Orlam

Orlam

Orlam (auch Oorlam) eigentlich ǃGû-ǃgôun oder Nauba-xu gye ǀki-khoen[Khi 1], ist ein Sammelbegriff für die im 17. und 18. Jahrhundert in der Kapkolonie aus den Verbindungen von holländischen Buren mit den bei ihnen tätigen Nama-Frauen entstandenen Gesellschaften.

Inhaltsverzeichnis

Ursprung der Bezeichnung

Der Ursprung der Bezeichnung Orlam ist nicht geklärt. Er könnte sich aus dem Afrikaans ergeben haben (o'erlands oder oor landers so viel wie: ursprüngliche Bewohner).[1] Der Begriff Orlam wurde gebraucht, um sich von den eher traditionell lebenden Nama abzugrenzen. Durch ihre verwandtschaftliche Beziehung zu europäischen Einwanderern, waren die Orlam sehr gut mit deren Lebensweise vertraut. Sie sprachen Afrikaans, konnten mit Gewehren umgehen und besaßen Pferd und Wagen.[2]

Geschichte

Die Besonderheit der Orlam liegt darin, dass sie auf Grund ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen zu den europäischen Einwanderern recht gut mit deren Lebensweise und Sprache vertraut waren, zumeist Lesen und Schreiben konnten und u. a. den Umgang mit Schusswaffen gelernt hatten. Dies gab ihnen ein ausgeprägtes Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Nama-Gruppen und führte zu einer von den Europäern durchaus geförderten Trennung von Nama und Orlam. Die Orlam bildeten regionale Familienklans, die zumeist für ihre europäischen Verwandten als Hausangestellte, Farmarbeiter oder -wächter arbeiteten. Im Gegensatz zu ihren Nama-Verwandten hatten sie damit eine relativ gesicherte wirtschaftliche Existenzgrundlage, konnten sich eigene Herden zulegen und brachten es so zu einem bescheidenen Wohlstand.

Dies übte eine Sogwirkung auf andere Nama-Angehörige aus, die sich den Orlam-Familien anschlossen und mit diesen zusammen nach und nach wiederum eigenständige Gesellschaften bildeten. Den Gruppen standen – nach holländischem Vorbild – gewählte Kapteine vor, deren holländischer Name in der europäischen Literatur zum „Stammesnamen“ erhoben wurde; etwa die „Witbooi“ nach Kido Witbooi. So entstanden im 18. Jahrhundert fünf selbstständige Orlam-Gesellschaften:

Die Stammesgröße brachte es mit sich, dass die Orlam nicht mehr bei „ihren“ jeweiligen Farmen bleiben konnten, sondern eigene Stammesgebiete im Kapland forderten und – nach Übernahme bestimmter Funktionen zur Sicherung der Kapregion (s. u.) – auch zugestanden bekamen. Diese Stammesgebiete lagen vor allem in der nördlichen Kapprovinz – z.B. Pella, Tulbagh, Clan William' – und waren von den Kapholländern als Pufferregion zu den nördlich des Oranjefluss siedelnden unruhigen und die Kolonisation störenden Korana (ein Nama-Volk) und San gedacht. Die Orlam, vor allem die Afrikaner, kamen der ihnen zugedachten Aufgabe durchaus nach und unternahmen zahlreiche Raubzüge gegen die nördlichen Nama und die San. Die Kapregierung bedankte sich für diese „Leistung“ damit, dass sie den Afrikaner-Stamm zum „offiziellen Teil der kapholländischen Polizeimacht“ erklärte und – nach Versorgung mit Gewehren und Munition – zur „eigenständigen Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben gegen die räuberischen San“ (s. Vedder: Das alte Südwestafrika, S. 187) ermächtigte. Dies führte zur völligen Verdrängung der San aus dem südlichen Südwestafrika. Da die Eigenmächtigkeiten der Orlam immer mehr zunahmen, wurde deren Stammesgebiet immer mehr zum Sammelbecken von Abenteurern und Kriminellen aus der Kapprovinz, was sich in zunehmenden Gewalttätigkeiten und Übergriffen auf Händler, Farmer, Forschungsreisende und andere Stammesniederlassungen niederschlug.

Aber erst die Ermordung des holländischen Feldkornet Petrus Pienaar und seiner Familie durch seine Leibeigenen, darunter Klaas Afrikaner[4], löste energische polizeiliche Maßnahmen der Kapregierung aus, vor denen 1796 zuerst die Afrikaner und nach ihnen anderen Orlamgruppen über den Oranje nach Südwestafrika flüchteten und dort neue Siedlungen bildeten. Die Afrikaner unter Jager Afrikaner in ǁKhauxaǃnas (Karasberge), die Bethanier unter Jan Boois in Bethanien, die Khauas unter Amraal Lambert in Gobabis, die Berseba unter Paul Goliath in Berseba und die Witbooi unter Kido Witbooi in Gibeon

Die Afrikaner stiegen im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur beherrschenden Macht in Südwestafrika auf. Auch die Witbooi spielten in der Geschichte Südwest-Afrikas eine große Rolle – vor allem im Zusammenhang mit dem Aufstand der Herero und Nama von 1904 bis 1908, bei dem sie sowohl als Verbündete als auch als Gegner der deutschen Schutztruppe in Erscheinung traten.

Die anderen Orlamstämme beteiligten sich an den vielfältigen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts zumeist als Verbündete des einen oder anderen Stammes und entfalteten insoweit bis in die Gegenwart hinein keine eigene Bedeutung mehr.

Einzelnachweise

  1. Anmerkung: Dieser Artikel enthält Schriftzeichen aus dem Alphabet der im südlichen Afrika gesprochenen Khoisan-Sprachen. Die Darstellung enthält Zeichen wie z. B. ǀ, ǁ, ǂ und ǃ. Nähere Informationen zur Aussprache langer oder nasaler Vokale oder bestimmter Klicklaute finden sich unter Khoekhoegowab.
  1. George Steinmetz: The Devil’s Handwriting: Precoloniality and the German Colonial State in Qingdao, Samoa, and Southwest Africa. University of Chicago Press, 2007, S. 110
  2. Tilman Dedering: Hate the Old and Follow the New. Khoekhoe and Missionaries in Early Nineteenth-Century Namibia. Missionsgeschichtliches Archiv Band 2, Stuttgart 1997, S. 163
  3. Darstellung nach Dedering: S. 53
  4. Dedering: S. 54

Siehe auch


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