Novemberverbrecher

Novemberverbrecher

„Novemberverbrecher“ war ein Schimpfwort und politischer Kampfbegriff der rechtsradikalen und deutschnationalen Parteien und Medien in der Weimarer Republik.

Inhaltsverzeichnis

Begriff

Der Ausdruck diente zunächst der gezielten Verleumdung von Vertretern der Novemberrevolution und der provisorischen Regierung, die am 11. November 1918 den Waffenstillstand von Compiègne ermöglicht und unterzeichnet hatten. Revolution und Friedensschluss wurden damit nach Analogie des Kriegsrechts als Verbrechen am deutschen Volk im Sinne von Landesverrat dargestellt.

Dies wurde seit 1919 fester Bestandteil der Dolchstoßlegende. Deren Vertreter wandten den Ausdruck nun gegen die prominenten Vertreter der ersten Regierungskoalition unter Führung der SPD, darüber hinaus gegen alle Linksparteien und alle Befürworter des Versailler Vertrags. Sie seien dem „im Felde unbesiegten“ deutschen Heer im Ersten Weltkrieg in den Rücken gefallen und hätten damit die Niederlage und deren Folgelasten zu verantworten. Der Ausdruck sollte die gewählten Repräsentanten der Republik zu Kriminellen stempeln und zeigte damit die Ablehnung dieser Demokratie.

Ursachen

Die scheinbare Plausibilität der Verleumdung hing mit der ausgebliebenen Entmachtung der für den Ersten Weltkrieg Verantwortlichen und der auch von den demokratischen Parteien großenteils aufrecht erhaltenen Kriegsunschuldslegende zusammen. Die deutsche Kriegsniederlage war unvermeidbares Ergebnis von Eroberungszielen (Annexionismus), verfehlter Militärstrategie (Schlieffenplan) und verfehlter Kriegführung (z.B. U-Boot-Krieg), besonders unter den Generälen der Obersten Heeresleitung (OHL), Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg, gewesen. Diese Faktoren hatten zur völligen wirtschaftlichen und militärischen Erschöpfung Deutschlands geführt. Gerade die Hauptverantwortlichen dafür wurden dann zu Urhebern und Verbreitern der Dolchstoßlegende mit Begriffen wie „Kriegsschuldlüge“ und „Novemberverbrecher“.

Daher sieht die Geschichtswissenschaft darin eine völlige Verkehrung der Tatsachen und gezielte Demagogie zur Ablenkung von einer historisch und politisch angemessenen Beantwortung der Kriegsschuldfrage.

Wirkungen

Vor allem für ehemalige Offiziere aus der kaiserlichen Reichswehr, die sich ab 1919 in neu gegründeten Vereinen und Verbänden sammelten, um die Weimarer Verfassung zu bekämpfen, diente diese Sprache und Legendenbildung zur Rechtfertigung eigener Gewaltbereitschaft, die sich in Putschversuchen, Terroranschlägen und Morden an politischen Gegnern zeigte. Diesen fielen unter anderen Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Kurt Eisner, Leo Jogiches, Walther Rathenau und Matthias Erzberger – der Unterzeichner des Waffenstillstands – zum Opfer.

Der Ausdruck wurde vor allem von der DNVP und NSDAP aufgegriffen und propagiert. Die damit verbundene Sichtweise wurde jedoch in weiten Teilen von Bevölkerung, Medien und Justiz geteilt. Selbst ein Politiker wie Friedrich Ebert, der weitergehende Revolutionsversuche mit geheimen Absprachen mit der OHL vereitelt und durch den Einsatz von republikfeindlichen Freikorps gewaltsam niedergeschlagen hatte, musste sich daher vor Gericht gegen Verleumdungen als Verbrecher und Landesverräter verteidigen (siehe Dolchstoßprozess).

Adolf Hitler benutzte den Begriff und die Dolchstoßlegende in den Wahlkämpfen vor 1933 bewusst für die NS-Propaganda. Diese wurde in der Zeit des Nationalsozialismus fortgesetzt und legitimierte dann Staatsgesetze mit, die die Oppositionsparteien und Organisationen der Arbeiterbewegung wirksam ausschalteten.

Literatur

  • Philipp Scheidemann: Köpfe in den Sand? Die wirklichen Novemberverbrecher! H. Riske und Co., Braunschweig 1930.
  • Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus. 2. durchgesehene und überarbeitete Auflage. Walther de Gruyter, Berlin u. a. 2007, ISBN 978-3-11-019549-1, S. 432.

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