Neoklassische Theorie

Neoklassische Theorie
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Unter Neoklassik oder unter neoklassischer Theorie versteht man eine Familie von wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen, die seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden. Die Neoklassik löste historisch insbesondere die durch Adam Smith begründete klassische Nationalökonomie ab. Die Neoklassik dominierte das (liberale) ökonomische Denken bis in die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, bis der Keynesianismus für einige Jahrzehnte eine dominierende Rolle übernahm. Nachdem dieser in den 1970er Jahren langsam wieder verdrängt wurde, erlebte neoklassisches Denken eine Renaissance.

Inhaltsverzeichnis

Grundannahmen und Modelle

Die Neoklassik ist keine einheitliche Strömung; insbesondere ist „Routineforschung“ innerhalb der Neoklassik von den essentiellen Bausteinen des heutigen neoklassischen „Mainstreams“ zu unterscheiden.[1] Unter Bezug auf Fritsch nennt Hampicke die folgenden fünf konstitutiven Merkmale der „naiven“ „Lehrbuch“-Neoklassik:

  • Methodischer und normativ-politischer Individualismus;
  • Utilitarismus im Sinne einer teleologisch-konsequentialistischen Ethik, der Trennung von Werturteilen und Instrumenten, einer Orientierung am menschlicher Nutzenstiftung und eines abwägenden Kalkulierens;
  • Annahme individuell rationalen Verhaltens (d.h.: Vorliegen einer vollständigen Präferenzordnung, Transitivität der Präferenzen);
  • Tauschparadigma, konsequentes Denken in Opportunitätskosten;
  • Glauben an die Unsichtbare Hand und das Substitutionsparadigma.

Diese fünf Axiome könnten jedoch verändert werden, wenn sich die hinter ihnen stehenden empirischen Annahmen als grob unzutreffend erweisen. Als wichtige Felder von Einschränkungen und Ergänzungen nennt Hampicke

  • die Möglichkeit freiwilliger Kontrakte, mit denen die Individuen ihre Handlungsfreiheit zu Gunsten kooperativen oder koordinierten Verhaltens einschränken;
  • die Möglichkeit einer „Government-Assisted Invisible Hand“, die Markt-förmige Allokationen dort ermöglicht, wo diese aufgrund prohibitiver Transaktionskosten nicht spontan erreicht werden;
  • Einführung institutionsökonomischer Analyseansätze (strategisches Verhalten, unvollständige Information, „Macht“ in Tauschbeziehungen, etc.)

Auch bei Verwendung „kollektiven“ Verhaltens als Erklärung werde jedoch niemals der Boden des methodischen Individualismus verlassen.

Homo oeconomicus

Die zentrale Illustration der Annahme der neoklassischen Theorie ist das Modell des „Homo oeconomicus“. Dabei handelt es sich um ein fiktives Wirtschaftssubjekt, das feststehende Präferenzen hat und rational handelt in dem Sinne, dass es unter gegebenen Alternativen stets diejenige auswählt, die seinen eigenen Nutzen maximiert.[2][3] Zu beachten ist hier, dass „Nutzen“ empirisch aus der Analyse von beobachteten Entscheidungen zwischen Alternativen rekonstruiert wird, ohne dass diesen Entscheidungen im ethischen Sinne eigennützige Motive unterstellt werden müssen.

Das Prinzip rationalen Verhaltens ist auf zwei Institutionen übertragen worden:

  • die Haushalte, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten (bestimmt durch gegebene Preise, Löhne und sonstiges Einkommen) die nutzenmaximierende Alternative (das Haushaltsoptimum) wählen.[3]
  • die Unternehmen, welche unter den jeweiligen Bedingungen wie vollständige Konkurrenz, Oligopol, Monopol etc. und gegebener Technologie die Produktion auswählen, die dem Unternehmensziel (häufig, aber nicht notwendigerweise, Gewinnmaximierung) am besten entspricht.

