Neoexpressionismus

Neoexpressionismus

Neoexpressionismus (gr. neo=neu, lat. expressio=Ausdruck) ist eine Stilrichtung in der Bildenden Kunst, die sich durch eine figürliche Malerei von expressiver Farbigkeit auszeichnet. Der Neoexpressionismus entstand Anfang der 1960er Jahre in Abkehr zum vorherrschenden Informel. Maßgeblich an der Entstehung beteiligt waren in Deutschland Meisterschüler der Kunstschulen in Ost- und West-Berlin wie Georg Baselitz und Eugen Schönebeck.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Peter Angermann: 90° Dorf (Krümmung des Raumes), 1984, Hessisches Landesmuseum Darmstadt

Baselitz und Schönebeck, die sich an der Berliner Hochschule für Bildende Kunst kennengelernt hatten, legten 1961 ihr „1. Pandämonisches Manifest“ vor, in dem sie gegen die etablierten Kunstformen rebellierten und einen neuen expressiven Malstil forderten. Unter dem gleichen Titel stellten sie ihre Bilder in der Galerie von Michael Werner und Benjamin Katz in Berlin aus. Sie bekräftigten ihre Forderung in einem Folgemanifest, dem eigentlichen Pandämonium, dem „2. Pandämonischen Manifest“ 1962. Kurz danach endete die Zusammenarbeit der beiden Maler. Vom Informel ausgehend, verfolgten Künstler wie Walter Stöhrer zu dieser Zeit ähnliche Ansätze, die vor allem in Berlin von Malern wie Peter Chevalier, Rainer Fetting, Dieter Hacker, Markus Lüpertz, Helmut Middendorf sowie von den Gründern der Gruppe Vision (1960–64), Karl Horst Hödicke und Bernd Koberling, ausgearbeitet wurden. Auch der anfangs stilistisch an Baselitz orientierte Anselm Kiefer wird hier zugerechnet.

Die Bildsprache zeichnet sich meist durch eine spontane, heftige Gestik aus, als Sujets dienten in der Anfangszeit vornehmlich Großstadtmotive, wobei teilweise Gedanken des Expressionismus rezipiert und neu wiedergegeben wurden. Insbesondere wurde die Rückkehr der Malerei zu einer persönlichen und symbolischen Bildsprache gefordert. Aus dem Neoexpressionismus gingen ab etwa Ende der 1970er Jahre verschiedene Gruppierungen hervor, die mit Schlagworten wie „Berliner Heftige“, „Spontanisten“ und schließlich „Junge Wilde“, beziehungsweise Neue Wilde belegt wurden.[1]

Außerhalb der Berliner Kunstszene fand die neue kulturpolitische Protestmalerei ironischere Ausdrucksformen, so ging ab dem Sommersemester 1969 aus der Beuys-Klasse der Kunstakademie Düsseldorf die Gruppe „YIUP“, bestehend aus Hans Rogalla, Peter Angermann, Robert Hartmann, Hans Heininger und Hans Henin[2], hervor, deren Name eine Anspielung auf die rheinische Dialektform von Beuys’ Vornamen „Joseph“ (Jupp) war. Aus „YIUP“ formierte sich ab Mitte der 1970er Jahre um Peter Angermann, Jan Knap und Milan Kunc die „Gruppe Normal“, die sich programmatisch mit Mitteln der Entlarvung der Auflösung der Grenzen zwischen Kitsch, Konsum und Kunst widmen und „das Normale“ und „das Vernünftige“ relativieren.[3]

Parallele Entwicklungen international

Entsprechungen finden sich in Europa in Frankreich in der Figuration Libre und in der italienischen Transavanguardia mit Künstler wie Sandro Chia, Francesco Clemente, Fernando Leal Audirac oder Mimmo Paladino. Im angloamerikanischen Raum manifestierten sich Begriffe wie Bad Painting, New Image Painting oder Wild Style als Gegenbewegungen zur Konzeptkunst, wobei der um 1980 entstandene Begriff des Wild Style wiederum eine gedankliche Fortführung des europäischen Fauvismus darstellt und meistens auf die Maler der New Yorker Graffiti-Szene Verwendung findet.[4] Bekannte Vertreter sind hier Jean-Michel Basquiat, Chuck Connelly, David Salle oder Julian Schnabel sowie Ronnie Cutrone, Keith Haring und Kenny Scharf (letztere werden gelegentlich auch als „Neo-Pop“ bezeichnet).

