Operation Pastorius

Operation Pastorius

Die Operation Pastorius war ein in groben Umrissen von der deutschen Abwehr entworfenes Kommandounternehmen während des Zweiten Weltkrieges, bei dem deutsche Sabotagegruppen in den Industriezentren der USA Anschläge begehen sollten.

Beauftragt mit den Vorbereitungen im Einzelnen war der ehrgeizige Abwehroffizier Oberleutnant Walter Kappe, der in Chicago und New York zwölf Jahre in der Auslandsorganisation der NSDAP Propagandaarbeit geleistet hatte. Sein Plan bestand darin, Deutsche, die in den USA gelebt und gearbeitet hatten, die mit der Sprache und den Lebensgewohnheiten vertraut waren, zu rekrutieren, sie mit einem U-Boot an der Atlantikküste abzusetzen und sie kriegswichtige Industriebetriebe, Staudämme und Eisenbahnverbindungen zerstören zu lassen und so möglichst viel Panik zu erzeugen.

Inhaltsverzeichnis

Teilnehmer

Im Winter 1941 begann Kappe mit der Suche nach geeigneten Kandidaten. Er sprach auf Kongressen des Auslandsinstituts mögliche Bewerber an, überprüfte Personalakten der Wehrmacht und suchte auch auf Listen wieder eingebürgerter Deutscher der Gestapo nach in Frage kommenden Kandidaten. Am 10. April 1942 wurde eine Gruppe Freiwilliger auf dem Gut Quenzsee bei Brandenburg an der Havel zusammengezogen, unter anderen:

  • George John Dasch, ein 39-jähriger, der 1922 illegal in die USA eingereist war, als Kellner in New York gearbeitet und kurzzeitig bei den US Army Air Forces gedient hatte, bevor er 1941 ins Dritte Reich zurückkehrte
  • Werner Thiel, der 1927 in die USA ausgewandert war, einen Naturalisierungsantrag gestellt und ebenfalls 1941 ins Dritte Reich zurückgekehrt war
  • Hermann Neubauer, ein ehemaliger Koch
  • Edward Kerling, der elf Jahre in den USA als Fahrer und Diener gearbeitet hatte und überzeugter Nazi war
  • Herbert Hans Haupt, ein 22-jähriger mit US-amerikanischem Pass, Kind deutscher Eltern in Chicago, die legal die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben hatten, und der seit sechs Jahren außerhalb der USA lebte
  • Ernst Peter Burger, ebenfalls amerikanischer Staatsbürger und ehemaliges SA-Mitglied, der in den USA als Maschinist gearbeitet und bei der Nationalgarde in Michigan und Wisconsin gedient hatte
  • Richard Quirin, der 1927 in die USA ausgewandert war und das Angebot des Dritten Reichs zur Rückkehr ergriffen hatte

In Quenzsee erhielten sie eine Spezialausbildung in Sprengstoff, Brandsätzen, Handgranatenwerfen, Schießübungen, Nahkampf, Sabotagetechniken und Geheimschriften. Sie wurden unterrichtet, welche in jedem Drugstore leicht erhältlichen Materialien für ihre Zwecke einsetzbar seien, wie man mit primitiven Mitteln Zeitzündeeinrichtungen herstellt, mit einem Gewehrschuss auf einen Transformator ein ganzes Aluminiumwerk wochenlang lahmlegt und geheime Nachrichten übermittelt. Am 29. April wurden sie durch den Befehl, die Attrappe eines durch Wachmannschaften der Sabotageschule bewachten Rüstungsbetriebes, eines Verschiebebahnhofs und anderer Ziele auszukundschaften und binnen 36 Stunden zu zerstören, einer Prüfung unterzogen.

Nachdem alle bis auf zwei Mitglieder ihre Prüfung bestanden hatten, wurden sie durch Kappe in zwei Gruppen eingeteilt: Burger, Heinck und Quirin sollten unter Daschs Führung die Aluminiumwerke in Alcoa, Tennessee, in East St. Louis, Illinois und in Massena, New York sowie die Kryolithwerke in Philadelphia sabotieren, aber auch die Schleusen am Ohio River zwischen Pittsburgh und Louisville sprengen. Neubauer, Thiel und Haupt hatten unter Befehl von Kerling die Eisenbahntunnel und -brücken, die Hellgate-Brücke über den East River und die Wasserversorgung von New York City zu zerstören.

Jeder Einzelne hatte den Auftrag von Kappe, unbedingt weitere Deutschamerikaner zu rekrutieren und möglichst mit diesen zusammen ihre Befehle auszuführen. Falls einer weich werden sollte, so hätte jeder jeden aus dem Kommando zu erschießen. Kappe selbst wollte in die USA nachkommen, sobald das Kommando ein Agentennetz angeworben hätte. Verschlüsselte Anzeigen in der Chicago Tribune sollten der Kommunikation dienen. Jeder der Agenten erhielt 4.400 US-Dollar und die beiden Anführer weitere 50.000 $. Dasch fiel jedoch auf, dass ein erheblicher Teil des Bargeldes aus Golddollarnoten bestand, die seit 1933 nicht mehr im Umlauf waren.

Ablauf

Am 28. Mai 1942 gingen sie in Lorient in der Bretagne an Bord der deutschen U-Boote U 202 und U 584. U 202 setzte sie kurz nach Mitternacht am 14. Juni 1942 vor Amagansett auf Long Island mit Schlauchboot und vier wasserdichten Kisten mit Sprengstoffen sowie Zeit- und Fernzündern ab. U 584 setzte sein Kommando am 17. Juni vor Ponte Vedra Beach, südlich von Jacksonville mit Schlauchboot und Kisten ab.

