Némirovsky

Némirovsky
Irène Némirovsky im Alter von 25 Jahren

Irène Némirovsky (* 11. Februar 1903 in Kiew; † 17. August 1942 in Auschwitz) war eine französische Schriftstellerin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Irène Némirovsky wurde als Tochter eines jüdischen Bankiers in der Ukraine geboren. Da ihre Eltern sich nicht sonderlich für sie interessierten, wuchs sie unter der Obhut einer französischen Gouvernante auf, so dass Französisch ihr zur zweiten Muttersprache wurde. Im Verlauf der Russischen Revolution floh die Familie und kam über Finnland und Schweden 1919 nach Paris. In den 20er Jahren gelangte ihre Familie wieder zu Reichtum und Irène konnte ein behütetes und luxuriöses Leben führen. Das Studium der Literaturwissenschaft an der Sorbonne schloss sie mit Auszeichnung ab. Mit 18 Jahren begann sie, zu schreiben.

1926 heiratete sie den Juden Michel Epstein, mit dem sie zwei Töchter hatte: Denise, geb. 1929, und Élisabeth, geb. 1937. Im Jahre 1929 erschien ihr Roman David Golder und machte sie mit einem Schlag bekannt. Ihr Werk wurde von allen Seiten gelobt, darunter auch von Antisemiten wie Robert Brasillach, was in der US-Zeitschrift The New Republic im Frühjahr 2008 zu einer neuen Diskussion über ihren angeblichen Antisemitismus führte.[1] Bereits im Jahr nach Veröffentlichung der französischen Ausgabe erschien eine deutsche Übersetzung von David Golder. 1930 folgte Le Bal, in dessen Verfilmung aus dem folgenden Jahr Danielle Darrieux ihren ersten Auftritt hatte.

Trotz ihrer Anerkennung als Schriftstellerin und ihrer erfolgreichen Mitsprache in der literarischen Welt gelang ihr die Integration in die französische Gesellschaft nicht so weit, dass man sie aus ihrem Status als Staatenlose befreit und die von ihr angestrebte Einbürgerung ermöglicht hätte. Da sie den auch in Frankreich verbreiteten Antisemitismus spürte, konvertierte sie 1939 mit ihren Töchtern zum Christentum, was aber ohne Einfluss auf ihr späteres Schicksal bleiben sollte. 1940 wurden sie und ihre Familie durch die antisemitischen Gesetze der Vichy-Regierung gezwungen, Paris zu verlassen. Die Familie floh nach Issy-l'Évêque. Am 13. Juli 1942 wurde Irène verhaftet und nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie am 17. August völlig geschwächt im Krankenbau starb. Ihr Mann versuchte noch verzweifelt, bei den Behörden ihre Freilassung zu erwirken, bevor auch er im Oktober 1942 nach Auschwitz deportiert und nach der Ankunft dort sofort in der Gaskammer ermordet wurde.

Wiederentdeckung nach 60 Jahren

Die beiden Töchter Denise und Élisabeth überlebten mit Hilfe von Freunden den Krieg, indem sie bis zur Befreiung und dem Kriegsende in Frankreich von Versteck zu Versteck flohen. Als sie nach dem Krieg ihre Großmutter, Fanny Némirovsky, die, von Irène gefürchtet und gehasst, die Okkupationszeit überlebt hatte, in ihrem großen Appartement in Nizza aufsuchten, um sie um Hilfe zu bitten, soll sie sie fortgeschickt und an ein Waisenhaus verwiesen haben. Während dieser Zeit behielten die Schwestern in einem Koffer das letzte Manuskript ihrer Mutter bei sich. Jedoch glaubten sie, dass es sich dabei nur um Skizzen und Notizen handle. Erst nach dem Tod von Élisabeth 1996 stellte man fest, dass es sich um den unvollendeten Roman Suite française handelte. Von den fünf geplanten Teilen sind nur zwei entstanden. Das Buch schildert im ersten Teil die überstürzte Flucht von Pariser Intellektuellen und Angehörigen der Bourgeoisie angesichts der drohenden Eroberung der Stadt durch die Deutschen im Juni 1940. Der zweite Teil handelt von der Einquartierung eines deutschen Regiments in dem kleinen Ort Bussy im Jahr 1941 und von den Beziehungen der Besatzer zur einheimischen Bevölkerung. Im Mittelpunkt steht die beginnende Liebesbeziehung zwischen einem deutschen Offizier und einer Französin aus besseren Kreisen, in deren Haus er einquartiert ist. Mit dem Abzug der Truppe nach Russland endet die Geschichte. Die weiteren Teile sollten die Titel „Gefangenschaft“, „Schlachten“ und „Frieden“ tragen, wobei es zu „Gefangenschaft“ schon konkrete Notizen gibt. Der Roman erschien im Herbst 2004 in Frankreich und erhielt sogleich den renommierten Literaturpreis Prix Renaudot, der zum ersten Mal postum verliehen wurde. Die deutsche Übersetzung erschien im September 2005.[2]

