Neid

Neid
Der Neid
Hieronymus Cock.

Unter Neid versteht man das moralisch vorwerfbare, gefühlsmäßige (emotionale) Verübeln der Besserstellung konkreter Anderer. Ähnlich ist der Begriff der Missgunst. Fehlt es am ethischen Vorwurf, spricht man auch von Unbehagen gegenüber Vorteilen anderer (Besitz, Status, Privilegien), die man selber nicht hat. Will man Neid rechtfertigen, so ist eher von einem Recht auf Gleichbehandlung die Rede.

Das Gegenteil des Neides ist die Gunst.

Inhaltsverzeichnis

Näheres

Kind neidet den anderen den Murmelbesitz
Der Neid (allegorisches Gemälde von Giotto, um 1300)

Neidisch ist mithin jemand (der „Neider“), den ein Besitztum oder Vorzug anderer – auch unbewusst – kränkt (ein Minderwertigkeitsgefühl auslöst).[1] Das Ziel des Neides ist dementsprechend, den beneideten Vorzug aus der Welt zu schaffen (nicht primär, ihn an sich zu bringen; das wäre dann zum Beispiel Habsucht). Neid kann sich nicht nur auf Besitztümer beziehen, sondern ebenso auf beispielsweise biologisch (Gesundheit) oder kulturell (Schönheit) geprägte Merkmale wie auch direkt auf den sozialen Status (der „Klassenbeste“, der „Torschützenkönig“). In gesteigerter Form kann der Neid für Beneidete gefährlich werden, dem gegenüber er oft verschwiegen wird, wenn er zur Triebkraft feindseligen Handelns wird.

Demgegenüber gibt es auch eine nicht negativ besetzte Bedeutung des Wortes Neid, indem mit Neid eine Bewunderung oder Anerkennung für eine Person ausgedrückt wird, aber nicht gleichzeitig ein Missgönnen. Ein Beispiel hierfür wäre es, wenn ein Großvater seine Enkeltochter für ihre Jugend, Gesundheit und Unbeschwertheit beneidet. Er würde ihr diese Zustände nicht missgönnen und würde sie ihr auch nicht wegnehmen wollen, wenn das ginge. Er würde es ihr von ganzem Herzen gönnen und sich daran erfreuen. Aber er würde sagen, dass er sie dafür beneide, weil er auch gerne noch einmal so jung, gesund und unbeschwert wäre.

Neid in Soziologie und Verhaltensforschung

Bereits Gustav Ratzenhofer hat 1899 den „Brotneid“ als einen grundsätzlichen sozialen Antrieb („Urkraft“) konstatiert.[2] Helmut Schoeck hat dann den Neid geradezu zum Schlüsselbegriff der Soziologie erklärt.[3] Er war überzeugt, dass erst die Furcht vor zerstörerischem Neid Anderer das Zusammenleben in größeren Gruppen ermögliche. Durch Kenntnis dessen versuchen Menschen sich vor ihr zu schützen, unter anderem, indem sie Hab und Gut miteinander teilen. So wurde der Neid der Götter etwa mit Opfergaben zu besänftigen versucht.

In seinem 1966 erschienenen Standardwerk „Der Neid und die Gesellschaft“ postulierte Schoeck, dass kein anderes Motiv soviel Konformität erzeuge wie die Furcht, bei anderen Neid zu erwecken und dafür geächtet zu werden. Erst durch die Fähigkeit, sich gegenseitig durch den Verdacht auf Neid zu kontrollieren, sei die Bildung von Gruppen mit unterschiedlichen Aufgaben sozial möglich geworden. Ebenso konstatierte der französische Psychiater François Lelord, dass Neid ein wichtiger Mechanismus im Zusammenleben von Gruppen sei.[4]

Als eher umgangssprachlicher Begriff bezeichnet „Sozialneid“ den Neid in einem sozialen Milieu auf eine – auch nur vermeintlich – besser gestellte andere Gruppierung (Bezugsgruppe). Er kann sich sowohl auf Privilegien (etwa Macht- oder Genussmöglichkeiten) als auch auf Besitz (Reichtum) beziehen. Bereits Aristoteles postulierte einen gerechten Neid bei ungleicher Verteilung der Güter. Der Psychoanalytiker Rolf Haubl unterscheidet zwischen dem negativen feindselig-schädigenden und depressiv-lähmenden und dem positiven ehrgeizig-stimulierenden und empört-rechtenden Neid, der das Gerechtigkeitsgefühl anrege und auf Veränderung dränge.[5]