Das erste Kommando mit Dasch wurde von einem jungen, aufmerksamen Wachmann bereits am Strand gesehen, noch bevor es Zeit hatte, Schlauchboot und Kisten verschwinden zu lassen. Die vier Agenten steckten ihm Bargeld zu und verlangten von ihm, den Vorfall zu vergessen, was natürlich sein Misstrauen erregte. Bevor der Wachmann Unterstützung holen konnte, waren sie bereits verschwunden, hatten den Pendlerzug nach New York genommen und sich in Manhattan im Hotel Governor Clinton in der 31. Straße bzw. einen Block entfernt im Hotel Martinique einquartiert. Die Kisten wollten sie später mit einem Auto in ein Versteck in den Catskill Mountains nordwestlich von New York schaffen. Doch Dasch kamen bereits am ersten Abend Bedenken bezüglich des ganzen Unternehmens, und er fühlte bei Burger vor, wie man aus der Sache wieder herauskommen könnte.

Das zweite Kommando war per Bus nach Jacksonville, von dort per Zug nach Cincinnati, Ohio gelangt, wo Kerling und Thiel untertauchten, während Haupt und Neubauer nach Chicago, Illinois reisten.

Dasch rief beim New Yorker Büro des FBI an, um sein Kommen in Washington für die folgende Woche anzukündigen. Der Beamte nahm den Anruf nicht sonderlich ernst und legte eine kurze Notiz an. Dasch pokerte noch ein wenig mit seinen alten Kollegen aus Kellnertagen in New York und fuhr dann fünf Tage später nach Washington D. C., wo er seinen Zuhörern weitschweifig und detailliert zwei volle Tage Auskunft über ihren Auftrag, ihre Identität, ihre Ausbildung, die deutsche Lebensmittelversorgung, die Wohnungsknappheit, die militärische Lage und die Tauchtiefen deutscher U-Boote gab. Als Gegenleistung für seine Auskunftsfreudigkeit erwartete er, in den in Deutschland verbreiteten Propagandaradiosendungen sprechen zu dürfen.

Stattdessen wurden Burger, Heinck und Quirin im Hotel, Kerling zusammen mit Thiel bei seiner in New York lebenden Ehefrau festgenommen. Haupt hatte sich bei einem FBI-Büro in Chicago nach seiner Einberufung erkundigt, wo man ihn mit „alles in Ordnung“ in Sicherheit wiegte, um ihn zu beschatten. Er führte nach einer Woche seine Aufpasser zum Versteck von Neubauer.

Juristische Folgen

Der Fall wurde vor einem Militärgericht verhandelt, weil die Anklage befürchtete, dass die Beweise nicht für ein normales Verfahren ausreichen würden.[1] Generalstaatsanwalt Francis Biddle vertrat persönlich die Anklage, das Gericht war aus sieben Generälen als Richter zusammengesetzt, von denen keiner Jurist war. Obwohl alle Angeklagten erstaunlich detailliert Geständnisse ablegten und keine Versuche zu Sabotageakte verübt hatten, wurde ihnen die Tatsache, dass sie als Deutsche Sprengmittel ins Land gebracht hatten, als Verstoß gegen die Kriegsgesetze ausgelegt. Weder ihre Geständnisse noch die Bekundung ihrer angeblichen Abscheu gegenüber der Diktatur in Deutschland, noch ihre Beteuerungen, niemals tatsächlich einen Sprengstoffanschlag vorgehabt zu haben, halfen ihnen. Das am 8. August 1942 verkündete Strafmaß für Dasch lautete dreißig Jahre Zuchthaus, für Burger lebenslänglich. Alle übrigen wurden zum Tode durch den elektrischen Stuhl verurteilt und noch am gleichen Tage hingerichtet. Dasch und Burger wurden im April 1948 durch Präsident Harry S. Truman begnadigt und in die amerikanische Besatzungszone Deutschlands abgeschoben.

In der Folge wurden Verfahren gegen sechs Familienangehörige und Freunde des vermeintlichen Haupttäters Haupt eröffnet. Nach einem Rechtsstreit über die Verwendung von durch unlautere Mittel gewonnenen Geständnissen wurden die Verfahren gegen zwei Frauen eingestellt, ein Freund bekannte sich einer minderen Straftat für schuldig und wurde zu einer Haftstrafe verurteilt, die wegen der Untersuchungshaft schnell zur Bewährung ausgesetzt werden konnte und die Mutter Haupts wurde interniert und ihr die US-Staatsangehörigkeit entzogen. Sie wurde nach dem Krieg nach Deutschland abgeschoben. Das Verfahren gegen Haupts Vater wurde vollständig durchgeführt und er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Auch er wurde nach Kriegsende nach Deutschland abgeschoben.

Die Überstellung der Angeklagten an ein Militärtribunal wurde von ihren Verteidigern bis vor das Supreme Court angefochten. Die Entscheidung des Obersten Bundesgerichts wurde in der juristischen Literatur entschieden kritisiert. Drei der beteiligten Richter haben im Rückblick ihre Entscheidung bedauert. Das Urteil wurde in der Folge der Terroranschläge am 11. September 2001 und im Krieg gegen den Terror als Präzedenzfall für die Einrichtung von Militärtribunalen auf Guantanamo herangezogen.

Literatur

  • Michael Dobbs: Saboteurs – the Nazi Raid on America. Knopf, New York 2004, ISBN 0-375-41470-3.
  • Louis Fisher: Nazi Saboteurs on Trial: a Military Tribunal and American Law. University Press of Kansas, Lawrence 2003, ISBN 0700612386.
  • Richard Cahan: A Terrorists Tale. Chicago Magazine, Februar 2002 (auch online)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. soweit nicht anders angegeben, beruht dieses Kapital auf: Cahan 2002

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