Werke

  • David Golder. Übersetzung Dora Winkler. Fischer TB, Frankfurt 1997, ISBN 3-596-13383-1 (1931 verfilmt)
  • Der Ball. Originaltitel: Le Bal. Übersetzung und Nachwort Claudia Kallscheuer. Zsolnay, Wien 2005, ISBN 3-552-05361-1 (auch als Hörbuch in verschiedenen Sprachen, deutsch gelesen von Nina Hoss)
  • Der Fall Kurilow. Originaltitel: L'Affaire Courilof. Übersetzung: Dora Winkler. - München: btb, 2006, ISBN 978-3-442-73614-0
  • Jesabel. Originaltitel: Jézabel. Übersetzung Eva Moldenhauer. Knaus, München 2006, ISBN 3-8135-0282-1
  • Die Hunde und die Wölfe. Originaltitel: Les chiens et les loups, (Éditions Albin Michel, Paris 1940). Übersetzung Eva Moldenhauer. Knaus, München August 2007, ISBN 978-3-8135-0283-1
  • La vie de Tchekhov. Albin Michel, Paris 2005, ISBN 2226158472
  • Feuer im Herbst. (Originaltitel:Les feux de l’automne. Albin Michel, Paris 1957). Übersetzung Eva Moldenhauer. Knaus, München 2008, ISBN 978-3-8135-0317-3
  • Suite française. Übersetzung Eva Moldenhauer. Knaus, München 2005, ISBN 3-8135-0260-0
  • Le maître des âmes. Denoël, Paris 2005, ISBN 2-207-25764-9
  • Chaleur du sang. Denoël, Paris 2007, ISBN 978-2-207-25951-1
  • Herbstfliegen (Originaltitel: Les Mouches d'automne, Bernard Grasset, Paris 1931). Übersetzung Eva Moldenhauer. Manesse, Zürich 2008, ISBN 978-3-7175-4068-7

Literatur

  • Alexandra König: „Pour redonner à la vie ce goût âpre et fort“: Irène Némirovsky. Autorin der dreißiger Jahre In: Kroll, Renate [Hg.]: Gender studies in den romanischen Literaturen; Siegener Frauenforschungsreihe 7; Dipa, Frankfurt 1999, S. 95-113 ISBN 3-7638-0526-5
  • Martina Stemberger: Irène Némirovsky. Phantasmagorien der Fremdheit (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 566) Königshausen & Neumann, Würzburg 2006 ISBN 3-8260-3313-2
  • Philipponnat, Olivier & Lienhardt, Patrick: La vie d'I.N. (in frz. Sprache) Grasset-Denoel, Paris 2007 (die bislang umfassendste Biographie, 503 S. - Kurzrez. in NZZ 2. Februar 2008, S. 31) ISBN 2246687217
  • Alexandra König: Littérature feminine? - Französische Romanautorinnen der dreißiger Jahre. (Forum Europäische Literatur 3), m press, München 2005, ISBN 3-89975-512-X

Einzelnachweise

  1. Vgl. The nasty truth about a new literary heroine. Darauf die Antwort von Philipponnat/Lienhardt am 28. März 2008 – Zum Umgang mit dem jüdischen Anteil an Verantwortung für den Antisemitismus sind die Ausführungen von Hannah Arendt in ihrem Werk „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Antisemitismus, Imperialismus, totale Herrschaft“, München (Piper) 2001, S. 36-43 aufschlussreich.
  2. Stimmen zu Suite française


Weblinks


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