Normenkontrolle

Normenkontrolle

Als Normenkontrolle bezeichnet man die Überprüfung von Rechtsnormen daraufhin, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Normenkontrollen werden von Gerichten vorgenommen und sind geschichtlich aus dem Richterlichen Prüfungsrecht hervorgegangen. Die Befugnis von Gerichten, Rechtsnormen auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu überprüfen, und die niederrangigen Normen im Falle der Nicht-Vereinbarkeit für nichtig zu erklären wird als Normenkontrollkompetenz bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Deutschland

In Deutschland ist die Normenkontrolle von nachkonstitutionellen (d.h. nach Erlass der jeweiligen Verfassung verabschiedeten), formellen (d.h. typischerweise vom Parlament verabschiedeten) Gesetzen grundsätzlich der Verfassungsgerichtsbarkeit vorbehalten (vgl. Art. 100 Abs. 1 GG). Das jeweilige Verfassungsgericht (Bundesverfassungsgericht oder Verfassungsgericht des Landes) überprüft in den Verfahren der abstrakten oder konkreten Normenkontrolle das Gesetz auf die Verfassungsmäßigkeit. Außerdem überprüft das Bundesverfassungsgericht (und je nach Landesrecht das Landesverfassungsgericht) im Rahmen von Verfassungsbeschwerden auch die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, entweder weil das Gesetz als Eingriffsermächtigung inzident geprüft wird oder weil die Verfassungsbeschwerde direkt gegen ein belastendes Gesetz (prinzipal) gerichtet ist.

Vorkonstitutionelles oder untergesetzliches Recht (Rechtsverordnung, Satzung) kann dagegen bei Entscheidungserheblichkeit nicht nur von jedem Fachgericht inzident auf seine Verfassungsmäßigkeit überprüft werden (Prüfungskompetenz), sondern wird von den Fachgerichten auch für den Einzelfall unangewendet gelassen, wenn sie von der Verfassungswidrigkeit überzeugt sind (Verwerfungskompetenz).

Verfassungsgerichtliche Normenkontrolle

Bei der abstrakten Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kann die Bundesregierung per Kabinettsbeschluss, eine Landesregierung oder ein Viertel der Mitglieder des Bundestages einen Antrag gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz in Verbindung mit § 13 Nr. 6 BVerfGG an das Bundesverfassungsgericht stellen. Prüfungsgegenstand ist jede Rechtsnorm mit Außenrechtsgehalt (daher keine Überprüfung von Verwaltungsvorschriften möglich), die mit Ausnahme von völkerrechtlichen Verträgen bereits verkündet wurde. Nach § 76 Abs. 1 BVerfGG muss der Antragssteller das angegriffene Recht für nichtig halten, Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG spricht jedoch von Zweifeln. Insoweit ist umstritten, ob die im Grundgesetz geforderten „Zweifel“ dem „für nichtig halten“ vorgehen.

Ähnliche Bestimmungen über die abstrakte Normenkontrolle sehen die Verfassungen der deutschen Länder vor; in Bayern (Popularklage) und Hessen (Volksklage) kann eine abstrakte Normenkontrolle auch von Bürgern beantragt werden.

Bei der konkreten Normenkontrolle legt ein erkennendes Gericht gemäß Art. 100 GG, § 13 Nr. 11 BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht ein Parlamentsgesetz zur Prüfung vor. Voraussetzung ist, dass es im zu entscheidenden Fall auf die Verfassungsmäßigkeit eines nachkonstitutionellen Gesetzes ankommt und das erkennende Gericht von der Unvereinbarkeit des Gesetzes mit der Verfassung überzeugt ist. Es trifft dann einen Vorlagebeschluss und setzt das Verfahren bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus. Untergesetzliche Rechtsnormen kann und muss das Fachgericht, wenn es von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt ist, ohne Vorlage selbst unangewendet lassen.

