Oderhochwasser 1997

Oderhochwasser 1997
Oderhochwasser im August 1997: geschlossene Deichscharte Zollbrücke
Pegelmarke in Frankfurt (Oder) – 1930 und 1997

Das Oderhochwasser 1997 war die größte bekannte Flut der Oder. Überschwemmungen an den Flussläufen der Oder verursachten im Juli und August schwere Schäden in Tschechien, Polen und Deutschland und forderten zahlreiche Opfer (114 Tote in Polen und Tschechien). Die Schäden werden auf 3,8 Milliarden Euro in Tschechien und Polen sowie 330 Mio. Euro in Deutschland beziffert. Bei der Bewältigung der Flut und bei den Abwehrmaßnahmen in Deutschland waren Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), Deutsches Rotes Kreuz (DRK), Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH), Feuerwehr, Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland (ASB), sowie das THW mit großem personellen Aufwand beteiligt.

Inhaltsverzeichnis

Verlauf

Ursache der Flut war eine sogenannte Vb-Wetterlage, die ausgedehnte Starkniederschläge längerer Dauer in den tschechischen und polnischen Gebirgsregionen auslöste. Am 10. Juli waren weite Landesteile überflutet und tausende Menschen obdachlos.

Für den Grenzoderabschnitt gab das Landesumweltamt Brandenburg am 8. Juli eine Hochwasserwarnung heraus; am 14. Juli wurden für die betroffenen Landkreise und die Stadt Frankfurt (Oder) Alarmstufe I ausgerufen. Die Flut erreichte Brandenburg am 17. Juli bei Ratzdorf, am Zusammenfluss von Oder und Lausitzer Neiße. Mit 6,20 Meter stand der Pegel fast 3,50 Meter über den langjährigen Sommerwerten. Vorsorglich wurden die niedrigsten Deichstrecken erhöht. Eine zweite Hochwasserwelle, verursacht durch erneute starke Regenfälle, erfolgte vom 18. bis 21. Juli im oberen Odereinzugsgebiet. Deiche wurden aufgeweicht; der Wasserdruck betrug sechs Tonnen je Quadratmeter. Am Oder-Spree-Kanal in Eisenhüttenstadt kam es zu Rissen der Deichkrone. Sicherheitsmaßnahmen mit Sandsäcken und Faschinen verhinderten einen Deichbruch.

In der Ziltendorfer Niederung begannen erste Evakuierungen in den Ziltendorfer Ortsteilen Aurith und der Ernst-Thälmann-Siedlung. Im Oderbruch wurde das Vieh in Sicherheit gebracht. Der Deich bei Brieskow-Finkenheerd brach am 23. Juli auf einer Breite von anfangs 70 Metern, später auf 200 Metern durch die hohe Fließgeschwindigkeit aufgrund des Höhenunterschiedes zwischen Oder und der Ziltendorfer Niederung. Am 24. Juli brach etwa 9 Kilometer weiter der Deich bei Aurith. Somit war die Überflutung der 5.500 Hektar großen Ziltendorfer Niederung nicht mehr aufzuhalten.

Im nördlichen Oderbruch bei Hohenwutzen wurde vorsorglich die Evakuierung von 6.500 Menschen angeordnet. Dabei wurden auch die Tiere aus dem Oderbruchzoo Altreetz abtransportiert. Am 25. Juli rutschten am Deichkilometer 70,4 bei Neuglietzen auf einer Länge von 150 Metern Teile des Deiches ab. Löcher bis zu sieben Meter tief mit bis zu 25 Metern Breite klafften an der Landseite im Deich. Mit Sandsäcken beladene Hubschrauber der Bundeswehr wurden unter Lebensgefahr vom Kapitänleutnant a.D. J. U. Kestner auf dem Deich eingewiesen und füllten die Löcher.[1] Ununterbrochen brachten Hubschrauber tausende Sandsäcke, die die Soldaten in der Bruchstelle aufschichteten. Von Tauchern wurde der Deich von der Wasserseite mit Folie abgedeckt, so dass er schließlich gehalten werden konnte.[2]

Am 27. Juli erreichte der Pegel 6,56 Meter Rekordhöhe in Frankfurt (Oder)[3]. Am 29. Juli wird bei Reitwein, Deich-km 4,8 und 5,2 ein kritischer Riss (0,5m breit, 50 m lang) in der Deichberme erfolgreich verbaut. Dazu werden auch Bundeswehr-Hubschrauber zum Sandsacktransport eingesetzt.