Neoklassik als Theorie der Optimierungsentscheidungen

Zusammengenommen führt die Neoklassik mit Hilfe der Marginalanalyse alles wirtschaftliche Geschehen auf individuelle Optimierungsentscheidungen zurück: Unternehmen maximieren ihren Profit, woraus sich die Faktornachfragekurven und Güterangebotskurven ergeben. Haushalte maximieren ihren Nutzen, woraus sich die Faktorangebotskurven und Konsumgüternachfragekurven ergeben.

Ausgehend von diesem von Leon Walras entwickelten Grundprinzip, verwendet die neoklassische Theorie mathematische Methoden, die oft als „Marginalismus“ bezeichnet werden. Indem Carl Menger, Friedrich Wieser und Eugen Böhm-Bawerk das Grenzkalkül einführten, haben sie gewissermaßen zweihundert Jahre nach Newton und Leibniz die Differentialrechnung neu entdeckt.

Aus dem Grundprinzip von Walras ergibt sich, dass die neoklassische Theorie grundsätzlich als ein System von Optimierungsaufgaben unter Nebenbedingungen aufgestellt und mit den mathematischen Methoden der Maximierung (zum Beispiel der Lagrangemethode) analysiert werden kann. Dadurch ergeben sich Optimierungsbedingungen, wie das Zweite Gossensche Gesetz oder die Wertgrenzproduktregel.

Im Laufe der Entwicklung wurde dieses Grundprinzip verfeinert, indem auch das Verhalten innerhalb des Haushaltes (Ökonomische Theorie der Familie von Gary Becker) und innerhalb des Unternehmens (Prinzipal-Agenten-Theorie) als Optimierung betrachtet wurde. Außerdem wird der Ansatz auf weitere Bereiche wie Politik (Neue politische Ökonomie) oder Rechtssystem ausgedehnt.

Vollkommener Markt

Viele Modelle der neoklassischen Theorie gehen von vollkommenen Märkten aus, und zwar sowohl zur Untersuchung realer Märkte als auch als Referenz im Vergleich zu Modellen unvollständiger Konkurrenz. Dabei wird angenommen, dass der Markt die Preise vorgibt und der Unternehmer als Mengenanpasser reagiert.

Es werden jedoch auch Modelle unvollständiger Konkurrenz analysiert:

  • Monopol (Monopson): Es gibt für das betrachtete Gut nur einen Anbieter (bzw. Nachfrager). Durch die vom Produzenten angebotene (bzw. nachgefragte) Menge wird der Preis bestimmt.
  • Duopol, Oligopol: Es existieren zwei oder mehrere Anbieter. Um diesen Fall zu analysieren, müssen weitere Annahmen über das strategische Verhalten der Unternehmen gemacht werden.

Weitere Standardannahmen

  • Information und Informationsgewinnung: Grundmodelle der Neoklassik gehen von vollständiger Information aus. Diese Annahme wird aber in vielen Modellen ersetzt durch beschränkte Information. Außerdem kann Informationsgewinnung integriert werden, indem Suchkosten und Transaktionskosten berücksichtigt werden.
  • Keine Externalitäten: Produktionsentscheidungen eines Unternehmers wirken nur über den Markt auf den Konsum bzw. die Produktion anderer Individuen. Die Umweltökonomik kann als jenes Feld der Neoklassik bezeichnet werden, das systematisch in Bezug auf Umweltexternalitäten auf diese Standardannahme verzichtet.
  • Private Güter: Die betrachteten Güter stiften nur dem Nutzen, der sie besitzt (Rivalitätsprinzip). Alle anderen Individuen können durch rechtliche und/oder technische Maßnahmen vom Konsum ausgeschlossen werden (Ausschlussprinzip). Das Modell kann aber auf öffentliche Güter (Kollektivgüter) erweitert werden.

Auch für die Analyse von institutionellen Gegebenheiten wie Verträgen, Privateigentum, Unternehmen, Wahlsystemen und Verfassungen im Rahmen der Neuen Institutionenökonomik werden einige der Zusatzannahmen aufgehoben.

