Neuere Geschichte

Neuere Geschichte
Weltkarte aus der Ptolemäus-Ausgabe von 1548

Die Neuzeit ist eine der drei historischen Großepochen. Sie folgt auf das europäische Mittelalter und dauert bis heute an.

Die Geschichtswissenschaft ist über den genauen Beginn uneins. Meist nennt sie entweder die osmanische Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 oder die Entdeckung Amerikas 1492, früher wurde in Deutschland oft Luthers Reformation von 1517 angeführt. Weitere genannte Zäsuren sind die Renaissance, der Humanismus und die Entwicklung des Buchdrucks in Europa mit beweglichen Schriftzeichenstempeln. Gängigerweise verwendet man in der heutigen Geschichtswissenschaft das runde Jahr 1500 als Beginn.

Inhaltsverzeichnis

Periodisierung

Beginn

Schon Philipp Melanchthon vertrat die Datierung 1453: Der Fall von Konstantinopel als Beginn der Neuzeit führte zur Flucht von Gelehrten nach Italien und dort zum Aufblühen des Humanismus. Dessen Verbreitung förderte die Erfindung der Buchdruckerkunst um 1450 wesentlich und gab der kulturgeschichtlichen Epoche der Renaissance weitere Impulse. Manche Historiker kehren heute wieder zu dieser Auffassung zurück. Weitere Eckdaten sind für den Beginn die Reformation durch Martin Luther, der Entdeckung Amerikas 1492 sowie die beginnende Renaissance.

Ideengeschichtlich bestimmten einige historisch arbeitende Philosophen wie Wilhelm Kamlah und Jürgen Mittelstraß den Beginn der Neuzeit sehr viel später auf die Zeit um 1600. Ihr Ausgangspunkt ist die bis dahin etablierte Ausbildung der neuzeitlichen Wissenschaft im Sinne der modernen, prototypisch in der Physik ausgebildeten wissenschaftlichen Forschung als methodisch durchgeklärte Verbindung von mathematischer Theorie und technischer Empirie (Kamlah), die in der oberitalienischen Werkstättentradition entwickelt und Grundlage des modernen Szientismus wurde.

Unterteilung

In der Periodisierung der Geschichtswissenschaft wird die Neuzeit wiederum zeitlich aufgeteilt in:

  • die Frühe Neuzeit von der europäischen Entdeckung Amerikas bis zur Französischen Revolution 1789 und
  • die Neuere und Neueste Geschichte für den daran anschließenden Zeitraum bis zur Gegenwart (mit zeitlich und räumlich fließenden Übergängen), im geistesgeschichtlichen Kontext Moderne genannt. Dies ist der gängige zusammenfassende Begriff für diese Zeit, seltener ist "Späte Neuzeit". Die Epoche wird näher unterteilt in
    • Neuere Geschichte für die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg und der russischen Oktoberrevolution, und
    • Neueste Geschichte für die Zeit seitdem, bzw. Zeitgeschichte, die jüngste Geschichte, aus der es noch Zeitzeugen gibt.[1]
Titelblatt von Galileis Dialog: Aristoteles, Ptolemäus und Kopernikus diskutieren

Bedeutung

Eine wesentliche Rolle spielte die Entdeckung des Seewegs nach Indien und Ostasien. Damit wurden wesentliche Waren- und Finanzströme auf neue Handelswege umgeleitet, der Aufschwung von Lissabon und Antwerpen im 16. Jahrhundert als Welthandelsplätze begründete und die Voraussetzungen geschaffen, dass asiatische Waren (nicht nur Gewürze) den Europäern nun auch ohne Zwischenhändler, d.h. auf direktem Wege zugänglich wurden.

Die Ablösung des geozentrischen (Ptolemäus) durch das heliozentrische Weltbild (Nikolaus Kopernikus) und die mit der Eroberung Konstantinopels durch das Osmanische Reich verbundene Flucht vieler griechischer Gelehrter in den Westen bildeten weitere Markierungspunkte auf unterschiedlichen Ebenen, die den Paradigmenwechsel einer Zeitenwende begründen; die Kugelgestalt der Erde war allerdings schon im Altertum (Aristarchos von Samos) und Mittelalter bekannt.

Somit werden der Beginn des überseeischen Kolonialismus (und die beginnende Vorherrschaft Westeuropas) als Übergang zur neuen Zeit angesehen. Gerade die Revolutionierung des geographisch-astronomischen Weltbildes läutete das Ende jenes ideologischen Monopols ein, das die Kirche im Mittelalter innegehabt hatte. Das Deutungsmonopol ging von der Kirche schrittweise zu den Naturwissenschaften über. Die wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen wiederum (Krise des Feudalsystems) erlaubten den Beginn der Reformation, die ebenfalls die beiden Epochen voneinander abgrenzt.

Kritik

Die Unterteilung in Antike, Mittelalter und Neuzeit (ab 1500) ist tief in der Geschichtswissenschaft verwurzelt, dennoch wurde sie auch wiederholt kritisiert und hat daher ihre absolute Trennwirkung verloren. Überhaupt ist es fraglich, inwieweit sie außerhalb der europäischen Geschichte von Bedeutung ist. Viele Entwicklungen ziehen sich lange hin und überschneiden sich mit früher oder später verorteten.

In der Mediävistik wird vor allem auf die Wende um 1300 hingewiesen, nachdem die Phase der Städtegründungen in Europa vorläufig vollendet war. Damit einher gingen eine Ausbreitung der Schriftlichkeit, technische Innovationen und der Beginn moderner Verwaltung. Der Kulturhistoriker Egon Friedell sah beispielsweise die Pestpandemie seit 1348 als Inkubationszeit der Neuzeit an, der Philosoph Ferdinand Tönnies meint[2], dass die Wurzeln der Neuzeit viel weiter ins Mittelalter zurückreichen; für ihn ist der Beginn des lombardischen Fernhandels bereits frühneuzeitlich (vgl. die damalige Erfindung der Doppelten Buchführung).

Soziologie

Die Soziologie führt die Debatte um eine Analyse dieser Prozesse meist mit dem Begriff der "Moderne", auch "reflexive Moderne" usw. (statt "Neuzeit"), mit oft changierender Bedeutung (selbst z.B. im Werk Max Webers). Von Soziologen werden weniger Ereignisse als gesellschaftliche Prozesse betrachtet, mit Ausnahme entscheidender Dokumente wie dem Einsetzen der Moderne in den Schriften der Aufklärung und der Französischen Revolution 1789.

Ferdinand Tönnies hingegen benutzte "Neuzeit" genau im Sinne seines theoretischen Werks Gemeinschaft und Gesellschaft als exakten Gegenbegriff zum "Mittelalter": In Letzterem seien die Menschen geneigt gewesen, alle sozialen Kollektive als "Gemeinschaften" zu verstehen, ganz anders als in der Neuzeit, wo sie diese sämtlich eher als "Gesellschaften" wahrnähmen. Im Mittelalter sei also ein großer Fernhandels- und Bankkonzern wie der Templerorden eher als religiöse "Gemeinschaft" aufgefasst worden, in der Neuzeit sogar die Ehe als rein "gesellschaftliches" Geschöpf eines Vertrages.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Fuchs/Raab: Wörterbuch Geschichte, 13. Auflage, München: dtv, 2002, s.v. "Neuzeit".
  2. Geist der Neuzeit 1998 (1935).

Literatur


Weblinks


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