Literatur

  • Donald Kuspit, Markus Brüderlin: Expressiv! Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2003, ISBN 3-7757-1302-6.
  • Nina Ehresmann: Paint Misbehavin': Neoexpressionismus und die Rezeption und Produktion figurativer, expressiver Malerei in New York zwischen 1977 und 1984. Lang, Frankfurt a. M. 2005, ISBN 3-631-52629-6.

Einzelnachweise

  1. Neoexpressionismus. In: Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann. Abgerufen am 14. Januar 2009.
  2. Johannes Stüttgen: Der Ganze Riemen. Der Auftritt von Joseph Beuys als Lehrer – die Chronologie der Ereignisse an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf 1966–1972. Hrsg. Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Verlag der Buchhandlung Walter König, Köln 2008, ISBN 978-3-86560-306-7, S. 722 
  3. Karin Thomas: Bis Heute. Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert., DuMont Buchverlag, Köln 1986, ISBN 3-7701-1939-8, S. 354–359
  4. Thomas: Bis Heute, Glossar

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Neoexpressionismus — Neoexpressionismus,   Richtung der zeitgenössischen Malerei und Plastik, deren kraftvoll gestaltete Handschrift und malerische Vitalität auf den deutschen Expressionismus zurückweisen. Charakteristisch ist eine freie Figuration, die häufig mit… …   Universal-Lexikon

  • Neoexpressionismus und Neue Wilde: Sozialkritik und Sinnlichkeit —   Als Reaktion auf die verbraucht scheinenden Formeln der abstrakten Kunst, des Tachismus und des Informel, begann sich in Deutschland Mitte der Sechzigerjahre langsam eine Rückkehr zur gegenständlichen Malerei abzuzeichnen. Auf überholt… …   Universal-Lexikon

  • Neoexpressionismus — Neo|ex|pres|si|o|nis|mus [auch ne:o...] der; : Richtung der zeitgenössischen Malerei mit kraftvollen, vitalen Ausdrucksformen …   Das große Fremdwörterbuch

  • Jean Michel Basquiat — (* 22. Dezember 1960 in New York City; † 12. August 1988 New York City) war ein Graffitikünstler, Neoexpressionist, Maler und Zeichner. Inhaltsverzeichnis 1 Leben 2 Gesamtwerk 3 Verschiedenes …   Deutsch Wikipedia

  • Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe — Vorlage:Infobox Hochschule/Logo fehltVorlage:Infobox Hochschule/Mitarbeiter fehltVorlage:Infobox Hochschule/Professoren fehlt Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Gründung 1854 Trägerschaft staatlich Ort Karlsruhe Bundesland …   Deutsch Wikipedia

  • Badische Landeskunstschule — Vorlage:Infobox Hochschule/Logo fehltVorlage:Infobox Hochschule/Mitarbeiter fehltVorlage:Infobox Hochschule/Professoren fehlt Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Gründung 1854 Trägerschaft staatlich Ort Karlsruhe Bundesland …   Deutsch Wikipedia

  • Feichter — Peter Feichter (* 15. Dezember 1956 in Klagenfurt am Wörthersee) ist ein österreichischer Maler der Kunstrichtung Expressionismus (Neoexpressionismus). Leben und Werk Peter Feichter begann 1980 mit naturalistischer Malerei. Eine erste Ausstellung …   Deutsch Wikipedia

  • Großherzoglich Badische Kunstschule Karlsruhe — Vorlage:Infobox Hochschule/Logo fehltVorlage:Infobox Hochschule/Mitarbeiter fehltVorlage:Infobox Hochschule/Professoren fehlt Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Gründung 1854 Trägerschaft staatlich Ort Karlsruhe Bundesland …   Deutsch Wikipedia

  • Hödicke — Karl Horst Hödicke (* 21. Februar 1938 in Nürnberg) ist ein deutscher Maler. Er gilt als einer der Wegbereiter des deutschen Neoexpressionismus [...] und als einer der wichtigsten Anreger der sogenannten Neuen Wilden und neben Baselitz,… …   Deutsch Wikipedia

  • Karlsruher Kunstakademie — Vorlage:Infobox Hochschule/Logo fehltVorlage:Infobox Hochschule/Mitarbeiter fehltVorlage:Infobox Hochschule/Professoren fehlt Staatliche Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe Gründung 1854 Trägerschaft staatlich Ort Karlsruhe Bundesland …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”