Vorteile

Die neoklassiche Modellierung erlaubt eine (mathematisch exakte) Berechnung von Größen wie Preis, abgesetzte Menge etc. Diese lassen sich zur Vorhersage nutzen und machen die Theorie falsifizierbar. Im Unterschied zur Keynsianischen Makroökonomik beruht die Neoklassische Makroökonomik nicht auf Annahmen an Aggregatsgrößen, sondern auf Annahmen an individuelles Verhalten, die Aggregatsgrößen errechnen sich aus diesen modellintern.[4] Die mathematische Simplizität des Grundmodells erlaubt eine breite Fülle von Erweiterungen. Ebenso dient das neoklassische Modell als Vergleichsmaßstab für weiterführende Theorien (welche zum Teil die Grundannahmen des Modells lockern).

Nachteile

Da die Bestimmung des Nutzens empirisch erfolgt (es wird angenommen, dass jede tatsächliche Entscheidung eines Konsumenten optimal ist), lassen sich mit dem neoklassischen Modell beinahe beliebige Handlungen erklären. Präzisere Vorhersagen ergeben sich teilweise erst durch weitere Annahmen an die Präferenzen (z.B. Monotonität oder Quasilinearität[5]), welche jedoch in der Realität nicht gegeben sein müssen. Realitätsnahe Annahmen sind jedoch eventuell mathematisch komplex, bzw. unlösbar, und werden daher nicht getroffen.

Zentrale Thesen

Die Neoklassische Theorie lieferte mit ihrer marginalistischen Betrachtung die theoretischen Grundlagen für die Auflösung des Wertparadoxons in der klassischen Nationalökonomie. Der Wert (ausgedrückt als Preis) eines Gutes ergibt sich danach aus seinem Grenznutzen (Nachfrage) und seinen Grenzkosten (Angebot).

Von der klassischen Nationalökonomie hob sich die Neoklassik unter anderem durch die verschobene Fragestellung ab: Paradigma der Klassik war die Produktion: Sie fragte nach dem Ursprung, dem Wachstum und der Verteilung des wirtschaftlichen Reichtums in der Gesellschaft. Paradigma der Neoklassik ist der Tausch (Handel) zwischen rationalen Individuen: Sie fragt nach der optimalen Verteilung (Allokation) gegebener knapper Ressourcen auf verschiedene Verwendungen und Individuen mit festen Interessen und vorgegebener Ausstattung an Gütern und Fähigkeiten.

Die Verteilungstheorie folgt der Grenzproduktivität und nicht der Arbeitswerttheorie.

In der Neoklassik gibt es eine scharfe Trennung zwischen dem realen Sektor einer Wirtschaft, in dem die relativen Preise aller Güter und Produktionsfaktoren, die Produktionsmengen der verschiedenen Konsumgüter und die Verteilung (Allokation) der Produktionsfaktoren auf die Produktion verschiedener Güter bestimmt wird, und dem monetären Sektor, in dem letztlich nur die Geldpreise bestimmt werden, und von dem keine (längerfristigen) Wirkungen auf den realen Sektor ausgehen. Diese realwirtschaftliche „Neutralität des Geldes“ findet ihre theoretische Erklärung in der Quantitätstheorie des Geldes.

Gleichgewicht

Weiteres zentrales Element der Neoklassik ist die Gleichgewichtsanalyse. Ökonomische Analyse wird wesentlich als die Analyse von Märkten im Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage verstanden: Sei es (bei Léon Walras) im Sinne eines instantanen allgemeinen Gleichgewichts auf allen Märkten (bestimmt durch die Lösung eines Systems von Gleichungen), oder sei es (bei Alfred Marshall) im Sinne von partiellen Gleichgewichten auf den jeweils betrachteten Märkten in verschiedenen Zeithorizonten (etwa sehr kurzfristig zur Bestimmung von Marktpreisen, oder langfristig zur Bestimmung von normalen Preisen).

