Ostara

Ostara
Jugendstil-Darstellung von Ostara

Ostara ['o:stara] ist ein von Jacob Grimm durch philologische Vergleiche als Name hergeleiteter Begriff für eine vermeintliche germanische Frühlingsgöttin. Als Quelle bezog sich Grimm dabei auf den angelsächsischen Mönch und Kirchenhistoriker Beda, der die Herkunft des Wortes „Easter“ (Ostern) mit einer früheren germanischen Göttin namens „Eostrae“ erklärte. Bereits Grimm sah sich aufgrund von Beda als einziger Quelle veranlasst, eine Erfindung der Göttin durch den frommen Beda als "unwahrscheinlich" zu werten. In der Romantik fand Grimms Annahme einer Ostara starken Anklang, wurde seither oft für die Erklärung von Osterbräuchen herangezogen und fand so bis in die jüngste Vergangenheit Eingang in Lexika und Schulbücher.[1] In der Fachwissenschaft ist die Annahme einer germanischen Ostara schon länger umstritten und wird in der Regel abgelehnt.[2]

Inhaltsverzeichnis

Quellen und Quellenkritik

Beda Venerabilis

Beda Venerabilis in einem mittelalterlichen Manuskript

Im 8. Jahrhundert erklärt der englische Kirchenhistoriker Beda Venerabilis (673–735) in seinem Werk „De temporum Ratione, einer der wichtigsten Quellen über die Bekehrung der Angelsachsen, die Herkunft des Wortes Ostern mit einer Göttin Eostrae, die dem Eosturmonath (April; ahd. ôstarmânôt) seinem Namen verliehen haben soll.

„Eostur-monath, qui nunc paschalis mensis interpretatur, quondam a dea illorum, quae Eostrae vocabatur, et cui in illo festa celebrabant, nomen habuit; a cuius nomine nunc paschale tempus cognominant, consueto antiquae observationis vocabulo gaudia novae solemnitatis vocantes “

„Der Eosturmonath, heute Passahmonat bezeichnet, war früher benannt nach einer ihrer Göttinnen, welche Eostre genannt wurde, zu deren Ehren Feste in diesem Monat gefeiert wurden. Jetzt benennen sie die Passahzeit mit ihrem Namen, womit die Freuden der neuen Feierlichkeit unter dem Namen der altehrwürdigen Göttinnenverehrung angerufen werden.[3]

– De temporum Ratione Kap. 15

Die Existenz dieser Göttin wird von vielen heutigen Wissenschaftlern jedoch bestritten oder zumindest stark angezweifelt.[4] So kam das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens im Jahre 1935 zum Schluss: „Wenn schon eine angelsächsische Eostra auf schwachen Füßen stand, hielt die Forschung erst recht eine deutsche Göttin Ostara für nicht nachweisbar.“[5]

Jacob Grimm

Jacob Grimm spekuliert in seinem Werk „Deutsche Mythologie“ über eine germanische Göttin mit dem Namen Ostara, auf der Basis von Bedas Eostrae:

„Die beiden göttinnen, welche Beda (de temporum ratione cap. 13) ganz kurz, ohne nähere schilderung, bloß zur erklärung der nach ihnen benannten monate anführt, sind Eástre und Hrede; von dieser hat merz, von jener april seinen sächsi[s]chen namen.“

Jakob Grimm: Deutsche Mythologie[6]

Grimm zieht weitere etymologische Indizien heran; unter anderem den bei Eginhard erwähnten „ôstârmanoth“[7] (Ostermonat ahd. für April), und kommt zu dem Schluss: „Ostara, Eástre mag also Gottheit des strahlenden Morgens, des aufsteigenden Lichts gewesen sein, eine freudige, heilbringende Erscheinung, deren Begriff für das Auferstehungsfest des christlichen Gottes verwandt werden konnte.“

Grimm – wie auch allgemein die deutsche Romantik – war sehr interessiert an einer germanischen Religion als eigenständiger Grundlage deutscher Kultur und stellte den Bezug von Sagengestalten wie Frau Holle bzw. Perchta zur nordischen Göttin Frigg bzw. Freya her. Durch Grimms allgemeinen Einfluss auf die deutschen Sprachwissenschaft des 19. Jahrhunderts, fand Ostara eine weite Verbreitung. An Grimms Ableitung wird jedoch heute häufig kritisiert, dass er alternative Erklärungsansätze, wie das friesische Âsteron, das mittelhochdeutsche Ôsteren oder das althochdeutsche Wort für Ostern Ôstarûn gar nicht berücksichtigt hat, was jedoch unzutreffend ist, da Grimms Interpretation ja explizit auch auf dem althochdeutschen Wort Ôstarûn beruht.

