Oliver W. Sacks

Oliver W. Sacks
Oliver Sacks

Oliver Sacks CBE (* 9. Juli 1933 in London, England) ist ein britischer Neurologe und Schriftsteller und bekannt durch seine populärwissenschaftlichen Bücher, in denen er komplexe Krankheitsbilder anhand von Fallbeispielen in zwanglos-anekdotischem Stil allgemeinverständlich beschreibt. Sein Ziel ist es, neben der modernen Wissenschaft die betreffenden Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren, hinter jeder Erkrankung das individuelle Schicksal zu erkennen und die eigene Normalität in Frage zu stellen.

Gemeinsam mit dem russischen Neuropsychologen Alexander R. Lurija greift er auf die medizinisch-literarische Tradition des 19. Jahrhunderts zurück, die bei der wissenschaftlichen Betrachtung den kranken Menschen in den Mittelpunkt stellte. Lurija nannte dies eine „romantische“ Wissenschaft.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Oliver Sacks stammt aus einer Arztfamilie. Seine Mutter praktizierte als Chirurgin und sein Vater war Arzt für Allgemeinmedizin.[1] Seine drei Brüder wurden ebenfalls Mediziner. Nach dem Besuch der St. Paul’s School in London studierte er Medizin am Queen’s College in Oxford. Nach einigen neurophysiologischen Forschungen siedelte er 1960 in die USA über. Nach zweijähriger Tätigkeit als Internist am Mount Zion Hospital in San Francisco forschte er von 1962 bis 1965 an der University of California, Los Angeles.

1965 nahm er eine Professur für klinische Neurologie am Albert Einstein College of Medicine in New York City an. Während seiner Forschungen über Migräne stieß er 1966 im Beth Abraham Hospital in der Bronx zwischendurch auf einige Patienten, die schon seit etwa 40 Jahren wie „eingefroren“ waren: Überlebende der europäischen Schlafkrankheit (Encephalitis lethargica), einer weltweiten Epidemie von 1916 bis 1927. Nach Abschluss der Migräne-Studien, die er 1970 veröffentlichte, widmete er sich der Patientengruppe intensiver.

Die Einzelfall-Studien wurden Gegenstand seines Buches Zeit des Erwachens (Awakenings). Im Verlauf der Experimente mit L-Dopa, einer Vorstufe des Neurotransmitters Dopamin, kam es zu außergewöhnlichen Reaktionen der Patienten: Sie „wachten“ kurzfristig auf, zeigten teilweise gar eine übermotivierte Lebensfreude, bis sie schließlich in ihre Starre zurückfielen. Einige der Fallgeschichten thematisierte zunächst Harold Pinters Theaterstück A Kind of Alaska, bevor sie 1990 unter dem Titel Awakenings u. a. mit Robin Williams und Robert de Niro verfilmt wurden. Das machte Oliver Sacks weltweit populär, und viele seiner zwischenzeitig veröffentlichten Bücher hatten eine große Nachfrage. Außer weiteren Geschichten über andere neurologische Fälle, wie Parkinson-Krankheit, Tourette-Syndrom, Autismus, Agnosie und Gehörlosigkeit, schilderte er in Der Tag, an dem mein Bein fortging auch die Folgen eines eigenen Wanderunfalls. Anscheinend riss ihm dabei ausschließlich die Sehne eines vorderen Oberschenkelmuskels (Quadriceps), für längere Zeit lebt er (vor allem) in der Patientenperspektive.

Sein Bestseller Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte berichtet, wie sich die unterschiedlichen Störungen und Erkrankungen auf den Alltag der Patienten und betroffenen Angehörigen auswirken. Die Titelgeschichte wurde 1987 Gegenstand der gleichnamigen Oper von Michael Nyman. Oliver Sacks erzählt in dem Buch zwanzig Geschichten von Menschen, die aus der „Normalität“ gefallen sind.

Das Buch ist so geschrieben, dass es für jeden verständlich ist, auch wenn man sich noch nie mit Medizin, Neurologie oder Psychiatrie befasst hat. Es geht kaum um medizinische Seiten, mehr um die Welt, in der diese Menschen leben. Das Buch macht klar, wie Wahrnehmung allein vom Gehirn abhängt – Realität spielt sich im Kopf ab. Für „Normale“ ist es beispielsweise unvorstellbar, dass ein Mann seine Frau mit einem Hut verwechseln kann. Zum Beispiel, dass der Patient zwar Dinge sieht, sie aber nicht beim Namen nennen kann, so beispielsweise eine Rose als „rotes, gefaltetes Gebilde mit einem geraden grünen Anhängsel“ identifiziert. Diese schildern teils lustige, teils traurige Geschichten. Sie zeigen gleichzeitig, wozu das menschliche Gehirn fähig ist, wie schnell man seine „Realität“ verlieren kann und was letztendlich die Persönlichkeit ausmacht.

Die Neuropsychologie befasst sich nicht mit rein psychischen Problemen, sondern mit Störungen, die aufgrund von Verletzungen, Ausfällen im Gehirn usw. hervorgerufen wurden. Eine winzige Hirnverletzung, ein kleiner Tumult in der cerebralen Chemie – und wir geraten in eine andere Welt.

Sacks Werke wurden bisher in 21 Sprachen übersetzt. 2002 wurde er mit dem Wingate Literary Prize ausgezeichnet.

Zur Zeit lebt Oliver Sacks in New York City, wo er eine eigene Arztpraxis unterhält.

Zu Beginn des Herbstsemesters 2007 hat er einen Ruf an die Columbia University angenommen.[2] Dort wird er nicht nur als Mediziner, sondern auch in mehreren anderen Fachbereichen unterrichten, u. a. Musiktheorie.[3]

Werke

  • Migräne (1970), ISBN 3499199637
  • Stumme Stimmen (1989), ISBN 3499191989
  • Der Tag, an dem mein Bein fortging (1989), ISBN 3499188848
  • Awakenings: Zeit des Erwachens (1990), ISBN 3499188783
  • Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte (1987), ISBN 3499187809
  • Eine Anthropologin auf dem Mars (1995), ISBN 3499602423 (7 weitere Fallgeschichten, u. a. über den Landschaftsmaler von Pontito (bei Pescia), die Architektur-/Tierwissenschafts-Professorin Temple Grandin)
  • Die Insel der Farbenblinden (1997), ISBN 3499605600
  • Onkel Wolfram (2001), ISBN 3498063529 (Über Phänomene in der und einiges aus der Chemie-Geschichte und der erste Teil einer Autobiographie etwa bis 1956)
  • Die feine New Yorker Farngesellschaft. Ein Ausflug nach Mexiko (2004), ISBN 3894054808
  • Musicophilia: Tales of Music and the Brain (2007), ISBN 9781400040810
    • dt: Der einarmige Pianist. Über Musik und das Gehirn. Rowohlt Verlag, Reinbek 2008, 352 Seiten, ISBN 3-498-06376-6

Filmographie

Weblinks

Einzelnachweise

  1. (Quelle: http://www.oliversacks.com/about.htm)
  2. Bericht der New York Times über den Wechsel zur Columbia University 01.09.2007
  3. Interview mit O. S.: Schimpansen tanzen nicht. In: Der Spiegel 11/2008 vom 10.03.2008, S. 146-148.

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