Nationalhymne der DDR

Nationalhymne der DDR
Bronze „Johannes R. Becher“ von Fritz Cremer im Bürgerpark Berlin-Pankow (Ausschnitt)
Eisler bei der Sitzung des vorbereitenden Ausschusses der Akademie der Künste der DDR am 21. März 1950

„Auferstanden aus Ruinen” ist der Titel der Nationalhymne der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Der Text der Hymne stammt von Johannes R. Becher, die Melodie komponierte Hanns Eisler. Seit etwa 1970 wurde der Text nicht mehr offiziell gesungen.

Inhaltsverzeichnis

Text

Der Text der DDR-Nationalhymne wurde vermutlich im Oktober 1949 von Johannes R. Becher gedichtet. Für gelegentlich geäußerte Vermutungen, er habe dabei auf frühere Dichtungen aus seiner Moskauer Exilszeit zurückgegriffen, finden sich weder in seinem Nachlass noch in den Äußerungen Bechers Belege.

Becher lag daran, eine volksliedhafte „Friedenshymne” zu dichten, die „von allen Schichten unseres Volkes […] mit leidenschaftlicher Anteilnahme gesungen” werden konnte und die „auch die deutschen Menschen, die im Westen wohnen” ansprechen sollte. Deswegen wandte er sich gegen Vorschläge und Kritik, die Hymne sei nicht kämpferisch genug.[1]

1. Strophe
Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
Und wir zwingen sie vereint,
Denn es muß uns doch gelingen,
Daß die Sonne schön wie nie
|: Über Deutschland scheint. :|
2. Strophe
Glück und Frieden sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
Reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
Schlagen wir des Volkes Feind!
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
Daß nie eine Mutter mehr
|: Ihren Sohn beweint. :|
3. Strophe
Laßt uns pflügen, laßt uns bauen,
Lernt und schafft wie nie zuvor,
Und der eignen Kraft vertrauend,
Steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
Unsres Volks in dir vereint,
Wirst du Deutschlands neues Leben,
Und die Sonne schön wie nie
|: Über Deutschland scheint. :|

Der Text der Hymne folgt (bis auf die letzte Zeile) dem Versmaß der österreichischen Kaiserhymne. Er kann also mit dieser Einschränkung auch auf die Melodie des Deutschlandliedes gesungen werden, genauso wie der Text des Deutschlandliedes umgekehrt auch auf die Eisler-Melodie gesungen werden kann.

Musik

Die Musik der Nationalhymne komponierte Hanns Eisler innerhalb weniger Tage Ende Oktober / Anfang November 1949. Eisler wollte seiner Musik einen „wirklich humanistischen Ausdruck” geben: „Es kann nichts 'Zackiges', nichts Militärisches in dieser bedeutungsvollen Melodie sein, sondern es muß ein sehr würdiger und sehr menschlicher Ton gefunden werden.”[2]

Bereits kurz nach der Erstaufführung der Hymne wurde in westdeutschen Zeitungen ein Plagiatsvorwurf erhoben, der bis in die 1990er Jahre gelegentlich kolportiert wurde: Eisler solle die ersten Intervalle der Hymne dem Schlager „Goodbye Johnny” von Peter Kreuder aus dem Hans-Albers-Film Wasser für Canitoga aus dem Jahre 1939 entnommen haben. Kreuders Schlager hat tatsächlich dieselben ersten acht Töne, jedoch trifft das ebenso für andere Kompositionen wie beispielsweise das Lied „Freudvoll und leidvoll” aus Ludwig van Beethovens Egmont-Ouvertüre zu.[3]

„Tatsächlich gleichen sich die ersten Inervalle beider Melodien, es ähneln sich auch die stufenweise höhersteigenden Baßschritte am Beginn der ersten Phrase und der damit verbundene Sequenzaufbau der Melodie. Übersehen wurde allerdings, daß Eisler nicht auf eine Erfindung von Peter Kreuder angewiesen war, sondern − wenn er sich denn überhaupte irgendwo bewußt angelehnt haben sollte − auf das gleiche Modell aus seinem Lied Der Kirschendieb oder aus der ersten Pascal-Vertonung zurückgreifen konnte, die schon in den USA entstanden waren.“

Manfred Grabs: Brief an Karina Awanesowa[4]

Während dieser Auseinandersetzung, die 1958 einen Höhepunkt in einem Zeitungsartikel der Welt am Sonntag hatte[5], wurde Eisler als musikalischer Propagandachef Pankows bezeichnet, die Hymne selbst wurde als Gullyrutscher-Hymne und als Eislerpampe[6] bezeichnet.