Studien mit Kapuzineraffen um Frans de Waal an der Emory University zeigten in der Verhaltensbiologie eine Verweigerungshaltung bei benachteiligten Tieren. Die Forscher spielten mit den Affen und belohnten sie mit unterschiedlichen Leckereien. Boten die Forscher etwa einem Tier leckere Trauben und dem anderen lediglich ein Stück Gurke, verweigerte letzteres eine weitere Zusammenarbeit in dem Spiel.[6]

Ein Forscherteam um den Bonner Neuroökonomen Armin Falk verglich in Experimenten unter einem Kernspintomographen die Gehirnaktivität von menschlichen Probanden. Er sieht einen Beleg für seine These, dass Menschen Belohnungen immer im Vergleich sehen.[7]

Der Zürcher Ökonom Ernst Fehr vertritt die Auffassung, dass eine milde Form des Neides ein emotionales Grundbedürfnis des Menschen sei. Diesbezügliche Forschungen zeigen demnach auf, dass Menschen bescheidene Vermögensverhältnisse bevorzugen, wenn sich diese zumindest nicht wesentlich von denen anderer Menschen unterscheiden und ein für sie höheres Einkommen nur mit im Vergleich dann deutlich höheren Einkünften Anderer verbunden wäre. Dieser neidbedingte Antrieb ende laut Fehr allerdings abrupt beim Erlangen der vorher beneideten Position der Bessergestellten; die erlangte Position werde nun gegenüber Anderen verteidigt und als befriedigend empfunden. Das Gefühl des Neides diene somit primär nur der Befriedigung der eigenen egoistischen Bedürfnisse und weniger einem allumfassenden Wunsch nach Gerechtigkeit. Neid in Form des Verübelns der Besserstellung Anderer bei gleichzeitiger Begehr desselben Status für sich erfülle damit die Kriterien der Doppelmoral.[8]

Die Wirtschaftswissenschaftler Daniel Zizzo und Andrew Oswald von der Universität Warwick wiesen in einem computersimulierten Glücksspiel nach, dass nahezu zwei Drittel aller Teilnehmer Gebrauch von der Option machten, unter Einsatz eines Teils ihrer Gewinns andere finanziell zu schädigen, obwohl sie dabei die Hälfte der ausgeschütteten Gewinnsumme verloren. Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Ergebnisse 2001 schrieben Zizzo und Oswald: „Unsere Experimente messen die dunkle Seite der menschlichen Natur.“[9]

Bewertung von Neid in den Religionen

In der Bibel wird Neid an mehreren Stellen verurteilt, zum Beispiel Röm 1,29 EU, 1 Tim 6,4 EU, Tit 3,3 EU, 1 Petr 2,1 EU, Jak 3,14+16 EU, Gal 5,21 EU. Bekannt ist vor allem die biblische Erzählung von Kain und Abel, in der Neid ein Mordmotiv darstellt. Der Neid gehört seit dem späten 6. Jahrhundert zu den sieben Hauptsünden (siehe auch zur Abgrenzung Todsünden) der Römisch-Katholischen Kirche.

Im Hinduismus wird gesellschaftliche Ungleichheit als Folge des individuellen spirituellen Karmas dargestellt und Neid lediglich als das nicht akzeptierte Karma bzw. Schicksal, das der Welt der Kasten entgegensteht. Danach kann nur ein spirituell-esoterischer Aufstieg nach dem Anerkennen des eigenen Karmas erfolgen, der einen in eine höhere Kaste nach einer späteren Wiedergeburt bringt, oder ganz im Jenseits. Als Anti-Neid-Konzept ist der Hinduismus bei den durch das Karma weniger Benachteiligten sehr populär und bestimmt so den Großteil der Welt von 850 Millionen Hindus.