Die Neoklassische Theorie geht grundsätzlich von der Funktionsfähigkeit und Stabilität marktwirtschaftlicher Systeme aus. Auf allen Märkten herrscht ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, wodurch auch die Preise aller Konsumgüter und Produktionsfaktoren bestimmt sind. Störungen und Krisen werden auf Unvollkommenheiten des Marktes zurückgeführt, der Markt findet nach Beseitigung dieser Unvollkommenheit wieder in ein Gleichgewicht (siehe auch Allgemeine Gleichgewichtstheorie).

Eine Konsequenz aus dieser Kombination von individueller Optimierung und Gleichgewichtsdenken ist die Unmöglichkeit von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit und Überproduktion, solange kompetitive Märkte nicht durch staatliche Intervention oder andere Verzerrungen (zum Beispiel von Gewerkschaften erzwungene überhöhte Löhne) in ihrer Funktion behindert werden. Die Neoklassik sieht damit das saysche Theorem immer erfüllt, das allgemeine (gesamtwirtschaftliche) und längerfristigere Ungleichgewichte ausschließt, da sich jedes (gesamtwirtschaftliche) Angebot auch seine Nachfrage schaffe. Im Blick auf den Kapitalmarkt setzt dies voraus, dass über den Zins als Preis des Kapitals auch Sparen und Investition sich im Gleichgewicht befinden.

Analysemethoden

Die Neoklassische Theorie analysiert die Ökonomie durch zwei grundsätzlich unterschiedliche Methoden, die Positive Theorie und die Normative Theorie.

Positive Theorie

Die Positive Theorie geht davon aus, dass die Ökonomie durch die gemachten Grundannahmen gut modelliert ist, leitet aus diesen Annahmen mit der Mathematik Schlussfolgerungen ab und überprüft die Gültigkeit der Ergebnisse mit ökonometrischen Methoden. Bei der Analyse stehen dabei Gleichgewichtskonzepte im Vordergrund. In dieser Weise arbeiten zum Beispiel die Allgemeine Gleichgewichtstheorie und die Spieltheorie.

Normative Theorie

Die Normative Theorie versucht einen optimalen Zustand für eine neoklassisch modellierte Gesellschaft zu bestimmen. Dabei entsteht das Problem, dass entsprechend der Grundannahme des homo oeconomicus sehr viele individuelle Optimierungsbedingungen zu betrachten sind, die in aller Regel nicht deckungsgleich sind, da zum Beispiel die Haushalte um die gleichen Güter und Unternehmen um die gleichen Faktoren konkurrieren. Um dieses Problem zu lösen gibt es grundsätzlich zwei Vorgehensweisen, zu einem monokriteriellem Problem zu kommen:

  • Wohlfahrtsfunktion: Man aggregiert die Nutzenfunktionen der Haushalte zu einer Nutzenfunktion der Gesellschaft, der sogenannten Wohlfahrtsfunktion. Das stößt auf Probleme, da Kenneth Arrow mit dem Arrow-Theorem gezeigt hat, dass es keine solche Aggregation gibt, wenn bestimmte, meist als unverzichtbar angesehene Grundannahmen, erfüllt sein sollen. Diese kritisierte normative Anwendung der Wohlfahrtsfunktion ist von Amartya Sens deskriptiver Anwendung der Wohlfahrtsfunktion zu unterscheiden: Hier dient die Wohlfahrtsfunktion bei der statistischen Untersuchung von Nutzfunktionsverteilungen als Alternative zum Median.
  • Paretokriterium: Man maximiert die Zielfunktion eines (beliebigen) Individuums unter Konstanthalten der Ziele aller anderen Individuen und gelangt damit zum Pareto-Kriterium: Ein Zustand ist optimal im Sinne des Paretokriteriums, wenn sich keiner mehr verbessern kann, ohne dass sich irgendeiner verschlechtert. Die Anfangsverteilung ist nicht relevant. Dieser Ansatz stößt dann auf ein Problem, wenn eine absolute Nicht-Verschlechterung der Nutzfunktion eines Menschen seine Situation relativ doch verschlechtert. Das ist immer dann der Fall, wenn die Einflussmöglichkeiten von Menschen anteilig zu den ihnen zugeordneten Nutzenfunktionen verteilt sind.