Skandinavien

In der isländischen Dichtung der Edda und in der skandinavischen Skaldendichtung gibt es keine Hinweise auf eine Göttin, die der angelsächsischen Eastre entsprechen könnte. Auch die Vorstellung einer Frühlingsgöttin oder einer Morgengöttin des aufsteigenden Lichts erscheint nicht in der nordischen Literatur.

Etymologische Diskussionen

Über Bedas Erwähnung der Eostrae deuten einzelne Autoren die folgenden Hinweise als Belege für die Existenz einer germanischen Göttin Ostara bzw. Eastre:

  • Flur- und Ortsnamen wie Osterode, Osterholz oder Oesch (auch Austerthal geschrieben[8]). Allerdings ist bei solchen Ortsnamen ein Bezug zur östlichen Himmelsrichtung zumeist natürlicher und wird von der Ortsnamenforschung daher auch so vertreten.
  • Die Bezeichnung eines Steinblocks in Westfalen »im Oestern« wird auf Ostara abgeleitet, doch handelt es sich hier um Volksglauben.[9] Der aus derselben Gegend stammende „Osta-Stein“ – eine im 16. Jh. gefundene Votivtafel – wird von Befürwortern der Ostarathese als Hinweis gedeutet. Die Tafel ist nur noch in Nachzeichnungen erhalten und zeigt eine männliche oder weibliche Figur mit Hörnerhelm, die ein überquellendes Füllhorn trägt, und daneben einen Kreis (als Sonne oder Vollmond gedeutet) und einen Halbmond. Zudem zeigt die Zeichnung einen Runenspruch: »dhu gautar osta, ous il sin grosta –« (in etwa: »Du guter Osta, aus deinem Antlitz leuchtet –«). Weder der Stein noch die Runeninschrift werden von der Forschung als authentisch anerkannt.
  • Als weitere Hinweise werden bisweilen auch Weihesteine der Matronae Austriahenae in der Umgebung der niederrheinischen Ortschaft Morken-Harff gewertet. Diese Matronen wurden teils als „die Östlichen, die im Osten wohnen“ gedeutet. Ebenfalls nachweisbar sind die Austriahenae in Hermühlheim bei Köln durch sieben römerzeitlichen Weihinschriften mit den Matronennamen Authrinehae, Auðrinehae, Audrinehar und Autriahenae. Sie sind wohl wie die meisten Matronennamen auf Orts-, Gau- oder Sippennamen zurückzuführen.
  • Im Frankenreich wurde der April auch „ôstarmânôt“ genannt, was mit dem altenglischen „eastarmonath“ verwandt ist. Der zeitliche Ursprung der Benennungen ist nicht bekannt und damit auch, ob diese vom Osterfest inspiriert wurden oder das Osterfest nach den Monatsnamen benannt wurde.

Entsprechungen

Ostara wurde in der älteren Forschung und wird teilweise heute noch verschiedentlich mit diversen Göttinnen verwandter Völker und Kulturen gleichgesetzt bzw. in Verbindung gebracht:

  • Anhand der vergleichenden Religionsforschung wird eine indoeuropäische Göttin der Morgenröte (*H2eusōs f.) angenommen, wie die indische Uṣāḥ, griechische Eos, römische Aurora und die litauische Aušrine zeigen. Eine germanische Göttin *Austrô kann dadurch aber nicht bewiesen werden und der Vergleich mit der altenglischen Eastre bleibt vage.
  • Der Beiname „ástagud“ (»Liebesgöttin«; zu ahd. anst »Gunst, Liebe«), den die Göttin Freyja in der jüngeren Edda (vgl. Skaldskaparmál Kap. 28) trägt, wird gelegentlich fälschlicherweise in etymologischen Zusammenhang mit Ostara gebracht.
  • Ebenso umstritten ist die in der älteren Literatur mitunter hergestellte etymologische Zusammenhang zwischen Ostara und der westsemitischen Fruchtbarkeitsgöttin Astarte.