Im Islam wird der Neid im Koran erwähnt. Es gilt, ihn als eine schlechte Eigenschaft zu besiegen und damit bei sich selbst anzufangen. Laut dem Propheten Muhammed kann Neid zu Unheil und sogar zum Tode führen. Es existieren Schutzverse und Bittgebete, die mit Gottes Hilfe vor einem Neider schützen.

Sonstiges

Sogenannte Neidköpfe, meist angebracht an Giebeln, sollten dem Volksglauben nach das Unheil und Böse abwehren. Die bösen Mächte und Geister sollten den Menschen in den damit bedachten Gebäuden nichts neiden und sie damit nicht gegen die Bewohner aufbringen.

Siehe auch

Literatur

  • Joseph Epstein: Neid. Die böseste Todsünde. Wagenbach, Berlin 2010 (Originaltitel: Envy, übersetzt von Matthias Wolf), ISBN 978-3-8031-2650-4, DNB 1001976355, OCLC 670204630 (Wagenbachs Taschenbücherei #650).[10]
  • Rolf Haubl: Neidisch sind immer nur die anderen. Über die Unfähigkeit, zufrieden zu sein. 1. Auflage. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-59214-0.  (1. Ausgabe: gebunden; Beck 2001; ISBN 3-406-48095-0.)
  • François Lelord: Die Macht der Emotionen und wie sie unseren Alltag bestimmen. Piper-Verlag, München u. a. 2006, ISBN 3-492-24631-1.
  • Olaf Lippke: Anatomie des Neides. WiKu-Verlag, Duisburg 2006, ISBN 3-86553-179-2.
  • Rainer Paris: Neid. Zur Politik eines Gefühls. In: Merkur. 2006, S. 1046–1060.
  • Rainer Paris: Neid. Von der Macht eines versteckten Gefühls. Manuscriptum, Waltrop 2010, ISBN 978-3-937801-54-4, DNB 1000909875, OCLC 614444505 (Edition Sonderwege bei Manuscriptum).
  • Helmut Schoeck: Der Neid. Eine Theorie der Gesellschaft. 2. Auflage. Herder, Freiburg 1968.
  • Gerhard Schwarz (Journalist) (Hrsg.): Neidökonomie. Wirtschaftspolitische Aspekte eines Lasters. NZZ-Verlag, Zürich 2000, ISBN 3-85823-859-7.
  • Ingrid Vendrell Ferran: Über den Neid. Eine phänomenologische Untersuchung. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie. 1, 54, 2006, ISSN 0012-1045, S. 43–69.
  • Ute Wahner: Neid. Wie wichtig sind Selbstwertbedrohung und Ungerechtigkeitserleben? In: Barbara Reichle, Manfred Schmitt (Hrsg.): Verantwortung, Gerechtigkeit und Moral. Zum psychologischen Verständnis ethischer Aspekte im menschlichen Verhalten. Juventa, Weinheim/München 1998, ISBN 3-7799-1380-1, S. 149–162.

Einzelnachweise

  1. Vgl. Neid. In: Deutsches Wörterbuch.
  2. in: Der positive Monismus und das einheitliche Princip aller Erscheinungen
  3. Helmut Schoeck: Der Neid. Eine Theorie der Gesellschaft. 2. Auflage. Freiburg 1968.
  4. Der Neid-Faktor. In: Focus. 20. August 2008.
  5. Werner Mathes: Neidische Augen sind unersättlich. In: Stern. 9. November 2007
  6. Gemischte Gefühle: Neid - Zusammenleben dank Neid. In: Süddeutsche Zeitung. 3. August 2010.
  7. Gemischte Gefühle: Neid - Mehr haben als der andere. In: Süddeutsche Zeitung. 3. August 2010.
  8. Neigung zur Doppelmoral. In: Focus, 1. Dezember 2008.
  9. Gemischte Gefühle: Neid - Die einzige Todsünde, die keinen Spaß macht. In: Süddeutsche Zeitung. 3. August 2010.
  10. Eine Verschwendung geistiger Energie. auf: Deutschlandradio Kultur. 26. Oktober 2010. (Rezension zu Joseph Epstein: Neid. Verlag Klaus Wagenbach 2010.)

Weblinks

 Wikiquote: Neid – Zitate
Wiktionary Wiktionary: Neid – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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