Angesichts der lebensbedrohlichen Situation für 20.000 Einwohner des Oderbruchs wird in der Nacht zum 1. August 1997 mit dem Bau eines Schutzdammes bei Reitwein begonnen. Hierzu waren in den ersten Stunden ca. 80 LKWs der Straßenbauverwaltung für die Errichtung des Querdeiches im Einsatz. Der Bau des Notdeiches[4] wurde aber vorzeitig beendet und im folgenden Jahr zurückgebaut. Im Volksmund bekam der Schutzdamm den Namen Mayerdamm in Anspielung auf den damaligen brandenburgischen Bauminister.

Durch die weiten Polderflächen im unteren Odertal – sowohl auf deutscher als auch auf polnischer Seite –, die im Sommer 1997 aufgrund des Hochwassers geflutet wurden, konnte Schlimmeres verhindert werden. Bei einem möglichen Deichbruch bei Hohenwutzen wäre nicht nur das Oderbruch betroffen gewesen. Das Wasser hätte sich auch über die Hohensaaten-Friedrichsthaler Wasserstraße in die flachen Randgebiete des Unteren Odertals ausgebreitet. Dies hätte auch die Stadt Schwedt/Oder, die direkt über einen alten Oderarm mit diesem Kanal verbunden ist, schwer getroffen. Dabei wären weite Teile der Innenstadt bis an den Rand der oberen Talsandterassen überflutet worden.

Nachdem sich die Hochwasserlage im polnischen Słubice für die Bevölkerung erheblich verschlechterte, wurde eine Hilfsgruppe des DRK nach Słubice für Internationale Hilfsmaßnahmen abgeordnet. Diese Gruppe verteilte Hilfsgüter (Lebensmittel- und Sachgutspenden) aus Deutschland an die evakuierten Personen und leistete bei Verletzungen Erste Hilfe.

Im August blieben die gefährdeten Deichabschnitte unter Kontrolle. Der Pegel sank nur langsam, da das Flussbett der Oder ein geringes Gefälle aufweist und das Wasser aus den Nebenflüssen nachrückte.

Wasserstände

Entlang der Oder wurden bis etwa zur Mündung der Warthe bei Küstrin noch nie zuvor gemessene Wasserstände beobachtet. Das Landesumweltamt Brandenburg hat 1998 die höchsten Wasserstände zusammengetragen und veröffentlicht. [5]