Verwaltungsgerichtliche Normenkontrollen

Das Verwaltungsrecht hat insbesondere nach § 47 Verwaltungsgerichtsordnung die Oberverwaltungsgerichte bzw. Verwaltungsgerichtshöfe mit der Aufgabe betraut, Normenkontrollen nach den Vorschriften des Baugesetzbuches – also insbesondere gegen Bebauungspläne – durchzuführen. Daneben kann - je nach Landesrecht - gemäß § 47 Absatz 1 Nr. 2 VwGO auch sonstiges untergesetzliches Landesrecht (insbesondere Rechtsverordnungen) vor den genannten Gerichten zum Gegenstand einer abstrakten Normenkontrolle gemacht werden. Die verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollen sind allerdings nicht popularklagefähig; der Antragsteller muss Betroffenheit in einem Recht geltend machen. Dies stellt allerdings nur eine Zulässigkeitshürde dar; ist die Antragstellung zulässig, überprüft das Gericht die Norm allgemein auf Rechtmäßigkeit, so dass auch eine Rechtswidrigkeit, die nicht auf einer Rechtsverletzung beruht, die Aufhebung der Rechtsnorm bewirken kann.

Liechtenstein

Ähnlich wie in Deutschland und Österreich wird im Fürstentum Liechtenstein in abstrakte und konkrete Normenkontrolle unterschieden.[1]

Es wird grundsätzlich in die Prüfung der

  • Verfassungsmässigkeit von Gesetzen (Gesetzesprüfung, Art 18 f StGHG),
  • Verfassungs-, Gesetz- und Staatsvertragsmässigkeit von Verordnungen (Verordnungsprüfung, Art 20 f StGHG),
  • Verfassungsmässigkeit von Staatsverträgen (Staatsvertragsprüfung, Art 22 f StGHG),

unterschieden (hinsichtlich der Prüfung von Staatsverträgen ist keine abstrakte Normenkontrolle vorgesehen).

Gesetzesprüfung

Bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit von Gesetzen entscheidet der Staatsgerichtshof über die Verfassungsmässigkeit von Gesetzen oder einzelner gesetzlicher Bestimmungen:

a) auf Antrag der Regierung oder einer liechtensteinischen Gemeinde;

b) auf Antrag eines Gerichts oder

c) von Amtes wegen, wenn und soweit er ein ihm verfassungswidrig erscheinendes Gesetz oder einzelne seiner Bestimmungen in einem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat,

und hebt das Gesetz oder einzelne seiner Bestimmungen auf, soweit dieses mit der Verfassung unvereinbar ist. Sind das Gesetz oder einzelne seiner Bestimmungen bereits außer Kraft getreten, dann stellt der Staatsgerichtshof deren Verfassungswidrigkeit fest (Art 19 Abs 2 StGHG).

Verordnungsprüfung

Über die Prüfung der Verfassungs- und Gesetzmässigkeit sowie über die Staatsvertragsmässigkeit von Verordnungen oder einzelnen Bestimmungen von Verordnungen entscheidet der Staatsgerichtshof:

a) auf Antrag eines Gerichts oder einer Gemeindebehörde,

b) von Amtes wegen, wenn und soweit er eine ihm verfassungs-, gesetz- oder staatsvertragswidrig erscheinende Verordnung oder einzelne ihrer Bestimmungen in einem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat;

c) auf Antrag von mindestens 100 stimmberechtigten Bürgern,

und hebt die Verordnung oder einzelne ihrer Bestimmungen auf. Sind die Verordnung oder einzelne ihrer Bestimmungen bereits außer Kraft getreten, dann stellt der Staatsgerichtshof ihre Verfassungs-, Gesetz- oder Staatsvertragswidrigkeit fest (Art 21 Abs 2 StGHG).

Staatsvertragsprüfung

Der Staatsgerichtshof entscheidet über die Verfassungsmässigkeit von Staatsverträgen oder einzelnen Bestimmungen von Staatsverträgen:

a) auf Antrag eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde, wenn und soweit diese einen ihnen verfassungswidrig erscheinenden Staatsvertrag oder einzelne seiner Bestimmungen in einem bei ihnen anhängigen Verfahren anzuwenden haben (Präjudizialität) und sie auf Unterbrechung des Verfahrens zur Antragstellung an den Staatsgerichtshof entschieden haben;

b) von Amts wegen, wenn und soweit er einen ihm verfassungswidrig erscheinenden Staatsvertrag oder einzelne seiner Bestimmungen in einem bei ihm anhängigen Verfahren anzuwenden hat.

Erkennt der Staatsgerichtshof, dass ein Staatsvertrag oder einzelne seiner Bestimmungen mit der Verfassung unvereinbar sind, dann hebt er ihre innerstaatliche Verbindlichkeit auf (Art 23 Abs 1 StGHG).

