Nuri Bilge Ceylan

Nuri Bilge Ceylan
Nuri Bilge Ceylan

Nuri Bilge Ceylan (* 26. Januar 1959[1] in Istanbul) ist ein türkischer Filmregisseur, Drehbuchautor, Filmproduzent und Fotograf.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Ausbildung und erste Regiearbeiten

Nuri Bilge Ceylan wurde in Istanbul geboren und zog im Alter von zwei Jahren in die Provinz Çanakkale, in die Westtürkei, ehe er mit zehn Jahren wieder in seine Geburtsstadt zurückkehrte.[2] Ceylan studierte an der Bosporus-Universität Elektrotechnik und entschloss sich nach einer Reise zum Himalaya eine Militärlaufbahn einzuschlagen. Anderthalb Jahre diente er in einem Armeekorps in Anatolien und vertrieb sich die Zeit mit Lesen. Zu seiner Lektüre gehörte auch die Autobiografie von Roman Polański, die ihn nach dem Lesen dazu antrieb, eine Zukunft als Filmemacher anzustreben. Ceylan studierte später in Istanbul und London Filmwissenschaft und feierte 1995 sein Debüt als Regisseur mit dem Kurzfilm Koza, der im Wettbewerb bei den Filmfestspielen von Cannes 1995 um die Goldene Palme konkurrierte.

Drei Jahre nach Koza realisierte Nuri Bilge Ceylan den autobiografisch gefärbten Film Die Stadt. Das Drama, der erste Teil seiner Trilogie über die Unterschiede zwischen Land- und Großstadtleben[3] erzählt, aus der Sicht eines Kindes, den Alltag und das Erwachsenwerden in der türkischen Provinz. Schon mit seinem ersten Langspielfilm war Ceylan Erfolg bei Kritikern beschieden und Stadt wurde unter anderem auf der Berlinale 1998, dem Tokyo International Film Festival und dem Filmfestival von Istanbul preisgekrönt. Daran anknüpfen konnte der türkische Filmemacher ein Jahr später mit Bedrängnis im Mai, in dem er den jungen Muzaffer (gespielt von Muzaffer Özdemir), das Alter Ego von Ceylan, in den Mittelpunkt rückt. Muzaffer kehrt nach Anatolien in seine Heimatstadt zurück, um ein Filmprojekt mit seinen Familienmitgliedern zu realisieren. Dort wird der Filmemacher mit den Problemen von Eltern und Verwandten konfrontiert: sein Cousin träumt von einer Zukunft in Istanbul, während Muzaffers Vater droht, ein Stück Wald an das Katasteramt zu verlieren. Der stark autobiografisch gefärbte Film (Vater und Mutter werden von den Eltern des Regisseurs gespielt) wurde von der tageszeitung wegen seiner fast buddhistischen Ruhe und der ungewohnten Schnitttechnik gelobt.[4], während die New York Times das Werk mit den Arbeiten Abbas Kiarostamis verglich[5] Die Familie spielt eine zentrale Rolle für den türkischen Filmregisseur, sowohl thematisch als auch für seine Arbeitsweise. Oft besetzte er Verwandte in seinen Filmen und gibt in Interviews als Grund die große Vertrautheit an, die es überflüssig macht, viele Worte zu sagen.[6] Bedrängnis im Mai errang eine Reihe von internationalen Film- und Festivalpreisen, darunter den FIPRESCI-Preis bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises 2000 und die Auszeichnungen der Filmfestivals von Angers, Ankara, Antalya, Bergamo und Istanbul.

Erfolg mit „Uzak – Weit“

Den Durchbruch als Regisseur erzielte Ceylan 2002 durch die erneute Zusammenarbeit mit Muzaffer Özdemir und seinem Cousin Mehmet Emin Toprak an dem Drama Uzak – Weit (2002), dem letzten Teil seiner Trilogie. Hier agiert Özdemir abermals als „zweites Ich des Regisseurs“, als ambitionierter Fotograf Mahmut, der seinen Lebensunterhalt mit Werbefotos für Kataloge verdient. Der Besuch von Yusuf, einem jungen Verwandten aus der Provinz (gespielt von Mehmet Emin Toprak), bringt jedoch Mahmuts kleine Welt aus dem Gleichgewicht und stürzt ihn in eine existenzielle Krise. Yusuf versucht im jugendlichen Eifer vergeblich in der türkischen Großstadt eine Arbeit zu finden, um seine zurückgebliebene Familie zu ernähren.