Pegel-
name
Oder-
km
max. Pegelstand
in cm
Datum
PolenPolen Racibórz Miedonia 55,5 1045 09.07.1997
PolenPolen Ujście Nysy 180,5 768 10.07.1997
PolenPolen Rędzin 261,1 1030 13.07.1997
PolenPolen Brzeg Dolny 284,7 970 13.-14.07.1997
PolenPolen Malczyce 304,8 792 14.-15.07.1997
PolenPolen Ścinawa 331,9 732 15.07.1997
PolenPolen Głogów 392,9 712 16.07.1997
PolenPolen Nowa Sól 429,8 681 16.07.1997
PolenPolen Cigacice 471,3 682 19.07.1997
PolenPolen Połęcko 530,3 595 24.07.1997
DeutschlandDeutschland Ratzdorf 542,5 691 24.07.1997
DeutschlandDeutschland Eisenhüttenstadt 554,1 717 24.07.1997
DeutschlandDeutschland Frankfurt/Oder 584,0 [A 1]656 27.07.1997
PolenPolen Słubice 584,1 637 27.07.1997
DeutschlandDeutschland Kietz 614,8 653 27.-28.07.1997
DeutschlandDeutschland Kienitz 633,0 628 24.07.1997
PolenPolen Gozdowice 645,3 659 31.07.-01.08.1997
DeutschlandDeutschland Hohensaaten-Finow 664,9 729 31.07.1997
DeutschlandDeutschland Hohensaaten
Ostschleuse OP (Oderseite)
[A 2]667,2 805 31.07.1997
PolenPolen Bielinek 673,5 712 31.07.-01.08.1997
DeutschlandDeutschland Stützkow 680,5 1009 29.07.1997
DeutschlandDeutschland Schwedt Oderbrücke 690,6 886 02.08.1997
DeutschlandDeutschland Schwedt
Schleuse OP (Oderseite)
[A 3]697,0 840 01.-02.08.1997
PolenPolen Widuchowa 701,8 760 02.-03.08.1997
DeutschlandDeutschland Gartz (Oder) [A 4]8,0 698 01.-02.08.1997
DeutschlandDeutschland Mescherin [A 5]14,1 672 03.08.1997
PolenPolen Gryfino 718,5 649 03.08.1997
DeutschlandDeutschland Ückermünde Oderhaff 536 06.08.1997
  1. Der Pegelwert wurde nachträglich im gewässerkundlichen Jahrbuch von 657 auf 656 korrigiert.
  2. Der Pegel liegt im Verbindungskanal Hohensaaten bei km 92,9. Er zeigt aber den Wasserstand der Oder am angegebenen km 667,2 an.
  3. Der Pegel liegt in der Schwedter Querfahrt bei km 0,4. Er zeigt aber den Wasserstand der Oder am angegebenen km 697,0 an.
  4. Der Pegel liegt an der Westoder bei km 8,0. Kilometer Null der Westoder ist etwa am Pegel Widuchowa.
  5. Der Pegel liegt an der Westoder bei km 14,1. Kilometer Null der Westoder ist etwa am Pegel Widuchowa.

Aufräumarbeiten

Am 9. August kehrten die evakuierten Bewohner des Oderbruchs schrittweise in ihre Dörfer zurück; die Grenzübergänge nach Polen wurden wieder geöffnet.

Während die Bundeswehr gemeinsam mit dem THW und den örtlichen Feuerwehren die Aufräumarbeiten aufnahm, begann das Landesumweltamt Brandenburg den Wiederaufbau der zerstörten Deichabschnitte vorzubereiten. Noch im September 1997 wurde an zwölf Deichbauvorhaben mit den Bauarbeiten begonnen. Schwierigkeiten ergaben sich durch die Untergrundverhältnisse der aufgeweichten Deiche und Munitionsfunde aus dem Zweiten Weltkrieg. Ende November 1997 konnten die letzten Reparaturarbeiten abgeschlossen werden.

Einsatzkräfte und Material

Unter der Leitung von General Hans-Peter von Kirchbach waren zwischen dem 18. Juli und dem 10. Oktober über 30.000 Soldaten an der Bekämpfung des Hochwassers und seiner Auswirkungen beteiligt. Damit handelte es sich um den bis dahin größten Katastropheneinsatz der Bundeswehr. Mehr als 8 Millionen Sandsäcke wurden mit ca. 177.000 Tonnen Sand und Kies vom THW, Bundesgrenzschutz, Feuerwehren, zivilen Hilfsorganisationen und der Bevölkerung gefüllt. Die Bundeswehr war mit mehr als 3.000 Fahrzeugen und Spezialmaschinen im Einsatz. 50 Bundeswehr-Hubschrauber beförderten in über 2.700 Flugstunden rund 2.000 Personen sowie etwa 3.500 Tonnen Material.

Das Land Brandenburg und der Bund reagierten mit Soforthilfeprogrammen. Nach dem Hochwasser setzte eine Spendenaktion der Bevölkerung ein. Die Summe der Spenden belief sich auf mehr als 50 Millionen Euro.