Wovon Eisler sich tatsächlich hat inspirieren lassen, ist, da er sich selbst nicht dazu geäußert hat, nicht mehr feststellbar. Das Anliegen des Rechtsvertreters Kreuders, dem Plagiatsvorwurf nachzugehen, verfolgte die angeschriebene österreichische Gesellschaft der Autoren, Komponisten und Musikverleger nicht weiter, möglicherweise, da die Ähnlichkeiten zu gering waren, um justiziabel zu sein. Von Kreuder selber gibt es keine Aussagen zu diesem Sachverhalt. Dass die Aufführung von Kreuders Schlager in der DDR dazu geführt habe, dass sich die Anwesenden erhoben, da sie glaubten, die Nationalhymne werde gespielt, bezeichnet die Historikerin Heike Amos als Gerücht, das in der westdeutschen Presse in unterschiedlichen Varianten aufgetaucht sei.[7]

Ulrich Günther schrieb 1966, Augen- und Ohrenzeugenberichten zufolge singe die Jugend in der DDR die Hymne begeistert mit und weise es empört zurück, wenn Ältere die Ähnlichkeit mit dem Schlager „Goodbye Johnny” aufzeigten.[8]

Entstehung der Hymne

Bereits vor Gründung der DDR gab es Überlegungen zu einer Nationalhymne für den zu gründenden Staat. So beauftragte das Politbüro des Zentralkomitees der SED am 13. September 1949 Anton Ackermann, mit Johannes R. Becher und Hanns Eisler über die Schaffung einer Nationalhymne zu sprechen. Wann dies geschah, ist jedoch nicht belegt. Am 10. Oktober äußerte Wilhelm Pieck in einem Brief an Becher inhaltliche Vorschläge für die drei Strophen, die die Hymne seiner Meinung nach haben sollte.

Zwei Tage später, am 12. Oktober, sandte Becher eine erste Version des Textes an Ottmar Gerster mit der Bitte um Vertonung. Diese Version mit noch vier Strophen ähnelte der späteren Hymne in Form und Inhalt bereits sehr, jedoch überarbeitete Becher den Text in den nächsten Wochen mehrfach. Er sandte Gerster eine korrigierte Fassung zu, und es wurde der 4. November als Termin für ein Vorspiel in Berlin ausgemacht. Ende Oktober 1949 traf Becher in Warschau mit Eisler zusammen, der zu den Feierlichkeiten anlässlich des 200. Geburtstages Goethes aus Wien angereist war. Er bat Eisler um eine Vertonung des Textes und erwähnte auch, dass er dieses auch bereits anderen Komponisten gegeben hätte. Am Nachmittag desselben Tages fuhren sie gemeinsam nach Żelazowa Wola zum Geburtshaus von Frédéric Chopin, wo Eisler ihm bereits eine erste Version vorspielte.

„Ich hatte inzwischen eine Melodie gefunden, und auf dem alten Flügel von Chopin spielte ich sie ihm vor. Er war sehr erstaunt, daß das so rasch ging und sagte:Das müssen wir uns aber noch in Berlin überlegen! [...] Solche Sachen kann man nur sehr rasch machen oder gar nicht.“

Hanns Eisler: Sinn und Form [9]

Am 4. November fand das vereinbarte Vorspiel im „Klub der Kulturschaffenden” in der Jägerstraße in Berlin-Mitte unter Anwesenheit hoher Kulturbund-Funktionäre statt. Beide Versionen wurden vom jeweiligen Komponisten vorgespielt und von einem improvisierten Chor gesungen. Die Entscheidung für die Melodie Eislers fiel erst am folgenden Vormittag auf einer außerordentlichen Politbüro-Sitzung in Piecks Wohnung nach einem erneuten Vortrag beider Versionen, diesmal von Opernsängern. Noch am Nachmittag des 5. November beschloss auch der Ministerrat der DDR, die Bechersche Hymne mit der Melodie von Eisler zur „Deutschen Nationalhymne” zu erheben. Am 8. Februar 1950 bestimmte auch die Provisorische Volkskammer unter Anwesenheit von Becher und Eisler die Hymne „Auferstanden aus Ruinen” zur Nationalhymne der DDR.

Popularisierung der Nationalhymne

Am 6. November 1949 erschienen zusammen mit der Meldung über den Ministerratsbeschluss Text und Melodie der Hymne im Neuen Deutschland. Am folgenden Tag wurde die neue Nationalhymne auf dem Staatsakt anlässlich des 32. Jahrestages der Oktoberrevolution in der Deutschen Staatsoper zum ersten Mal öffentlich aufgeführt.