Zur Rezeptionsgeschichte

Neopaganes Heidentum

In neuzeitlichen, neopaganen Glaubensrichtungen werden in der Frühlingszeit liegende Feste zumeist als Ostara oder Ostarafest bezeichnet.

Siehe auch: Kontinentalgermanische Mythologie#Neuzeit
Siehe auch: Keltischer Jahreskreis
Siehe auch: Wicca-Jahreskreis

Analytische Psychologie

Carl Gustav Jung (1875–1971) nahm die ältere Diskussion auf und versuchte, Ostara als Ausprägung des so genannten Mutterarchetypes zu deuten.

Zeitschrift Ostara

Der österreichische Esoteriker und Nationalsozialist Jörg Lanz von Liebenfels veröffentlichte zwischen 1905 und 1930 unter dem Titel Ostara, Briefbücherei der Blonden und Mannesrechtler eine Zeitschrift mit rassistischem Inhalt, in der er auch den Landesnamen Österreich auf die angenommene germanische Göttin zurückführte.

Siehe auch: Ostara (Zeitschrift)

Literatur

  • Hanns Bächtold-Stäubli: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (HDA). Walter De Gruyter, Berlin und Leipzig 1929-1942, 1987, 2000, ISBN 3-11-016860-X.
  • Jan de Vries: Altgermanische Religionsgeschichte (2. Bände). Walter de Gruyter, Berlin 1970.
  • Jacob Grimm: Deutsche Mythologie. Marix Verlag, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-86539-143-8.
  • Karl Helm: Altgermanische Religionsgeschichte (2. Bände in 3. Teilen). Carl Winter, Heidelberg 1911-1953.
  • Ernst Alfred Philipsson: Germanisches Heidentum bei den Angelsachsen (Kölner anglistische Arbeiten Bd.4). Verlag Bernh. Tauchnitz, Leipzig 1929.
  • Klaus Mailahn: Göttin, Fuchs und Ostern. LIT-Verlag, Münster/Wf. 2007, ISBN 978-3-8258-0663-7.
  • Rudolf Simek: Lexikon der germanischen Mythologie. Kröner Verlag, Stuttgart 1984-2005, ISBN 3-406-50835-9.

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Ostara – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. so Ostern in: Microsoft Encarta (online 2009); hier „Eostre“ als „teutonische Göttin des Frühlings und der Fruchtbarkeit“, deren Fest am Tag vor der Frühlings-Tagundnachtgleiche gefeiert worden und mit dem Symbol des Hasen verbunden gewesen sei.
  2. Vergleiche den Artikel Ostara im Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens Bd 6 Sp. 1311–1317: HWDA „Ostara“ Sp. 1312 bei google-books
    online-Beispiel für Kritik bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Ostăra in Meyers Großes Konversations-Lexikon (1905) auf zeno.org
  3. De mensibus Anglorum in deutscher Übersetzung bei Firne Sitte Thüringen
  4. Da Beda die einzige Quelle für eine Göttin Eostrae ist, nehmen viele Forscher eine Erfindung Bedas in der Tradition der Etymologiae Isidor von Sevillas an. Andererseits gilt Beda Venerabilis als erster zuverlässiger Chronist der englischen Geschichte csis.pace.edu siehe etwa Lowell Wilson
  5. HWDA „Ostara“ Sp. 1312 bei google-books
  6. Deutsche Mythologie; Ausgabe, 1835, Göttingen, S. 180 in Google-Books
  7. Einhart, Life of Charlemagne (Englische Übersetzung der Vita Karoli Magni)
  8. Mülh. Pfarrurbar v. 1610 u. 1630, S. 27 u. 184
  9. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 6, S. 1316

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