Verknüpfung von Positiver und Normativer Theorie

Für den Fall der vollständigen Konkurrenz stellen die Hauptsätze der Wohlfahrtstheorie eine Verknüpfung von Gleichgewichten und Pareto-Optima her.

Historische Entwicklung

Die Entstehung der Neoklassik ist engstens mit der so genannten marginalistischen Revolution verbunden: zunächst die Übertragung der marginalen Analyse auf die Nachfrageentscheidungen von Haushalten. Die resultierende Grenznutzentheorie der Konsumnachfrage und des Wertes wurde ungefähr gleichzeitig und unabhängig voneinander um 1870 von William Stanley Jevons in England, Carl Menger in Österreich und Léon Walras in der Schweiz entwickelt. Damit wurde die klassische Wert- und Preistheorie (letztlich eine reine Produktionskostentheorie) durch eine subjektive Werttheorie abgelöst bzw. ergänzt.

Mit der Weltwirtschaftskrise geriet die Neoklassik in eine Glaubwürdigkeitskrise, da ihre Hauptströmung weder eine zufriedenstellende Erklärung für eine so schwerwiegende Krise zu geben schien, in der die Selbstheilungskräfte des Marktes zu versagen schienen, noch auch erfolgversprechende wirtschaftspolitische Empfehlungen nahelegte. Diese Lücken füllten zunächst John Maynard Keynes mit seiner Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes und der darauf aufbauende Keynesianismus, die sowohl eine systematische Erklärung der Möglichkeit von längerfristigen Unterbeschäftigungsgleichgewichten als auch Hinweise auf wirtschaftspolitische Wege aus solchen Krisen versprachen.

Dies bedeutete jedoch keineswegs ein Ende der Neoklassik: Zum einen überlebte neoklassisches Denken in der Mikroökonomie, die man in ihrem Kern als die formal immer vollkommenere Entwicklung und Ausweitung auf neue Fragestellungen der Grundintuitionen der Neoklassik verstehen kann, zum anderen erlebte neoklassisches Denken eine Renaissance auch in der Makroökonomie nachdem in der Folge der siebziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts der Keynesianismus seinerseits in eine Glaubwürdigkeitskrise geriet.

Kritik

In der Neuen Institutionenökonomik, so etwa in der Transaktionskostentheorie oder der Prinzipal-Agent-Theorie, werden Faktoren wie asymmetrische Information und Opportunismus berücksichtigt. Außerdem ist begrenzte Rationalität häufig eine realitätsnähere Annahme als die des vollständig rationalen Homo oeconomicus.

Ökonomen wie Joan Robinson und Edward Hastings Chamberlin versuchten mit dem Modell der unvollständigen Konkurrenz ein zutreffenderes Bild der Realität zu entwerfen.

Vertreter der Umweltökonomik werfen der Neoklassik vor, zur Ignoranz des klassischen Produktionsfaktors Boden zu tendieren, in dem sich die ökologische Begrenztheit menschlichen Wirtschaftens spiegle. Mit grundsätzlicherer Kritik an der Natur-, Macht- und Gerechtigkeitsvergessenheit der Neoklassik bemüht sich die Ökologische Ökonomik um eine ökonomische Theorie nachhaltiger Entwicklung.

Joseph Schumpeter und andere lehnten die statische Betrachtungsweise der Neoklassik ab, da sie die Dynamik der wirtschaftlichen Prozesse nur unzureichend erklären könne.

Vereinzelt werden auch sämtliche von der Neoklassik getroffene Annahmen in Frage gestellt. Bedeutsam hierfür ist die Schrift Piero Sraffas „The Law of Returns under Competitive Conditions“ (1926), in der Sraffa vor allem die Annahme eines fallenden Grenzprodukts der Arbeit kritisiert, was weitreichende Konsequenzen für alle weiteren Annahmen der Neoklassik mit sich bringt. In 1960er Jahren kritisierten Sraffa und weitere Forscher auch die neoklassische Annahme eines einheitlichen Kapitals ohne die sich nicht die Deckung des Zinssatzes mit einem angenommenen Grenzprodukt des Kapitals behaupten lässt. Diese Diskussion ist unter der Bezeichnung Kapitalkontroverse bekannt. Der theoretische Ansatz der damaligen Kritiker wird auch als Neoricardianische Theorie bezeichnet.