In den folgenden Monaten wurden große Anstrengungen unternommen, die Nationalhymne bekanntzumachen: Sie sollte bei allen offiziellen Anlässen gespielt werden, alle Schulkinder sollten die Hymne lernen, es gab Veranstaltungen in Schulen und Betrieben. Seit dem 14. November spielten alle Radiosender der DDR zum Programmbeginn und -ende die Nationalhymne. Spruchbänder mit Textzeilen aus der Hymne erschienen in der Öffentlichkeit. Die „Deutsche Nationalhymne”, wie sie in Veröffentlichungen dieser Zeit häufig genannt wurde, wurde binnen kurzer Zeit einem Großteil der Bevölkerung bekannt, bereits bis Ende 1949 beherrschten die Schüler in der DDR Text und Melodie. Die Historikerin Heike Amos schlussfolgert in ihrer Untersuchung, dass „große Teile der Bevölkerung, insbesondere die Jugend, der neuen Hymne positiv gegenüberstanden und sie annahmen”.[10]

In den 1950er- und 1960er-Jahren gehörte die Nationalhymne in der DDR zum Alltag. Neben offiziellen Anlässen wurden einzelne Verse der Hymne häufig in Reden zitiert. Zeitungen und der Rundfunk trugen weiter zur Verbreitung bei. Die Nationalhymne war in die Lehrpläne des Musik- und Deutschunterrichts an den Schulen ab der 5. Klasse integriert. Ab 1961 begann man bereits in der 1. Klasse mit der Vermittlung der Nationalhymne. Schließlich war das Singen aller drei Strophen der Nationalhymne fester Bestandteil der Jugendweihefeiern, die die SED ab Mitte der 1950er-Jahre als Konkurrenz zur Konfirmation forcierte.

„Deutschland, einig Vaterland“

Nachdem die DDR auch öffentlich von der Wiedervereinigung Deutschlands abgerückt war, wurde der Text der Nationalhymne unbequem. So entgegnete Willy Brandt 1972 zum Beispiel Willi Stoph auf dessen Aussage, es gebe zwei deutsche Staaten, mit Bezug auf die erste Strophe, in der es heißt Deutschland, einig Vaterland: „Sie selbst singen doch in Ihrer Hymne von Deutschland, einig Vaterland.” Ungefähr zu dieser Zeit verschwand der Text aus der Öffentlichkeit, die Hymne wurde nur noch instrumental aufgeführt.

Wendezeit

Während der Wende 1990 wurde vorgeschlagen, Bertolt Brechts Gedicht „Anmut sparet nicht noch Mühe” (Kinderhymne), für das es eine Vertonung von Eisler gibt, zur deutschen Nationalhymne zu machen. Auch dieser Text folgt dem Versmaß der österreichischen Kaiserhymne. Bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag hatte Lothar de Maizière, Ministerpräsident der DDR, vorgeschlagen, die dritte Strophe des Deutschlandliedes mit dem Becher-Text Auferstanden aus Ruinen zu ergänzen.[11] Keiner der Vorschläge wurde umgesetzt.

Verwechslungen

Allgemeines Erstaunen löste ihr Abspielen aus, als sie 1995 zu einem Staatsbesuch von Bundespräsident Roman Herzog in Porto Alegre, Brasilien erklang.[12] Insgesamt gab es mehrere dieser irrtümlichen Abspielungen, über die man jedoch meist großzügig hinweg sah.

Siehe auch

Literatur

  • Heike Amos: Auferstanden aus Ruinen… Die Nationalhymne der DDR 1949 bis 1990 Dietz Verlag, Berlin 1990. ISBN 3-320-01939-2
  • Jürgen Schebera: Eisler – eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten Schott-Verlag, 1998. ISBN 3-7957-2383-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Amos, S. 31 f., 84 f.
  2. Amos, S. 46f.
  3. Amos, S. 72–76
  4. Brief an Karina Awanesowa in Moskau vom 3. September 1974, HEA. (Hanns-Eisler-Archiv)
  5. Welt am Sonntag, Hamburg, 9. November 1958
  6. Der Abend, Berlin/West, 28. November 1958
  7. Amos, S. 74 f.
  8. Ulrich Günther: „… über alles in der Welt?“ Studien zur Geschichte und Didaktik der deutschen Nationalhymne. Luchterhand: Neuwied am Rhein / Berlin 1966, S. 1.
  9. Sinn und Form, Sonderheft Hanns Eisler Berlin/DDR 1964
  10. Amos, S. 69.
  11. vgl. Helmut Kohl: Erinnerungen 1990–1994, Droemer 2007. ISBN 978-3-426-27408-8
  12. http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Sonntag;art2566,2139184

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