Uzak – Weit feierte seine Premiere in der Türkei Ende des Jahres 2002 und war fast fünf Monate später im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes 2003 vertreten, wo er in der Gunst der Kritiker stand. Zwar musste sich Nuri Bilge Ceylans Film im Wettbewerb um die Goldene Palme dem Drama Elephant des US-Amerikaners Gus Van Sant geschlagen geben, wurde aber mit der zweitwichtigsten Auszeichnung, dem Großen Preis der Jury, belohnt. Als erste und bislang einzige türkische Akteure erhielten Hauptdarsteller Muzaffer Özdemir für den Part des ungehobelten Egoisten Mahmut und der 2002 verstorbene Mehmet Emin Toprak gemeinsam den Preis für den besten Schauspieler des Filmfestivals. 2004 wurde die Produktion als offizieller türkischer Beitrag für eine Nominierung bei der 76. Oscarverleihung in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film ausgewählt, gehörte aber nicht zu den späteren fünf nominierten Filmen. Auch in Deutschland, wo der Film erst drei Jahre nach seiner Entstehung veröffentlicht wurde, erhielt Uzak – Weit positive Kritiken. Kälte herrsche zwischen den Figuren, so die Süddeutsche Zeitung, die den Film mit Werken von Andrei Tarkowski[7] verglich, während die tageszeitung auf das 35-mm-Breitwandformat, die langsamen Schwenks und die elliptisch gebaute Montage hinwies. Diese würde ein Zeit- und Raumgefühl schaffen, das über die enge Sicht der Antihelden hinausweise.[8]

„İklimler“ und „Drei Affen“

Durch die Erfolge Nuri Bilge Ceylans, seines befreundeten Kollegen Zeki Demirkubuz (Yazgı, 2001) und Reha Erdem (Beş Vakit, 2006) wird mittlerweile von einer Renaissance des türkischen Kinos gesprochen, obwohl Ceylan dies verneint und die steigende Popularität türkischer Künstler mit der Nobelpreisauszeichnung Orhan Pamuks begründet.[2] 2006 war der Regisseur mit Jahreszeiten – Iklimler erneut im Wettbewerb der 59. Filmfestspiele von Cannes vertreten. Hier trat der Türke nicht nur als Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent in Erscheinung, sondern feierte auch sein Schauspieldebüt. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Ebru gibt er der erstarrten Ehe des Unidozenten Isa und der Fernsehproduzentin Bahar ein Gesicht, die dem westlichen Lebensstil frönen. Die New York Times lobte Ceylan als guten Schauspieler und als Filmemacher, der sich in der Darstellung der Ehe an den französischen und italienischen Film und dem modernen Autorenkino, im Besonderen dem von Michelangelo Antonioni, orientiere. Seine persönlichen Filme seien umgänglicher, würden aber der Filmsprache nichts neues hinzufügen[9]. Jahreszeiten – Iklimler brachte Ceylan 2006 den FIPRESCI-Preis in Cannes und die Regieauszeichnung beim Filmfestival von Antalya ein. Trotz des Lobes will er nicht mehr als Schauspieler vor der Kamera agieren und lehnte auch die Regie und die Hauptrolle für eine Filmbiografie über seinen bekannten Landsmann Yilmaz Güney höflich ab.[2]

2008 war Ceylan mit Drei Affen erneut im Wettbewerb der 61. Filmfestspiele von Cannes vertreten. Das Familiendrama, bei seiner Premiere vom Spiegel als „Spionagefilm unter Blutsverwandten“ gelobt, erzählt die Geschichte eines türkischen Familienvaters, der gegen Bezahlung die Fahrerflucht eines Politikers auf sich nimmt und eine Gefängnisstrafe antritt.[10] Drei Affen musste sich zwar bei der Vergabe der Goldenen Palme dem französischen Beitrag Entre les murs von Laurent Cantet geschlagen geben, wurde aber mit dem Regiepreis ausgezeichnet. Monate später wurde der Film als offizieller türkischer Beitrag für die Nominierung um den besten nichtenglischsprachigen Film bei der Oscarverleihung 2009 ausgewählt[11], gelangte aber nicht unter die fünf finalen Nominierten. 2009 wurde er in die Wettbewerbsjury der 62. Internationalen Filmfestspiele von Cannes berufen. Zwei Jahre später erhielt er mit Bir Zamanlar Anadolu`da (Once Upon a Time in Anatolia, 2011) seine vierte Einladung zum Filmfestival und gewann zum zweiten Mal den Großen Preis der Jury.[12]

Neben der Filmemacherei tritt Ceylan auch erfolgreich als Fotograf in Erscheinung. Seine Bilder wurden unter anderem in Istanbul, Thessaloniki, Granada und im Londoner National Theatre ausgestellt. 2005 gehörte Ceylan zur Jury des 42. Filmfestivals von Antalya, die Ahmet Ulucays Tragikomödie Schiffe aus Wassermelonen zum besten Film wählte.

