe Bedeutung der russischen Sprache und Kultur insbesondere in den Städten der Ostukraine rührt daher, dass im Zuge der Industrialisierung viele Russen in dieses Gebiet einwanderten (insbesondere aus der Oblast Kursk), die sich gerade in den Städten niederließen. So waren etwa bei der Volkszählung 1897 63,17 % der Bevölkerung der Stadt Charkiw russischer Nationalität. Darüber hinaus verschärfte sich im 20. Jahrhundert die Unterdrückung der ruralen ukrainischen Bevölkerung (Holodomor), der zu Abwanderungen und einer weiteren Bevölkerungsabnahme führte.

Auch heute verzeichnen viele Städte noch hohe russische Bevölkerungsanteile, wobei diese allerdings im 20. Jh. zurückgegangen sind, da im Zuge des allgemeinen Urbanisierungsprozesses viele Ukrainer aus dem mehrheitlich ukrainisch besiedelten ländlichen Umland der Städte zuwanderten.

Ethnisch-religiöse Abgrenzung

Im Osten und Süden der Ukraine dominiert die russische Minderheit von Charkow bis Odessa. In den ukrainischen Regionen Charkiw, Luhansk (russisch Lugansk), Mykolajiw (russisch Nikolajew), Saporischschja (russisch Saporoschje), Donezk, Dnipropetrowsk (russisch Dnepropetrowsk), Krim, Cherson und Odessa bilden sie die Bevölkerungsmehrheit sowohl gegenüber den Ukrainern als auch gegenüber den Krimtataren (nichtchristliche und nichtslawische Minderheit, siehe auch Islam in der Ukraine).

Sie sind zumeist atheistisch, russisch-orthodox oder ukrainisch-orthodox mit Bekenntnis zum Moskauer Patriarchat – im Gegensatz zu Katholiken, Unierten und Ukrainisch-Orthodoxen mit Bekenntnis zum Kiewer Patriarchat im Westen der Ukraine.

Die russische Sprache dominiert vor der ukrainischen.

Historische Abgrenzung

Im Laufe der Geschichte gehörten der Osten und Süden der Ukraine wiederholt und längerfristig zu den Steppenreichen der eurasischen Nomaden- und Reitervölker der Chasaren, Kyptschaken (Hauptstadt Sharukhan bei Charkiw) und Tataren (Goldene Horde an der Wolga), während die Bauernschaft im Westen der Ukraine die Kiewer Rus stützte.

Nach dem Zusammenbruch der tatarischen und litauischen Herrschaft erhoben sich die orthodoxen Kosaken der Ostukraine unter Führung von Bohdan Chmelnyzkyj 1648 gegen die katholischen Polen und stellten sich 1654 unter russischen Schutz. Polen musste 1668 die russische Herrschaft über die Ostukraine mitsamt Kiew anerkennen. Erst 1793 und 1795 und 1809 fiel auch der Großteil der übrigen Ukraine an Russland.

Nach dem Sieg der Sowjets und der Niederschlagung der ukrainischen Unabhängigkeitsbestrebungen war 1920–1934 Charkiw anstelle Kiews Hauptstadt der Ukrainischen Sowjetrepublik. Die Sowjets förderten Industrie im Osten des Landes und Schifffahrt im Süden gegenüber der Landwirtschaft im Westen.

Zweite Stichwahl 2004, die russischsprachige Ostukraine wählte „blau“

Seit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 zeigten alle Präsidentschafts- und Parlamentswahlen, dass diese Teilung des Landes anhält. Alle ukrainischen Wahlsieger waren auf eine Mehrheit der Stimmen der Russen in der Ostukraine angewiesen, so zuletzt auch beim Stichwahlgang der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine 2004.

Der Wiederholungswahlgang verstärkte diese Polarisierung noch. Während der von Russland unterstützte Ostukrainer Wiktor Janukowytsch in allen neun Regionen des Ostens und Südens z. T. sehr deutliche Mehrheiten erzielte, setzte sich der westukrainische Kandidat Wiktor Juschtschenko vor allem mit seinen Anhängern aus der Westukraine und Kiew sowie mit der Unterstützung der dortigen geistlichen Würdenträger schließlich durch.

Angesichts der „orangefarbenen Revolution“ in Kiew diskutierten Unterstützer Janukowytschs offen über die Ausrufung der Autonomie oder die Verkündung einer Sezession der Ostukraine. Im Fall eines Anschlusses an Russland hätte Moskau eine Landverbindung zur Dnister-Republik gewonnen, Kiew aber seine wichtigsten Industriegebiete und den Zugang zum Meer verloren. Die Führer der neun ost- und südukrainischen Regionen konnten sich jedoch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen oder aber schreckten vor den zu erwartenden Konsequenzen zurück, zumal Russland keinerlei Unterstützung für ein solches Vorhaben erkennen ließ. Auch die Leiter der großen Industrieunternehmen der Ostukraine standen einer Sezession sehr reserviert gegenüber, da sie bei einer Loslösung des Ostens und Südens den Zugang zu den Exportquoten für Metalle verloren hätten, welche die WTO der Ukraine gewährt.

Kritik an dem Modell einer "bipolaren Ukraine"

Insbesondere während der Berichterstattung in Folge der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine 2004 wurde in westlichen Medien das Bild einer Ost-West-Spaltung des Landes bemüht, um die politische Trennung zwischen Wiktor Juschtschenko und Wiktor Janukowytsch zu illustrieren. Da die Gebiete der heutigen Ukraine durch verschiedene Vielvölkerreiche geprägt wurden, haben sich die Regionen kulturell anders entwickelt, was sich auch im Sprachgebrauch niederschlägt. Die Darstellung einer Ost-West-Dichotomie, geprägt durch einen russischsprachigen, sowjetnostalgischen Osten und einen ukrainischsprachigen, nationalistischen und an demokratischen Werten orientierten Westen, verkennt aber das Spektrum nationaler und sprachkultureller Identitäten in der Ukraine. Laut der Volkszählung 2001 bezeichneten sich von den etwa 48 Millionen ukrainischen Bürgern 77,8% als ethnische Ukrainer (wobei aber nur 67,5% Ukrainisch als ihre Muttersprache angaben) und 17,3% als ethnische Russen. Zu den weiteren Minderheiten gehören Weißrussen (0,6%), Moldauer (0,5%) und Krimtartaren (0,5%). Darüber hinaus gibt es bulgarische, ungarische, rumänische, polnische und jüdische Minderheiten. Die Bevölkerung der Ukraine lässt sich also hauptsächlich in ukrainischsprachige Ukrainer, russischsprachige Ukrainer und russischsprachige Russen unterteilen, wobei der Wandel zwischen den Identitäten oftmals fließend ist. So kann die Selbstdefinition als Ukrainer auch mit einer Verbundenheit zur russischen Sprachkultur einhergehen.[1]

Literaturangaben und Anmerkungen

  1. Vgl. Wilfried Jilge, Gespalten in Ost und West? Sprachenfrage und Geschichtspolitik in der Ukraine im Kontext der Wahlkämpfe 2004 und 2006. In: Ukraine-Analysen 19, ISSN 1862-555X, S. 18-22.

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