Österreich

Subjektiver Rechtsschutz

Da dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) das Aufhebungsmonopol für generelle Normen (Gesetze und Verordnungen) zukommt, kann der Rechtsunterworfene nur vor ihm eine Verletzung seiner subjektiven Rechte durch ein Gesetz oder eine Verordnung bekämpfen. Ihm stehen dafür zwei Möglichkeiten offen: Einerseits in Form eines Individualantrages an den Verfassungsgerichtshof und andererseits auf dem "Umweg" über die Bekämpfung eines Bescheides oder Urteils, die auf Grundlage der Verordnung oder des Gesetzes ergangen sind.

Der Individualantrag gibt dem Rechtsunterworfenen die Möglichkeit, direkt eine Verordnung oder ein Gesetz ohne einen Umweg über ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anzufechten. Der Individualantrag ist aber an bestimmte Voraussetzungen gebunden, die der Verfassungsgerichtshof streng auslegt. Zunächst setzt ein Individualantrag aktuelle und unmittelbare Beeinträchtigung des Antragstellers voraus. Die Unmittelbarkeit liegt insbesondere dann nicht vor, wenn bereits ein Bescheid oder ein Urteil die generelle Norm bereits individuell-konkret umgesetzt hat. Weiters ist eine aktuelle Beeinträchtigung des Antragstellers erforderlich, eine bloß potentielle Beeinträchtigung genügt nicht.

Neben diesen Voraussetzungen, die auch bei dem "Umweg" über die Bekämpfung eines Bescheides oder Urteils vorliegen müssen, prüft der VfGH außerdem die Zumutbarkeit eines regulären verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens, da der Individualantrag als lediglich subsidiärer Rechtsbehelf eingeführt wurde. Zumutbar ist ein Umweg nur dann, wenn dem Antragsteller entweder kein verwaltungsbehördliches oder gerichtliches Verfahren offen steht oder dieser Umweg mit besonders langwierigen, teuren oder aufwändigen Verfahren verbunden wären. In der ständigen Rechtsprechung hat der VfGH auch aussichtslose Bescheidanträge als zumutbar erachtet, sofern diesen keine teuren Unterlagen beigefügt werden müssen (bspw. bei einer Baugenehmigung). Jedenfalls unzumutbar ist es hingegen, sich zur Erwirkung eines Bescheides oder Urteils strafbar zu machen.

Aufgrund der strengen Auslegung der Unzumutbarkeit als Voraussetzung für den Individualantrag, kommt diesem in der Praxis nur geringe Bedeutung zu. Der häufigere Weg ist die Bescheidbeschwerde gegen einen letztinstanzlichen/-s Bescheid oder Urteil vor dem VfGH, in der die Verletzung in verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten durch den Bescheid oder das Urteil sowie eine Verletzung der Rechte durch Anwendung einer rechtswidrigen Norm behauptet werden kann.

Darüber hinaus sind alle Gerichte, die Unabhängigen Verwaltungssenate (UVS) und das Bundesvergabeamt legitimiert, Anträge auf Verordnungsprüfung durch den VfGH zu stellen, sofern die betreffende Verordnung präjudiziell (das heißt: für den Entschluss entscheidend) ist. Einen Antrag auf Gesetzesprüfung können neben den UVS und dem Bundesvergabeamt nicht alle Gerichte, sondern nur der Verwaltungsgerichtshof (VwGH), der Oberste Gerichtshof (OGH) und die zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenen Gerichte, stellen. Einen solchen Antrag kann der Rechtsunterworfene anregen, die Gerichte sind bei Zweifel über die Verfassungskonformität eines Gesetzes oder der Rechtmäßigkeit einer Verordnung auch von Amts wegen zu einem solchen Antrag verpflichtet.

Befindet der VfGH eine Norm für rechtswidrig, so tritt die Aufhebung mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft[2], sofern der VfGH nicht eine andere Frist bestimmt hat. Die Aufhebung wirkt lediglich für die Zukunft, auf die bereits verwirklichten Tatbestände findet weiterhin die alte Rechtslage Anwendung. Da aber ausnahmsweise in dem Fall, der zur Einleitung des Normenkontrollverfahrens geführt hat ("Anlassfall"), die als rechtswidrig aufgehobene Norm auch rückwirkend nicht anwendbar ist, steht der Beschwerdeführer anderen Rechtsunterworfenen gegenüber besser. Dies bezeichnet man als "Ergreiferprämie".

Einzelnachweise

  1. Siehe Art 15, 18 ff Staatsgerichtshofgesetz (StGHG), LGBl 32/2004.
  2. Art 139 Abs 5 B-VG.


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