Filmografie

  • 1995: Koza (Kurzfilm)
  • 1997: Die Stadt (Kasaba)
  • 1999: Bedrängnis im Mai (Mayıs Sıkıntısı)
  • 2002: Uzak – Weit (Uzak)
  • 2006: Jahreszeiten – Iklimler (İklimler)
  • 2008: Drei Affen (Üç maymun)
  • 2011: Bir Zamanlar Anadolu`da

Auszeichnungen (Auswahl)

  • 1998: Cagliari-Preis der Internationalen Filmfestspiele Berlin für Koza
  • 1998: FIPRESCI-Preis des Istanbul International Film Festivals für Die Stadt
  • 1998: Silberner Preis des Tokyo International Film Festivals für Bedrängnis im Mai
  • 1999: Regiepreis des Antalya Altın Portakal Film Festivali für Bedrängnis im Mai
  • 2000: Bester Film des Ankara Uluslararası Film Festivali für Bedrängnis im Mai
  • 2000: Bester türkischer Film, Publikumspreis, Goldene Tulpe und FIPRESCI-Preis des Istanbul International Film Festivals für Bedrängnis im Mai
  • 2000: FIPRESCI-Preis bei der Verleihung des Europäischen Filmpreises für Bedrängnis im Mai
  • 2001: Spezialpreis der Jury des Singapore International Film Festivals für Bedrängnis im Mai
  • 2001: Regiepreis des Buenos Aires Festival Internacional de Cine Independiente für Bedrängnis im Mai
  • 2001: Europäischer Jurypreis auf dem Premiers Plans – Festival d'Angers für Bedrängnis im Mai
  • 2002: Bester Film, Regie- und Drehbuchpreis des Antalya Altın Portakal Film Festivali für Uzak – Weit
  • 2003: Bester türkischer Film, Beste türkische Regie und FIPRESCI-Preis des Istanbul International Film Festivals für Uzak – Weit
  • 2003: Großer Preis der Jury der Internationalen Filmfestspiele von Cannes für Uzak – Weit
  • 2003: FIPRESCI-Preis des Festival Internacional de Cine de Donostia-San Sebastián für Uzak – Weit
  • 2003: Spezialpreis der Jury des Chicago International Film Festivals für Uzak – Weit
  • 2003: Bester Film und Kritikerpreis des Festival International Cinéma Méditerranéen Montpellier für Uzak – Weit
  • 2004: Regiepreis des Festival Internacional de Cine Contemporáno de la Ciudad de México für Uzak – Weit
  • 2006: Regiepreis des Antalya Altın Portakal Film Festivali für Jahreszeiten – Iklimler
  • 2006: FIPRESCI-Preis der Internationalen Filmfestspiele von Cannes für Jahreszeiten – Iklimler
  • 2007: Bester türkischer Film und Publikumspreis des Istanbul International Film Festivals für Jahreszeiten – Iklimler
  • 2008: Regiepreis der Internationalen Filmfestspiele von Cannes für Drei Affen
  • 2008: Regiepreis bei den Asia Pacific Screen Awards für Drei Affen
  • 2010: Großer Preis des Präsidialamtes für Kunst und Kultur der Republik Türkei [13]
  • 2011: Großer Preis der Jury der Internationalen Filmfestspiele von Cannes für Bir Zamanlar Anadolu`da

Weblinks

Fußnoten

  1. Cemal A Kalyoncu: Ürkek Ceylan Oscar yolunda. In: Aksiyon, 2. Juni 2008. Abgerufen am 28. Oktober 2008.  türkisch
  2. a b c vgl. Romney, Jonathan: The action man. In: ABC Magazine, 11. Februar 2007, ABC, S. 4
  3. vgl. Gottes Würfel : frisches Filmmern. In: die tageszeitung, 3. Februar 2005, Kultur, S. 5
  4. vgl. Winkler, Thomas: Das Glück liegt in der Ruhe. In: die tageszeitung, 19. Februar 2000, S. 29
  5. vgl. Mitchell, Elvis: Not Exactly Felix and Oscar, but an Odd Couple All the Same. In: New York Times, 15. Oktober 2003
  6. vgl. Hummel, Volker: Der den Schnee liebt... . In: epd Film 3/2009
  7. vgl. Wolken, die nicht weiterziehen. In: Süddeutsche Zeitung, 5. März 2005, Feuilleton, S. 19
  8. vgl. Lenssen, Claudia: Wortlose Männer. In: die tageszeitung, 3. Februar 2005, Kultur, S. 16
  9. vgl. Dargis, Manohla: The Spaces Between People, Even Lovers, in Images of Deceptive Simplicity. In: New York Times, 27. Oktober 2006
  10. vgl. Beier, Lars-Olav: Kot macht erfinderisch bei Spiegel Online, 16. Mai 2008 (aufgerufen am 17. Mai 2008)
  11. vgl. Offizielle Auswahlliste der fremdsprachigen Spielfilme mit englischen Titeln (englisch; aufgerufen am 22. Oktober 2008)
  12. vgl. Zusammenfassung bei indiewire.com, 22. Mai 2011 (aufgerufen am 22. Mai 2011)
  13. http://www.tccb.gov.tr/common/iframes/Haberler/HaberArsiv/HaberDetay.aspx?id=1157

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