Rezeption und Spätwirkungen

Briefmarke von 1997 mit 90 Pfennig Zuschlag zugunsten der Hochwasserhilfe Brandenburg
Oderflut- Medaille

Gesamtdeutsche Anteilnahme

Über das Oderhochwasser 1997 mit der Bedrohung des Oderbruches wurde in den Medien intensiv berichtet. Die Ereignisse wurden in der gesamten deutschen Bevölkerung mit großer Anteilnahme verfolgt.[6] Der Kampf gegen die Flut wurde als nationale Aufgabe eingestuft und akzeptiert. Obwohl die deutsche Vereinigung formal bereits 1990 vollzogen war, gab es durch die vereinigungsbedingten Belastungen erhebliche emotionale Hemmnisse und Vorbehalte. Die Flut und die Anstrengungen zur Sicherung des Oderbruches trugen zum emotionalen Zusammenwachsen der beiden Landesteile bei. Insbesondere der Einsatz der Bundeswehr wurde in Ostdeutschland honoriert. Die Flut löste eine bundesweite Spendenbereitschaft – vor allem für die deutschen Opfer – aus. Durch seine Tätigkeit als Krisenmanager wurde der damalige brandenburgische Minister für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung, „DeichgrafMatthias Platzeck, bundesweit bekannt.

Oderflut-Medaille

In Anerkennung der Hilfe und zum Dank an die Helferinnen und Helfer beim Flutkatastropheneinsatz wurde vom Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg die Oderflut-Medaille gestiftet, und erstmalig während eines Festaktes am 20. September 1997 von Manfred Stolpe überreicht. Die Oderflut-Medaille des Landes Brandenburg gibt es für Uniformträger und für Zivilisten. "Die Oderflut-Medaille trägt auf ihrer Vorderseite den brandenburgischen Adler mit dem Schriftzug Land Brandenburg sowie einen Hinweis auf das Ereignis und eine Dankesformel; auf ihrer Rückseite ist die betroffene Region symbolisch dargestellt. Sie wird an einem rot-weißen Band auf der linken oberen Brustseite getragen." (aus dem Erlass des Ministerpräsidenten zur Oderflut-Medaille[7]).

Deichneubau

Aufgrund der 1997 gesammelten Erfahrungen wurden an mehreren Stellen Planungsverfahren für den grundlegenden Neubau kritischer Deichabschnitte des Oderdeiches eingeleitet. Dabei wurden die Deichlinie, das Deichprofil und die Deichhöhe verändert. Probleme traten vereinzelt bei der Beschaffung der Grundstücke und bei der Entschädigung der Anlieger auf. Diese Neubaumaßnahmen erfolgten in den Jahren 1998 bis 2005.[8]

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Märkische Oderzeitung: Noch einmal flogen die Hubschrauber vom 29. Juli 2007.
  2. Berliner Zeitung: Immer neue Risse gefährden die Deiche an der Oder vom 2. August 1997.
  3. Nach Aussage des Wasser- und Schifffahrtsamt Eberswalde vom 2. August 2007 wurde 1997 als erster Wert 657 cm angegeben. Dieser Wert musste später auf Grund von vermessungstechnischen Anpassungen an ein durchgeführtes Hauptnivellement auf 656 korrigiert werden
  4. Landtag Brandenburg - Wortlaut der Kleinen Anfrage 1468 vom 8. September 1997: Hochwasserschutz an der Oder; Zukunft des Reitweiner Notdeichs (pdf, 45,5 kByte)
  5. Studien und Tagungsberichte, Schriftenreihe des Landesumweltamtes Brandenburg. Band 16 - Das Sommerhochwasser an der Oder 1997 - Fachbeiträge anläßlich der Brandenburger Ökologietage II. Potsdam. Marz 1997
  6. Wiener Zeitung: Im Niemandsland Ostbrandenburgs vom 25. September 1998.
  7. Erlass des Ministerpräsidenten zur Oderflut-Medaille
  8. Märkische Oderzeitung: Bis November ist Oderdeich komplett saniert vom 23. April 2005.

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