Neben diesen fachinternen Kontroversen wird auch Kritik von externer Seite, genauer: der Wissenschaftstheorie, geübt. Im deutschsprachigen Raum ist in diesem Zusammenhang v.a. die Kritik Hans Alberts bekannt geworden, der die Art und Weise neoklassischer Modellbildung als „Modell-Platonismus“ bezeichnet hat.[6] Albert kritisiert dabei in erster Linie die Tatsache, dass die Modellierung oft unter umfassende ceteris paribus-Vorbehalte gestellt wird, wobei man über alle relevante Rand- und Anfangsbedingungen, die eine Unter-Sonst-Gleichen-Bedingungen-Situation genau kennzeichnen, oft keine Kenntnis besitzt. Diese ceteri-paribus-Vorbehalte ermöglichen jedoch die komplette Immunisierung einer Theorie gegen die Erfahrung: Erweist sich eine Theorie als empirisch widerlegt, kann man sich immer auf den Standpunkt zurückziehen, dass die Theorie doch stimme, nur die relevanten Rand- und Anfangsbedingungen im speziellen Fall nicht vorgelegen hätten. Der Wissenschaftstheoretiker Alexander Rosenberg gelangt zu der Auffassung, dass die Neoklassik oft keine empirische gehaltvollen Theorien vorlege, also nicht handfeste empirische Forschung betreibe, sondern lediglich komplexe Mathematik, die mit der Realität nur noch wenig zu tun habe.[7][8]

Literatur

  • Felderer, Bernhard / Homburg, Stefan: Makroökonomik und neue Makroökonomik. Berlin 2003, ISBN 3540250204.
  • Kromphardt, J. 1982: Wirtschaftswissenschaft II: Methoden und Theoriebildung in der Volkswirtschaftslehre, HdWW, Bd. 9, S. 904–936
  • Schumpeter, Joseph; Mann, Fritz (Hrsg.): Geschichte der ökonomischen Analyse. 2 Bände. 2007, ISBN 3525105266.

Einzelnachweise

  1. U. Hampicke (1992) Ökologische Ökonomie, Individuum und Natur in der Neoklassik. Natur in der ökonomischen Theorie: Teil 4, S. 20–38
  2. Franz, St.; Grundlagen des ökonomischen Ansatzes: Das Erklärungskonzept des Homo Oeconomicus; in: W. Fuhrmann (Hrsg.), Working Paper, International Economics, Heft 2, 2004, Nr. 2004-02, Universität Potsdam
  3. a b Kirchgässner, Gebhard ; Homo oeconomicus; 2008, Mohr Siebeck Tübingen, S.13
  4. Kirchgässner, Gebhard ; Homo oeconomicus; 2008, Mohr Siebeck Tübingen, S.79
  5. Mas-Colell, Andreu; Whinston, Michael; Green, Jerry, Microeconomic Theory, 1995, Oxford Univeristy Press, S.40ff
  6. Albert, Hans (1967): Modell-Platonismus: Der neoklassische Stil des ökonomischen Denkens in kritischer Beleuchtung, in: Maus, Heinz / Fürstenberg, Friedrich (Hrsg.): Marktsoziologie und Entscheidungslogik. Ökonomische Probleme in soziologischer Perspektive, Neuwied, Berlin, 331–367.
  7. Alexander Rosenberg, Economics: Mathematical Politics or Science of Diminishing Returns, University of Chicago Press, 1992
  8. Alexander Rosenberg, The Cognitive Status of Economic theory, in Backhouse, Nature of Economic Method, London, Routledge, 1994: 216–235

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