Artikel 48

Artikel 48

Notverordnung ist eine gesetzesvertretende Anordnung der Exekutivgewalt im Krisenfall. Historisch wird im ähnlichen Sinne auch von Reichsexekution gesprochen. Die Begriffe Notverordnung und Notverordnungsrecht beziehen sich vor allem auf die Weimarer Verfassung, die in ihrem Artikel 48 dem Reichspräsidenten weitreichende Möglichkeiten zur Regierung im Ausnahmezustand gab (sog. Präsidialdiktatur). Die Verfassung sah für die Ausnahmebefugnisse eine Konkretisierung durch ein Ausführungsgesetz vor (Art. 48 Abs. 5). Da dieses aber nie erlassen wurde, blieben die Befugnisse aus Art. 48 sehr weit und unbestimmt.

Die Befugnisse aus Artikel 48 wurden durch die inhaltliche Unbestimmtheit stark von einer konkreten Regierungspraxis, von Entscheidungen des Staatsgerichtshofs und der herrschenden Lehrmeinung der Staatsrechtler geprägt. Die herrschende staatsrechtliche Meinung (Gerhard Anschütz) billigte dem Reichspräsidenten die Befugnis zum Erlass gesetzesvertretender Notverordnungen zu. Die abweichende Minderheitsmeinung (vertreten vor allem von Carl Schmitt, Erwin Jacobi und Hermann Heller) konnte sich nicht durchsetzen und wurde ausdrücklich aufgegeben.

Daher hatte ein Präsidialkabinett de facto die Macht, ohne das Parlament durch Notverordnungen zu regieren. Ursprünglich war nur an wirkliche Ausnahmesituationen gedacht worden; mit der zunehmenden Handlungsunfähigkeit des Parlaments entstand die Neigung, dieses Recht des Präsidenten quasi als Ersatzgesetzgebung zu verwenden.

Die erste "große" Notverordnung wurde 1930, kurz nach dem Sturz der Regierung Müller, erlassen. Zuvor hatten allerdings auch SPD-geführte Regierungen wiederholt vom Notverordnungsrecht Gebrauch gemacht, was schon durch Friedrich Ebert ermöglicht worden war.

Mit der Ernennung Heinrich Brünings zum Reichskanzler durch Paul von Hindenburg am 27. März 1930 wurde aber ein offener Bruch mit dem Parlamentarismus vollzogen. Das Notverordnungsrecht ermöglichte nun die Bildung von Präsidialregierungen, die ohne Vertrauen des Reichstags regieren konnten. Diese Praxis der Präsidialkabinette spielte beim Ende der Weimarer Republik eine wichtige Rolle. 1931 standen 34 vom Reichstag verabschiedeten Gesetzen 44 Notverordnungen gegenüber. Die wahrscheinlich bekannteste Notverordnung ist die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933.

Artikel 48 Weimarer Reichsverfassung

(1) Wenn ein Land die ihm nach der Reichsverfassung oder den Reichsgesetzen obliegenden Pflichten nicht erfüllt, kann der Reichspräsident es dazu mit Hilfe der bewaffneten Macht anhalten.

(2) Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reich die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen.

(3) Von allen gemäß Abs. 1 oder Abs. 2 dieses Artikels getroffenen Maßnahmen hat der Reichspräsident unverzüglich dem Reichstag Kenntnis zu geben. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichstages außer Kraft zu setzen.

(4) Bei Gefahr im Verzuge kann die Landesregierung für ihr Gebiet einstweilige Maßnahmen der in Abs. 2 bezeichneten Art treffen. Die Maßnahmen sind auf Verlangen des Reichspräsidenten oder des Reichstages außer Kraft zu setzen.

(5) Das Nähere bestimmt ein Reichsgesetz.

Siehe auch

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Artikel — (v. lat.), 1) so v.w. Articulus; 2) (Geschlechtswort), Wort, welches das Substantivum, bei dem es steht, genauer bestimmt od. individualisirt, indem es ausdrückt, daß dasselbe einen bestimmten Gegenstand unter den mehreren, die unter demselben… …   Pierer's Universal-Lexikon

  • Artikel — (lat. articulus „Abschnitt“, „Teil“ (einer Rede)) bezeichnet: Artikel (Wortart) oder Geschlechtswort, in der Grammatik Wörter in Verbindung mit einem Substantiv und dieses näher bestimmend als Gebrauchsgut eine Sonderform einer Ware einen Text zu …   Deutsch Wikipedia

  • Artikel — Artikel, das Geschlechtswort, das im Deutschen vor das Hauptwort gesetzt wird, und dessen Eigenthümlichkeit und Selbstständigkeit bezeichnet. Es gibt einen bestimmten (der, die, das,) und einen unbestimmten (ein, eine, ein,) Artikel. Manche… …   Damen Conversations Lexikon

  • Artikel — Sm Warengattung, Aufsatz, Geschlechtswort std. (13. Jh.) Entlehnung. Entlehnt aus l. articulus Glied, Abschnitt , einem Diminutivum zu l. artus Gelenk, Glied . Das Wort wird zunächst in die Kanzleisprache entlehnt als Abschnitt eines Vertrags ,… …   Etymologisches Wörterbuch der deutschen sprache

  • Artikel — Artikel: Lat. articulus »kleines Gelenk; Glied; Abschnitt; Teilchen«, eine Verkleinerungsbildung zu lat. artus »Gelenk; Glied« (vgl. hierüber das Fremdwort ↑ Artist), gelangte in spätmhd. Zeit in die deutsche Kanzleisprache mit der Bed.… …   Das Herkunftswörterbuch

  • Artikel — [Aufbauwortschatz (Rating 1500 3200)] Auch: • Ware • Gegenstand • Zeitungsartikel • Beitrag Bsp.: • Haushaltsartikel gibt es im dritten Stock. • …   Deutsch Wörterbuch

  • Artikel — (lat.), ein Redeteil, den viele Sprachen dem Substantiv beifügen, um den Begriff als einen bestimmten (der Mann) oder als einen unbestimmten (ein Mann) vorzustellen. Der Name stammt aus dem Latein (articulus) und ist eine Übersetzung des zuerst… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Artikel — (vom lat. articŭlus), Gelenk, Glied, Teil eines gegliederten Ganzen (einer Schrift, eines Dokuments, des christl. Glaubens etc.); Warengattung; in der Grammatik das Geschlechtswort: bestimmter A. (der, die, das) und unbestimmter A. (ein, eine,… …   Kleines Konversations-Lexikon

  • Artikel — (articulus, Gelenk, Glied), in vielen Sprachen ein dem Nomen vorgesetztes Wort, dessen eigentliche Bestimmung ist, den einzelnen Gegenstand aus der Masse der Gattung herauszuheben. Deßwegen ist er ursprünglich gar nichts anderes, als ein… …   Herders Conversations-Lexikon

  • Artikel — § 58. Das Vorhandensein des Artikels ist eine Besonderheit, die die deutsche Sprache von vielen anderen Sprachen, darunter auch von der russischen, unterscheidet. Der Artikel bezeichnet die grammatischen Merkmale des Substantivs und gibt die… …   Deutsche Grammatik

  • Artikel — Paragraf; Absatz; Passage; Passus; Paragraph; Abschnitt; Textabschnitt; Kapitel; Textstelle; Begleiter; Geschlechtswort; Paper ( …   Universal-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”